Messerschmiede von Steyr und Neuzeug auf der Gewerbeausstellung 1845 in Wien[1]
von Dr. Heinrich Kieweg
Begünstigt durch die lange Tradition der Eisengewerbe in der oberösterreichischen Eisenwurzen, existierte im 19. Jahrhundert eine beachtliche Anzahl von Messerschmieden. 1841 zählte man im Traunkreis 158 Messerschmiedebetriebe, welche jährlich 10.352 Zentner Stahl und Eisen verarbeiteten, mit einer Jahresproduktion von mehr als 2 Millionen Paar Messer und Gabeln und 6 Millionen Taschenmessern und Rasiermessern. Ihre Zentren waren Steyr, Neuzeug und Steinbach a. d. Steyr. [2]
Unter den Teilnehmern der Gewerbeausstellung von 1845 in Wien wurden sechs Messerer-Großbetriebe mit Medaillen ausgezeichnet.[3] Diese Großbetriebe heben sich durch ihre Leistungsfähigkeit und die Anzahl der Beschäftigten deutlich von den anderen Messerhändlern ab und bilden wohl die damalige Elite der Messerschmiede:
1. Leopold Forster, Messerschmiedmeister in Neuzeug bei Steyr, erzeugte mit 50 Arbeitern aus 500 bis 600 Zentnern Stahl jährlich 10.000 Dutzend Tafelmesser und Gabeln, die Griffe mit den Klingen aus einem Stück (dies waren in der Levante[4] sehr begehrte Waren). Aufgrund des bedeutenden Betriebes und des Exportes wurde Forster 1845 die bronzene Medaille zuerkannt. Laut Ferdinand Treml[5] beschäftigte Forster drei Mitmeister und 50 Arbeiter, welche großteils in ihren eigenen Werkstätten arbeiteten. – Später sollte Leopold Forster die erste Messerfabrik in Neuzeug gründen.
2. Laut Ferdinand Treml stellte auch ein zweiter Betrieb in Neuzeug 10.000 bis 15.000 Dutzend stählerne Tafelmesser pro Jahr her. [Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die Firma Gottfried Pils, Messerschmiedmeister in Neuzeug bei Steyr, Anm. d. Autoren]; hier wurden ebenso Tafelmesser und Gabeln aus einem Stück mit oder ohne Glanz, verzierte, ovale und flach ovale, hergestellt. Diese Erzeugnisse wurden vor allem nach Ungarn, Siebenbürgen und an die Levante exportiert. Pils wurde deshalb bei der Gewerbeausstellung 1845 in Wien mit einer „ehrenvollen Erwähnung“ ausgezeichnet.
3. Anton Heindl, bürgerlicher Messerschmied zu Steyr, beschäftigte in der eigenen Werkstatt 16 Gesellen, darüber hinaus verlegte er noch 4 Messerermeister mit 3 Gesellen, 10 Klingenschmiede, 12 Gabelschmiede, 3 Schleifermeister mit 2 Gesellen und 3 Polierermeister mit 4 Gesellen. Die Firma Heindl erzeugte jährlich 4.200 Dutzend Tafelmesser samt Gabeln, 400 Dutzend Dessert- und Kindermesser mit und ohne Gabeln, 530 Dutzend Küchen-, Fleisch-, Stich- und Tranchiermesser sowie 320 Dutzend feine Messerklingen und Gabeln zu Silber- und Packfong[6]-Griffen.[7] Aufgrund seiner gediegenen Arbeit, der gefälligen und zierlichen Form und seiner günstigen Preise wurde Heindl zu einem der bedeutendsten Gewerbeinhaber unter den Messerern in Steyr. Da er zudem auch ansehnliche Exportzahlen aufzuweisen hatte, wurde Heindl 1845 in Wien mit der silbernen Medaille ausgezeichnet. Anton Heindl wohnte am Wieserfeldplatz, seine Tochter Karoline heiratete den Steyrer Industriepionier Josef Werndl und gebar ihm fünf Kinder.
4. Johann Stuckhart, Messerschmiedmeister in Steyr, erzeugte mit mehr als 40 Arbeitern feine Tafelbestecke von bester Qualität; die jährliche Erzeugungsmenge betrug 5.000 Dutzend. Stuckhart wurde als einer der besten Meister der Gegend beschrieben und erhielt 1845 in Wien die bronzene Medaille.
5. Johann Breitenlahner, Messerschmiedmeister in Steyr, produzierte jährlich 4.000 bis 4.500 Dutzend Tafelmesser und Gabeln. Die erzeugten Tafel- und Dessertbestecke und Küchenmesser wurden zum größten Teil in die Levante ausgeführt. Aufgrund der Anhebung der Qualität bei Herabsetzung der Preise sowie aufgrund des Exportes erhielt Breitenlahner 1845 in Wien die bronzene Medaille.
6. Joseph Mitter der Jüngere, Messerschmiedmeister in Steyr, fertigte Taschen-, Feder-, Tafel-, Garten-, Jagd- und Rasiermesser, Scheren und Feuerstähle. Auch seine Produkte wurden als schön und von feinster Qualität bezeichnet. Mitter war einer der Ersten, welche sich im Raum Steyr auf ganz feine Arbeiten spezialisierte und damit beispielhaft wirkte. Aufgrund der nicht unbedeutenden Betriebsgröße und der für billig befundenen Preise erhielt Mitter 1845 in Wien die bronzene Medaille. Laut Alfred Hoffmann[8] erzeugte Mitter als einziger in Steyr auch Damaszenerstahl[9] für seine Klingen.
Diese Firmen standen noch deutlich in der Tradition der Messerverleger; so nannte man die „handelnden Meister“, welche den Fernhandel besorgten. Das Verlagswesen hatte sich seit dem Mittelalter vor allem aufgrund der hohen Exportabhängigkeit des Eisen- und Eisenwarenhandels entwickelt. Ein Verleger schloß mit etwa 15 bis 30 Meistern Verlagsverträge, gab diesen die benötigten Stahl- und Eisensorten und bezahlte sie nach der gelieferten Ware. Auf diese Weise wurden Klingen- und Gabelschmiede, Schleifer, Polierer und Messerer von ihren Verlegern abhängig. Ein Messerverleger erhielt z. B. von den Klingenschmieden die Klingen, ließ diese bei Schleifern schleifen und polieren, übernahm von Heftdrechslern und Schalenschrotern die vorgefertigten Griffe und ließ im eigenen Messererbetrieb alle Teile montieren und ausbereiten, so dass die Messer verkaufsfertig waren.
Überdies verlegten viele Verleger schon seit alters her auch Schermesserer[10], Scherenschmiede, Nagel- und Zweckschmiede, Nadler, Ahlenschmiede, Schlosser und Maultrommelmacher. Die „handelnden Meister“ nahmen also eine besondere Stellung unter den Eisengewerben ein.
Zwar hatte schon Kaiser Joseph II 1781/82 versucht, durch Reformen die bis dahin gültigen Beschränkungen der Produktion (Tagwerk, Anzahl der Feuerstellen und Gesellen pro Betrieb), des Handels und der Eisen- und Kohlenwidmung abzuschaffen, doch blieben die alten Gewohnheitsrechte und Abhängigkeiten noch lange bestehen.
Bei den Eisengewerben waren nur die „handelnden Meister“ in der Lage, ihren Bedarf an Rohstoffen beim billigsten Anbieter zu decken, nahezu unbeschränkt zu produzieren und zu variablen Preisen – je nach Preisniveau auf den Absatzmärkten- verkaufen zu können. Denn die anderen Meister waren durch Verlagsverträge gebunden. Somit konzentrierte sich das Vermögen bei den Verlegern, welche sich einen gehobenen Lebensstil leisten konnten. Vom einstigen Wohlstand künden uns besonders große und schön geschmückte Verlegerhäuser in Steyr am Stadtplatz und Wieserfeldplatz, in Neuzeug-Sierninghofen und Steinbach-Grünburg.
[1] Margit Prömer u. Heinrich Kieweg, Wissenschaftliches Konzept Messerermuseum Steinbach/Steyr (1995), 155 ff. – Margit Prömer, Messererzeugung in Steinbach an der Steyr. Phil.Diss., Graz 1999, 118 ff.
[2] Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie für das Jahr 1841, 14.Jg. (Wien 1844): 51.Industrie, IV. Eisen-Manufakturen
[3] Bericht der Gewerbe-Ausstellung Wien 1845. (Wien 1845), 190 ff.
[4] Levante: die Länder des östlichen Mittelmeerraumes
[5] Vgl. Ferdinand Treml, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Österreichs (Wien 1969), 377 ff.- zit. nach Max Danner, Sierning, (Sierning 1985), 151.
[6] Packfong: Messinglegierung, auch Weiß-Kupfer genannt, für Messergriffe (Hohlhefte) verwendet.
[7] Vgl. OÖ. Landesarchiv: Musealarchiv, Bd. 62 (rot), I/15.
[8] Alfred Hoffmann, Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich, Band 1 (Salzburg 1952), 366.
[9] Damaszenerstahl ist ein Gemenge verschiedener, innig miteinander verschweißter Stahlsorten. Dazu schmiedet der Schmied Stangen aus kohlenstoffreichem Stahl abwechselnd mit kohlenstoffärmeren aufeinander. Diese Pakete werden in glühendem Zustand in Stangen geschmiedet, in der Mitte geteilt, ev. wie eine Kordel gedreht, nochmals verschweißt usw. Je öfter dieser Vorgang wiederholt wird, umso feiner und zahlreicher werden die Lagen. Die aus dem Stahl geschmiedeten Klingen zeichnen sich durch besondere Güte und außerordentliche Härte aus. (Erst in neuerer Zeit ist die moderne Technik in der Lage, eine solche Härte bei Spezialstählen wie Chromnickelstahl oder Wolframstahl zu erreichen.)[9] Nach dem Polieren wird die Klinge geätzt, wodurch die Linien der Stahlschichten als Muster (Damaszierung) sichtbar werden.
[10] Schermesserer oder Scharsacher erzeugten ursprünglich Rasiermesser und Taschenfeitel, im 19. Jh. aber Schusterkneipe und Taschenfeitel.
Quelle: Jahrbuch des Stadtarchivs Steyr 2011, 3. Jg. Steyr 2011, 109 ff.