Von Josef Ofner
Zu allen Zeiten waren die Menschen um die Erhaltung ihrer Gesundheit besorgt. Vor allem in Städten, wo ihre Wohnungen gedrängt beieinanderlagen und daher ansteckende Krankheiten rasch um sich greifen konnten, waren besondere sanitäre Maßnahmen notwendig. Aus diesem Grund finden wir in größeren Siedlungen frühzeitig Spitäler, Siechenhäuser und andere Wohlfahrtseinrichtungen für Arme, Kranke und Pfründner. Zu den ältesten Fürsorgeanstalten dieser Art im Lande ob der Enns zählt das uralte Bürgerspital zu Steyr, das nach dem Brand 1302 die Gemahlin Albrechts I., Königin Elisabeth, wieder aufbauen ließ und 1313 mit einer Reihe von Stiftungen bedachte1). Es bestanden in diesem Jahrhundert in der Stadt schon Badestuben2), es gab ein Sondersiechenhaus3) und eine Bruderschaft, die sich der notleidenden Fremden annahm, die Elendzeche4). Die Heilkunst, damals wohl noch weitab von gründlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wurde an den Universitäten zu Montpellier, Paris, Bologna, Padua und Salerno gelehrt. In den deutschen Hochschulen errichtete man erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts medizinische Fakultäten5). Jedenfalls übten auch in der reichen Eisenstadt schon in diesem Jahrhundert akademisch gebildete Ärzte ihre Kunst aus und es besorgte ein Apotheker die notwendigen Heilmittel. Doch sind hierüber bis jetzt keine besonderen Nachrichten bekannt geworden. Erst die Archivalien aus dem folgenden Säkulum gewähren Einblick in die sanitären Verhältnisse. Sie erzählen von Ärzten, Apothekern und Badern.
Zahlreiche Vertreter des ärztlichen Standes waren Anhänger des Humanismus, jener geistigen Strömung, die, von Italien kommend, um 1500 auch bei uns Eingang fand. So hielt mit der Reformation der Arzt und Humanist Dr. Siegmund Wunder seinen Einzug in Steyr. Man wusste nicht, woher er kam, er war 1526 „plötzlich“ da. Der Rat bewilligte ihm nicht nur die Ausübung der ärztlichen Praxis, sondern gestattete ihm auch „die hebräische, griechische und lateinische Sprache, ohne welche die ersten beiden das Wort Gottes nicht möge gründlich verstanden werden, öffentlich zu lehren und die Bibel aus dem Grunde der hebräischen Sprache und St. Paulum der griechischen Sprache zu explizieren und zu lesen“6). Wunder wird wegen seiner Lehrtätigkeit als Begründer der evangelischen Lateinschule angesehen, die später zu hohem Ansehen gelangte7).
Nach Prevenhueber8) wohnte einige Jahrzehnte später, im Jahr 1568, auf Schloss Rosenegg der Medikus Andreas von der Brucken, ein kaiserlicher Diener, den die Leute allgemein „Monsieur Sani“ nannten. Um diese Zeit erwähnt auch Thomas Brunner, Rektor der Lateinschule, in einem an den Bürgermeister Sebastian Pischinger gerichteten Schreiben die Doktoren Bernfues und Crainer, ohne jedoch deren Berufstätigkeit näher anzugeben9).
Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts wirkten in Steyr vier „bestellte“ Stadtärzte. Vor dem Jahre 1575 war der „edle und hochgelehrte“ Dr. Laurenz Zimery als Medikus tätig. Nach seinem Tod vermählte sich im genannten Jahr seine Gattin Walpurga mit Magister Johann Schmidinger10), der wahrscheinlich um 1604 aus dem Leben schied11).
Im Jahre 1572 wurde Dr. Maternus Hammer von der Stadt in Bestallung genommen. Seine jährliche Besoldung betrug 100 Gulden, außerdem bekam er für Holz und Wohnungszins 25 Gulden12). Während seiner zwanzigjährigen Tätigkeit als Arzt erwarb er sich ein beachtliches Vermögen. Um je zwei Studenten aus Leipzig und Steyr das Studium an der Leipziger Universität zu ermöglichen, stiftete er ein Kapital von viertausend Gulden. Er war unverheiratet und wohnte im Hause des Matthäus Urkauf. Nach seinem Tod im Jahre 1591 entdeckte man anlässlich der Verlassenschaftsinventur in einer im Vorhaus zu seiner Wohnung stehenden unversperrten Truhe unter Hadern und alten Schuhen eine nicht unbedeutende Geldsumme. „Dr. Mathern“, wie er in den Ratsprotokollen genannt wird, fand seine Grabstätte in der Pfarrkirche, an der Südseite „beim kleinen Türl“13).
Am 15. Juni 1592 ernannte der Rat den Steyrer Dr. Wolfgang Ortner zum Stadtphysikus14). Im Dezember 1575 gewährte ihm die Stadt ein Stipendium zum Besuch der italienischen Universität Padua, doch knüpfte sie daran die Bedingung, dass er sich ordentlich aufführe und seinen Studien fleißig obliege15). 1577 kam Ortner wieder in seine Heimat und bat um weitere Hilfe zur Erlangung der Doktorwürde. Rasch vollendete er in den folgenden Jahren seine Studien, sodass er 1580 schon den Rat um Aufnahme als Stadtarzt ersuchen konnte16). Seine Bitte aber konnte wegen Dr. Hammer und der vielen „beschwerlichen Auslagen“ noch nicht erfüllt werden. Im nächsten Jahr begab er sich daher mit Bewilligung des Rates in den Dienst des Freiherrn Friedrich Hoffmann. Es wurde ihm jedoch aufgetragen, dass er sich der Stadt wieder zur Verfügung stelle, wenn er benötigt werden sollte17).
Ortner, der sich 1592 vermählte, bewohnte vom Jahre 1593 bis zu seinem Tod im Oktober 1615 die Schulräume im „Gemeinen Kasten“. Dieses Gebäude wurde zur Zeit der Reformation zu einem Armeninstitut eingerichtet, unterstand dem Bruderhausverwalter und befand sich in der nächsten Nähe des heutigen Stadttheaters18).
Fremde Ärzte, die vorübergehend in der Stadt ihre Kunst ausübten, begegnen uns selten. Nur 1578 ersuchte ein Leibarzt aus Bayreuth, jene Leute, so seiner begehrten, kurieren zu dürfen. Der Stadtrichter aber befahl ihm, von Steyr wegzuziehen und sich hier nicht betreten zu lassen, weil er mit seiner Arznei viele Leute verderbe19).
Der Stadtphysikus erhielt um 1600 als jährliche Besoldung 150 Gulden Rheinisch, gerechnet in „gutem barem Gelde“. Für eine Visite konnte er von vermögenden Bürgern fünfzehn, für eine Urin-Untersuchung in seiner Wohnung acht und für ein Rezept zehn Kreuzer fordern.
Ohne Wissen des Bürgermeisters durfte der Stadtarzt nicht verreisen20). Seine Anwesenheit war vor allem notwendig in Zeiten der Infektionen. Ansteckende Krankheiten waren im 16. Jahrhundert nicht selten, besonders heftig traten sie in den Jahren 1541/42, 1569/70 und 1584/85 auf21). Wurde in der Stadt der Ausbruch einer Suche von einem Ort bekannt, von dem aus sie vielleicht auch Steyr erreichen konnte, dann trafen Bürgermeister, Richter und Rat frühzeitig Maßnahmen, um die drohende Gefahr abzuwenden. Als 1575 aus Kremsmünster, Wien und Krems Infektionsmeldungen hier einlangten, wurde den hiesigen wälischen Maurern verboten, Arbeiter aus diesen Orten aufzunehmen und der Bevölkerung befohlen, die Schweineställe zu schließen22).
Trat nun trotz aller Fürsorge in der Stadt eine Seuche auf, so wurde die vom Rat unter Mitwirkung des Stadtphysikus ausgearbeitete „Infektionsordnung“ den Stadtbewohnern bekanntgegeben. Die älteste vorhandene Ordnung dieser Art stammt aus dem Jahre 1569, die sonderbarerweise nicht der damalige Stadtarzt, sondern der Prädikant Basilius Kamerhofer entwarf23). Sie wird eingeleitet mit dem Psalm 121: „Unser Hilf kommt vom Herrn, der Himmel und Erden gemacht hat.“ Im 1. Abschnitt folgen die Anordnungen für den Pfarrer und das Ministerium. Unter anderem wurde verlangt, dass in „Pestilenzzeiten“ in der Kirche während des Gottesdienstes vorne im Chor, um den Predigtstuhl und im rückwärtigen Teil geräuchert werde, wobei Eichenlaub und Holz von Wacholderstauden zu verbrennen waren. Infizierte Personen, für die ein eigener Priester, der „Pestilentiales“, zu sorgen hatte, durften sich nicht unter das Volk mengen, doch die Kinderlehren und der Unterrichtsbetrieb mussten bei einem leichten Verlauf der Krankheit weitergeführt werden. „Dem Schulmeister aber soll man befehlen, daß er ein fleißig Aufsehen auf die Kranken habe, und so er etwan erführe, daß in einem Haus die Infektion märe, daraus einer oder mehr Knaben zu ihm in die Schule gingen, da soll er dieselben Knaben, ob sie gleich noch gesund seien, heißend daheim bleiben und sie nicht unter die anderen Kinder kommen lassen.“
Der zweite Teil dieser weitläufigen Infektionsordnung forderte von den Apothekern die Vorsorge mit „hilfreichen Arzneien wider die Ansteckung“, die den armen Leuten auf Kosten des Rates ausgefolgt wurden. Durch einer „geschickten“ Arzt und andere „verständige“ Personen war die Apotheke von Zeit zu Zeit zu inspizieren. Für den „gemeinen Mann“ hatte der Medikus einen „kurzen, einfältigen Bericht“ über das Verhalten in Infektionszeiten abzufassen. Dieser konnte in der Apotheke eingesehen und abgeschrieben werden.
Die Betreuung der Infizierten oblag einem eigenen Bader, dem eine abgesonderte Wohnung in der Nähe des „Pestilentiales“ zugewiesen wurde. Er war verpflichtet, die Kranken fleißig zu besuchen, ihnen die Pflaster aufzulegen, die Beulen zu öffnen und die für die Infizierten bestellten Wärterinnen in der Krankenpflege zu unterweisen. Als wöchentliche Gabe für ihren gefährlichen und anstrengenden Dienst erhielten diese Pflegerinnen nur zwei Laib Brot oder sechs bis acht Kreuzer. Bei unrechtmäßiger Annahme dieser Belohnung wurden sie ernstlich bestraft und „stracks“ aus der Stadt gewiesen.
Infizierte Leute durften weder im Bürgerspital noch im Bruderhaus aufgenommen werden. Wegen der damals noch abgesonderten Lage war letzteres ursprünglich das Sondersiechenhaus24). Wahrscheinlich schon unter Kaiser Maximilian I. zu einer selbständigen Herrschaft erhoben, wurde es in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Unterbringung verarmter Bürger verwendet25). In der Infektionsordnung vom Jahre 1569 findet sich der Hinweis, dass der Stadtrat „bei dem Wasser der Steyr“ den Bau eines eigenen Hauses mit „vier unterschiedlichen Zimmern, Stuben und den zugehörigen Kammern“ für die „gemeinen infizierten Leute“ angeordnet habe. Tatkräftig gefördert durch die Stiftungen der Bürger Benedikt Aettl und Ulrich Lichtenberger wurde bald nach 1569 das Herrenhaus erbaut26).
Häuser, in denen zum ersten Mal die Ansteckung auftrat, ließ man sperren, den dort wohnenden Kranken jedoch alle Notdurft zuteilwerden. Bei einer Ausbreitung der Seuche hingegen waren die Wohnungen offen zu lassen, da eine Schließung derselben wenig Sinn mehr hatte.
Die oberste Aufsicht über alle Erkrankten wurde einer „betagten Amtsperson aus der Bürgerschaft“ übertragen, die wöchentlich ein Verzeichnis der Infizierten dem Bürgermeister vorlegen musste. Dieser „Infektionsaufseher“ hatte auch anwesend zu sein, wenn Leute, deren Krankheit nicht einwandfrei feststand, vom Stadtarzt und Bader zu untersuchen waren. Eine andere „ungebrechliche, müßige, doch betagte Person“, womöglich der Bettelrichter, sollte die Infizierten auskundschaften. Er durfte „reine“ Häuser nicht betreten und wohnte abgesondert beim Totenträger und Totengräber. Leute, die der Seuche erlagen, wurden außerhalb der Stadt begraben. Im Pestjahr 1541/42 bestattete man sie im sogenannten „Weichselgarten“ in der Nähe des Bruderhauses27).
Zur Zeit der Infektion wurden die Bäder geschlossen, Handwerkszusammenkünfte verboten, bei Hochzeiten das „Freudenspiel“ weder zum Kirchgang noch bei der Mahlzeit, zu der nur „ein bis zwei Tisch Gäste“ geladen waren, gestattet. Es erfolgte die Einstellung öffentlicher Unterhaltungen wie Tanzen, Schießen und Spielen auf gemeinen Plätzen, der Besuch der Fechtschulen, das Zechen und „Gästsetzen“ in Wein- und Bierhäusern sowie die Abschaffung aller „Branntweintischlein“. Zu meiden waren Schwämme und Obst, das „nur zum Genäsch“ diente, „dieweil es nur faule Fieber und andrer Krankheiten in des Menschen Leib gebärt.“
Besonderes Augenmerk schenkte man den Fremden. Sie mussten sich außerhalb der Stadt eine Herberge suchen. Wandersleute begleitete der Torhüter durch die Stadt und führte sie bei dem anderen Tor wieder hinaus. Der Rat verlangte, dass solche Personen nicht unfreundlich abgewiesen, „vielweniger mit Geißeln und Prügeln“ weggetrieben werden. Hiesige Bürger, aus „verdächtigen Orten“ kommend, erhielten erst Einlass, wenn sie sich acht bis zehn Tage an „frischen, gesunden Orten“ vor den Stadtmauern „ausgelüftet“ hatten.
Außer diesen Weisungen enthält die Infektionsordnung schließlich noch verschiedene Vorschriften über die Reinigung der „unsauberen“ Winkel, der Kuh- und Schweineställe, über die Behandlung des Bettgewandes der Erkrankten, der Lebensmittelvorräte und besondere Bestimmungen für die Fleischhauer.
Als 1583 abermals Seuchen die Stadt bedrohten, beschäftigte sich der Rat neuerdings in mehreren Sitzungen mit der Ausarbeitung eines Infektionsgesetzes28). Wie aus einem an die Niederösterreichische Regierung gerichteten Bericht vom Dezember 1598 über die Verbreitung der „leidigen Seuch der Infektion“ im Ennstal und in Linz hervorgeht, war es aber häufig trotz aller „gebührlichen Fürsehung“ nicht möglich, den Ausbruch einer Infektionskrankheit zu verhindern. „Was aber hierige Stadt anlangt“, so schreiben die Steyrer, „ist es ein sehr weitschweifiges offenes Wesen und das mehrer Volk in Vorstädten beisammen, allda sich bald etwas ereignen kann“29).
In inniger Zusammenarbeit mit den Ärzten finden wir die Apotheker. War es doch schon im 14. Jahrhundert üblich, dass die Ärzte selbst die Medikamente aus der Apotheke holten und den Patienten reichten30).
Vor vierhundert Jahren befand sich in Steyr die Apotheke im Hause Enge Nr. 931). Wie sich hier der Geschäftsbetrieb gestaltete und welche Ausbildung von den Pharmazeuten verlangt wurde, schildert uns eingehend die mit 4. Dezember 1577 datierte „Ordnung, wie es in der Stadt Steyr mit den Apothekern gehalten werden solle“32).
Nicht an der Hochschule, sondern durch praktische Unterweisung in einer Apotheke wurde damals die Arzneikunst erlernt. Der Lehrjunge musste in Gottesfurcht und Ehrbarkeit erzogen, bei „ziemlichem Alter und Verstand“ und der lateinischen Sprache „etlichermaßen“ kundig sein. Nach Ablauf der sechsjährigen Lehrzeit hatte er vor approbierten Ärzten, einem Apotheker und verordneten Ratsherren eine mündliche und praktische Prüfung abzulegen. Die Voraussetzungen zur selbständigen Führung einer Apotheke waren der Bürgereid und ein größeres Vermögen zur Beschaffung der notwendigen Heilmittel. Der Apotheker, dem es untersagt war, zwei Apotheken zu halten, musste unter Eid versprechen, dass er weder schädliche noch giftige Stoffe ohne Wissen des Arztes ausgeben und „niemand wider die Gebühr und ordentliche Tax übernehmen“ werde. „Zum andern“, schreibt die Ordnung vor, „sollen die Apotheker ihren Apotheken fleißig und allein beiwohnen, sich mit anderen Geschäften, Sorgen und Händln, vielem Hin und Wider, zumal unnötigen Reisen, Gesellschaften und Trinken nit beladen und überlegen, sondern sich selbst, so viel möglich, obbegriffener Verhinderung, besonders der Trunkenheit enthalten und ihren Dienern solches nit gestatten. Wo aber einer mit einem übrigen Trunk und Wein übereiletbeladen, so soll er auf dieselbig Zeit Arznei zu machen unterlassen. Da auch Völlerei und unordentliches Leben bei den Apothekern und ihren Dienern befunden wurde, sollen ihnen die Doktores und Aerzt das untersagen, vor Strafe warnen, daß sie selbst desselben abstehen und ihren Dienern nit gestatten. Wo aber solche Warnung nit verfänglich sein wollte, alsdann die Verbrecher der Obrigkeit zur Strafe anzeigen.“ Besonders empfohlen wird den Apothekern, sich um geschickte, in der Kunst erfahrene und nüchterne Diener oder Gesellen umzusehen, die vor der endgültigen Aufnahme acht oder vierzehn Tage lang zu „versuchen“ waren.
Von den damals in Steyr ansässigen Apothekern sind bis jetzt nur nachstehende Namen bekannt geworden: 1543 Thomas Glück33); 1567 Gabriel Lacher34); 1572 Simon Zügenhopf, Apothekergeselle, der in diesem Jahr die Witwe nach Lacher ehelichte35); 1572 Jörg Vordermair aus Bayern36); 1573—1598 Wolfgang Glückh37).
Großen Wert legte man auf die Zubereitung und Aufbewahrung der Arzneien, die „jederzeit frisch, gerecht und gut“ sein mussten. Die Heilkräuter, „zart und lind von Natur“, durften nicht unverdeckt an der Sonne gedörrt werden, denn sie sollten auch nach dem Trocknen ihren natürlichen Geruch, Geschmack und ihre Farbe behalten, außerdem waren sie von „Stingeln und anderen eingemischten Sachen“ zu säubern. Kraftlose oder „schimpelige“ Heilmittel zu verkaufen, zweierlei Sorten, gute und schlechte, zu führen, war streng untersagt.
Wie vom Arzt, so verlangte man auch vom Apotheker größte Reinlichkeit, vor allem aber die Aufbewahrung der Medikamente in sauberen, irdenen „verlasürten“ Gefäßen. Die Zubereitung und Zusammenstellung der Arzneien sollte unter Aufsicht des Arztes geschehen: „Wenn ein Apotheker ein compositum machen will, soll er alle ingredientia oder Stück, jedes besonderbar auf ein Papier legen und dieselben nit durcheinandermischen, es habe denn der verordnete Doktor oder Arzt dieselb alle zuvor genugsam besichtiget, ob sie gut, gerecht und nit verlegen sein, und so die Stuck also für gut und recht befunden, soll sie der Doktor oder Arzt nach rechter Ordnung und Maß vermischen, alsdann soll der Apotheker das angefangen compositum fleißig und nach Art der Kunst ausmachen. Die Arzneien, darein Bisam, Ambra, Edlgestein genommen wird, sollen dieselben Stück im und nit außer Beisein des Doktors, so solch Rezept geschrieben und verordnet hat, gestoßen und vermischt werden.“
Zwei Arzneimischungen jedoch durften die hiesigen Apotheker nicht selbst Herstellen: Theriak und Mithridat. Als Urheber der letzteren Latwerge wird Mithridates Eupator, König von Pontus, angesehen. Zur Theriakbereitung wurden zusätzlich Schlangenfleischzeltchen, bestehend aus Brot und dem Fleisch der bei uns nicht heimischen Redischen Viper, verwendet38). Beide Heilmittel bezog man aus Italien. In der Apotheker-Ordnung findet sich deshalb folgende Weisung: „Theriaca Andromachi39) und methridat, so zu Venedig und sonst im welschen Land gemacht würdet, denselben mögen sie ausgeben und gebrauchen.“
Verboten war den Apothekern auch das „Zuckermachen“ und die Ausgabe von Arzneien ohne Verordnung des Arztes, außer es hatte jemand ein „bewährt und gut Rezept für eine oder andere Krankheit“. Besondere Bestimmungen bestanden für die Verabfolgung giftiger Medikamente. Die zu Anfang des 17. Jahrhunderts in den Apotheken geführten Heilmittel, es sind weit über elfhundert, enthält ein im Stadtarchiv verwahrtes Verzeichnis aus dem Jahre 160540).
Der Stadtphysikus war verpflichtet, im Beisein von Ratskommissären die Apotheken „unversehens und ungewarnet“ zu visitieren, wobei er in erster Linie die fehlenden Arzneien festzustellen hatte. Über die Visitation im Oktober 1583 z. B. berichten die Ratsprotokolle: „Die Apotheker sein fürgefordert und ihnen der Abgang in den Apotheken, auch ihr Ueppigkeit scharf verwiesen und dabei mit Ernst auferlegt worden, daß sie sich um die abgängigen Stück bewerben und in nächster Visitation nit also befinden lassen sollen, damit andere Mittl geen sie fürzunehmen nit Not werde41).
Arzt und Apotheker zugleich war in gewisser Hinsicht vor Jahrhunderten der Bader, denn er nahm chirurgische Eingriffe vor und bereitete Salben und Pflaster. Er bezeichnete sich als Wundarzt und war in den meisten Fällen Inhaber eines Bades.
Nach dem Steuerbuch aus dem Jahre 1543 bestanden Badestuben in Steyrdorf und in der Stadt. Letztere befand sich an der unteren Zeile des Stadtplatzes hinter dem Haus Hans Straßers und zwischen den Besitzungen des Bartholomäus Stettner und des Leonhard Mullmair. Im März 1522 soll hier der große Stadtbrand zum Ausbruch gekommen sein. Ein enges Gässchen, das einstige „Badgassl“, führt zum Haus Stadtplatz Nr. 37, wo man noch Reste dieser uralten Badeanlage zu erkennen vermag42).
Aus dem 16. Jahrhundert sind uns die Namen folgender Bader und Barbiere überliefert: Paul Marckh (1546,1552)43); Pankraz Schwarz (1567)44); Siegmund Schmidt (1567, 1574)45); Klemens Tugenthafft, Wundarzt und Bruchschneider (1570)46); Hans Heindl (1577, 1616)47); Ulrich Rumpl (1583, 1592)48); Linhard Scheichl (1589)49); Sigmund Mareer (1589)50); Simon Huber (1592)51); Hans Schwechern (1596)52); Christoph Fürschlager (1605)53). Die Anwesenheit des Franzosenarztes Thomas Heiß54) in den Jahren 1588/89 lässt darauf schließen, dass die gefürchtete „Franzosenkrankheit“, von der „die alten medici nichts gewußt“55), in Steyr nicht unbekannt war.
Im Sommer 1589 bestätigte der Rat den hiesigen Wundärzten eine umfangreiche Handwerksordnung, die Ulrich Rumpl zum Urheber hatte.56) Sie enthält vorerst Bestimmungen, wie sie häufig auch in anderen Zunftordnungen zu finden sind. Die Lehrzeit dauerte drei Jahre, die Aufdinggebühr betrug für Meister und Lehrling je 4 Schillinge, bei 4jähr. Lehrzeit war dem Lehrling ein „Lehrkleid“ im Wert von 50 Gulden zu geben. Weder Knecht noch Lehrling durften im Sommer über neun, im Winter über acht Uhr abends außer Haus verweilen, entlaufenen Lehrlingen wurde die Aufnahme verweigert. Weitere Artikel betreffen die Handwerksstrafen, die Freisprechung, die Entlohnung der Knechte und „Schöpfer“, die Zechmeisterwahl zu Weihnachten und die alle Quatember stattfindenden Handwerkszusammenkünfte.
Von besonderem Interesse aber sind die Vorschriften über die Meisterprüfung, die vor dem Stadtphysikus und den Handwerksmeistern abzulegen war. Der angehende Meister hatte vier Pflaster und vier „Materier-Salben“57) herzustellen und musste außerdem eine mündliche Prüfung oblegen. Von den 59 in der Bader-Ordnung vorgesehenen Prüfungsfragen seien hier einige samt den Antworten in der damaligen Ausdrucksweise wiedergegeben:
„Welches sind die vier Hauptglieder und die vier tödlichen Wunden? — Es sind das Hirn, das Herz, die Leber und die Niern, und diese Wunden sind tödlich.
Wann einer stark an das Haupt geschlagen wird und die Haut ganz ist, wobei kann man es erkennen, daß die Hirnschal zerschlagen ist? — Wann man ihm mit ein Instrument aus den Zähnen rastelt, ist die Hirnschaln zubrochen, so mag er es nit leiden.
Wann einer in den Leib gestochen wird, wobei mag man erkennen, wöliches Glied verletzt oder verwundt sei worden? — Also mag man erkennen, wöliches Glied troffen sei: Ist die Leber wund, so ist das Blut rot, ist aber die Lungl wund, so schaumt oder feimt das Blut, ist das Herz verwundt, so ist das Blut schwarz. Diese innerliche Verletzung sind zum Teil tödlich.
Von wannen kommt der Kropf? — Er kommt oft von unnatürlichen Remedy58), da man zu einem Schaden unerfahrene Arznei braucht, die den Wunden und allen Schaden zuwider seind.
Wann einer gestochen war und ihm die Därmb heraushingen, wie soll man ihm helfen? — Ist die Wunden eng, so wollt ich sie weiter schneiden und die Därmb hineintun, die Lucken heften und mit Stichpflaster heilen und mit warmen Bauschen verbinden.“
Der Prüfling wurde ferner gefragt, was zu tun sei, wenn sich einer die „Axl“ ausgefallen habe, wie böses Fleisch („pes Fleisch“) und Brandwunden geheilt werden können, woher die Feigwarzen kommen u. dgl. mehr.
Die Behandlung der Krankheiten war Sache des Arztes, solche zu kurieren war den Badern streng untersagt. Klemens Tugenthafft musste innerhalb von zwei Monaten die Stadt verlassen, weil er nicht allein die „Kunst der Wundarznei“ ausübte, sondern auch Krankheiten heilte, „was allein Doktores und Gelehrten gebührte“59).
Wie die Wundärzte wurden auch die Barbiere geprüft, da zu ihrer Beschäftigung nicht nur das Bartscheren und Haarschneiden, sondern auch das Aderlassen gehörte. Sie mussten hauptsächlich die für den Aderlass günstigsten Zeiten kennen, wobei Mondphasen und Tierkreiszeichen eine besondere Rolle spielten.
In den Bade- und Barbierstuben sahen die Meister auf größte Sauberkeit. Infizierte Personen hatten keinen Zutritt. Gebadet wurde am Donnerstag und am Samstag60). Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden in den Häusern der Bürger viele kleine „Badstübl“ eingerichtet, wo die Baderknechte das „Köpfllassen“61) vornahmen. Nur an Samstagen durften sie nach zwölf Uhr mittags nicht mehr bei den Bürgern arbeiten, da die öffentlichen Bäder von „gemeinen Leuten“ stark beansprucht waren.
Wenig wissen wir aus der Praxis der Bader. Nur von Hans Heindl erzählen 1577 die Ratsprotokolle, dass er als angehender Meister dem inhaftierten Mörder Hans Fidler, der aus „teufelischer Eingebung“ einen Krug zerbissen hatte, Scherben aus dem Rachen entfernen sollte. Da ihm aber die nötige Erfahrung fehlte und er über keine geeigneten Instrumente verfügte, drangen die Fremdkörper noch tiefer in den Schlund ein. Der Rat verurteilte deshalb Heindl zur Zahlung von sieben Talern. Im Hinblick auf seine Jugend aber wurden ihm fünf Taler nachgesehen62).
Wurde im 16. Jahrhundert die medizinische Wissenschaft durch die Lehren des berühmten Arztes und Naturforschers Paracelsus gefördert, so erzielte sie im folgenden Jahrhunderte keine nennenswerten Fortschritte, ja es machte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in mancher Hinsicht ein Rückgang bemerkbar. Es blieben daher im 17. Jahrhundert auch in Steyr, wenn wir von der Errichtung zweier Lazarette63) und der Verbesserung der Wasserversorgung absehen, die sanitären Verhältnisse im Wesentlichen unverändert.
Anmerkungen: (Rp. — Ratsprotokoll, F. — Faszikel, K. — Kasten, L. — Lade. T. — Testament.
Sämtliche Archivalien befinden sich im Stadtarchiv Steyr.)
- X. Pritz, Beschreibung und Geschichte der Stadt Steyr, S. 105. — R. Klunzinger, Stadtentwicklung, Baugeschichte und Stadtbild. Die Städte Deutschösterreichs. Bd. II, Steyr u. Bad Hall. 5. 22.
- Oe. Urkundenbuch. Bd. 6, 5. 466 f. (T. des Peter Ponhalm v. 1.2.1344.)
- Bd. 7, 5. 721 (T. des Jakob Kundler v. 14.9.1360).
- Bd. 8, 505. — F. Berndt, Die Elend-Zeche und die Elend-Kaplan-Zeche in Steyr. Manuskript.
- Peters, Der Arzt und die Heilkunst in der deutschen Vergangenheit. Leipzig, 1900. S. 14, 25.
- Prevenhueber, Annales Styrenses. 5. 229.
- Rolleder. L. Pillewizer, Die Schulen der Stadt Steyr in der Reformationszeit. Beiträge zur österreichischen Erziehungs- u. Schulgeschichte. Heft XVIII. 5. 9 f.
- Prevenhueber, a. a. O., S. 285.
- Rolleder, L. Pillewizer, a. a. O., S. 26.
- T. Buchstabe Sch, K. XI, L. 16. Heirats-Donation 1575.
- T. des Johann Schmidinger 1604.
- 1572, Bd. 2, S. 482.
- Prevenhueber, a. a. O., S. 507.
- 1592, S. 229.
- 1575, Bd. 4, S. 795.
- 1577, Bd. 5, S. 698, 706; — Rp. 1580, S. 220.
- 1581, Bd. 8, S. 212 f.
- 1576, Bd. 5, S. 1; — Rp. 1593, S. 156. — Schon 1576 verlangte Dr. Hammer diese Schulräume für Wohnzwecke. — K. Eder, Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung. 5. 415. — K. Eder, Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns 1525—1602. S. 156.
- 1578, Bd. 6, S. 98.
- Instruktionen 1568—1774. Mittelkasten, L. 18, Nr. 1145: „Instruktion für beide Stadtphystkos Wolf Ortner 1592 und Josef Dalern 1616“.
- X. Pritz, a. a. O., S. 185, 209, 214, 218, 225.
- 1575, Bd. 4, S. 702.
- Allgemeines Sanitätswesen 1598—1775. R. III, L. 20, Nr. I: „Bürgermeister, Richter vnd Raths der Statt Steyr Infection Ordnung 1569. Versaßt von Basilius Kamerhofer Gemainer Statt Steir ordentlichen Predicannten“.
- Sierningerstraße Nr. 55.
- Bergthaler, Die Bruderhausstiftung in Steyr und ihr Besitzstand in der geschichtlichen Entwicklung. Hausarbeit für die Mittelschullehrerprüfung. 1946. Manuskript.
- X. Pritz, a. a. O., S. 16.
- Prevenhueber, a. a. O., S. 261 f.
- 1583, Bd. 10, S. 192, 198, 224, 250.
- Allgem. Sanitätswesen 1598—1775. K. III, L. 20, Nr. 1.
- Peters, a. a. O., S. 23.
- Berndt, Alte Häuser in Steyr. Steyrer Zeitung v. 7.2.1929.
- Allgem. Sanitätswesen 1599—1775. K. III, L. 20, Nr. III. Die „Ordnung“ wurde am 21.10.1585 abgeändert und ergänzt.
- Mitteilung des Hn. Oberbaurates Ing. F. Berndt.
- Steuerbuch 1567, S. 25.
- 1572, Bd. 2, S. 248.
- 1572, Bd. 2, S. 109.
- Berndt, Alte Häuser in Steyr. — Steuerbuch 1586, S. 35, 1597, S. 44.
- Peters, a. a. O., S. 107, — Theriak war ein berühmtes Gegengift aus ungefähr 70 Arzneimitteln.
- Nach dem Arzt Andromachus, der in Form einer Dichtung das Theriakrezept abfasste. H. Peters, a. a. O., S. 108.
- Allgem. Sanitätswesen, Nr. IV.
- 1583, Bd. 10, S. 217, 240.
- Berndt, a. a. O.
- Erbschaftssachen 1442—1599. K XI, L. 19. — T. Buchstabe M.
- Steuerbuch 1567,
- — T. Buchstabe Sch.
- 1570, Bd. 1, S. 266.
- Bd. 5, S. 488. — T. Buchstabe H.
- Bader 1589—1745. K. XI, L. 2. Handwerksordnung der Bader 1589, Umschlag. — T. Buchstabe R. — Rp. 1592, S. 229.
- Bader, a. a. O.
- 1592, S. 140.
- Buchstabe Sch.
- Buchstabe F, V.
- 1588, 133; — 1589, 536. — Auch 1585 wird ein Franzosenarzt erwähnt (Rp. Bd. II, 368),
- Eder, Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung. S. 95 f., Anmerkung 5.
- Bader 1589—1745. A. XI, L. 2 Nr. 1: „Der pader vnd palbirer Zue steyr Handwerchsordnung Jm 1589 Jar“. Als Umschlag dient der Heiratsbrief des Ulrich Rumpl aus dem Jahre 1585 (Pergament). — Rp. 1589, 306, 103.
- Materieren: das Meisterstück machen.
- Remedieren: heilen; — Remedium: Heilmittel.
- 1570, Bd. 1, S. 266.
- 1585, S. 384. — F. Bader, a. a. O., Handwerksordnung 1589.
- Blutentnahme mit Schröpfköpfen (Ventosen).
- 1577, Bd. 5, 5. 488 ff.
- Plautzenhof 1679, Lazarett St. Joseph 1683. — F. X. Pritz, a. a. O., S. 16.
Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft November 1950