Zusammengestellt von Ing. Wolfgang Hack aus einem unveröffentlichten Manuskript von Hanns Doppler, Steyr im Juni2011
Das Heerwesen des 19. Jahrhunderts war von zwei wesentlichen Entwicklungen gekennzeichnet:
Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Modernisierung der Waffentechnik.
Seit dem 15. Jhdt. beschäftigten sich Waffentechniker mit der Konstruktion von Hinterladern und im Jahr 1770 legte der Schlosser und Turmurmacher Guiseppe Crespi, ein gebürtiger Mailänder, der Heeresverwaltung eine Konstruktion vor, nach der jeder Vorderlader rasch zu einem schneller feuernden Hinterladergewehr umgebaut werden konnte.
Das System beruhte auf einer Art Kammerladung, der Lauf war hinten schief abgeschnitten, der abgeschnittene Teil konnte wie ein Kammerstück nach aufwärts geklappt werden. Die Patrone wurde im aufgeklappten Zustand eingeschoben, musste aber vorher oben abgebissen werden. – Daher wurde bei den Soldaten besonders auf ein gutes Gebiss geachtet.
Die Versuchskommission war vom Vorschlag begeistert, Guiseppe Crespi erhielt 1500 Dukaten Entlohnung und man begann mit dem Umbau der Infantriegewehre.
Im Gebrauch entsprachen die Gewehre allerdings nicht den Erwartungen, denn ein lange ungelöstes Problem trat auf: Der Verschluss war undicht und durch das ausströmende Gas wurden viele Unglücksfälle, Verbrennungen der Hände und des Gesichts sowie Erblindungen verursacht.
Ähnlich erging es zehn Jahre später dem genialen Erfinder Girardoni aus Ampezzo in Südtirol, dessen Auftrag über 1000 Stück eines Repetiergewehrs vom Ärar zurückgezogen wurde, da man “um die Sicherheit der Schützen Befürchtungen hegte.“
Er selbst wurde Opfer seiner Versuche, da ihm eine Magazinexplosion den linken Arm zerschmetterte. – Unverdrossen arbeitete er – wir Götz von Berlichingen – mit einer eisernen Hand weiter.
Vom gefährlichen Schießpulver hatte er allerdings genug und er wandte sich der Expansionskraft komprimierter Luft zu.
Er entwickelte eine Windbüchse mit einem 13 mm kalibrigen, 12 – zügigen Lauf, die als Repetierwaffe mit rauch – und beinahe knalllosem Schuss über 35 Jahre in der österreichischen Armee eingeführt war. Die Luftflasche reichte für etwa 30 Schüsse auf 150 Schritte, die Schussgeschwindigkeit betrug 40 Schuss in der Minute, jeder Windbüchsenschütze führte 4 Flaschen mit sich.
Letztmalig wurden die Windbüchsen 1866 in der Festung Olmütz verwendet, da für einen weiteren Ausbau tüchtige Büchsenmacher fehlten und der Flaschennachschub große Schwierigkeiten bereitete.
Ende des 18. Jhdt. hatte die österreichische Armee verschiedene Systeme, verschiedenste Kaliber und in einer Kompanie waren bis zu drei verschiedenen Gewehrtypen vertreten.
In dieser Verfassung musste unsere Armee in die Franzosenkriege ziehen, die eine gänzlich neue Taktik zur Anwendung brachten:
Die regelmäßige Lineartaktik baute auf die Fertigkeit in der Abgabe rascher, runder Peloten – und Compagnie – Salven.
Plötzlich sahen sie unsere Soldaten einem scheinbar regellosen Haufen kämpfender Conventsoldaten gegenüber, die bei geschickter Terrainbenutzung aus den 1777 neu konstruierten und leistungsfähigen Gewehren ein sehr gezieltes und wirksames Feuer abgaben.
Über Nacht hatte das Geschwindschiessen der Lineartaktiker an Bedeutung verloren, das „Gut – Schiessen“ war Überlebensfrage geworden.
Es wurden neue Jägercorps aufgestellt, ein neuer Gewehrstandard, das Modell 1798 entstand.
Dieses Gewehr wurde in allen Waffenfabriken der Monarchie gebaut, erst war es mit einem Feuerstein, – dann mit einem Schnapphahnschloss, dann wieder mit einem verbesserten Feuersteinschloss ausgerüstet.
Und dann griff die Chemie in das Feuerwaffenwesen ein.
1774 entdeckten Pristley, Scheele und Lavoisier den Sauerstoff, 1786 gelang die Darstellung des chlorsauren Kalis durch Berthollet und von Knallquecksilber durch Howard.
Die Waffentechnik bemächtigte sich sofort der neuen chemischen Zündarten, die eine grundlegende Änderung in der bis dahin ungelösten Schlossfrage bewirkten sollte.
Endlich war das Schießen unabhängig von Wind und Wetter, die das Pulver aus der Pfanne wegbliesen und das Zündkraut anfeuchteten, die Entzündung des Pulvers geschah mit chemischen Mitteln, der Zündkapsel, die ihrerseits durch das Perkussionsschloss (Kapselschloss in Österreich) zur Explosion gebracht wurde. Von 1825 bis 1840 wurden alle Militärgewehre, Luxus – und Jagdwaffen auf Perkussionsschlösser umgebaut.
Doch auch diese Entwicklungen entsprachen den Anforderungen der Praxis nicht, dennoch rückten unsere Truppen 1859 mit einem etwas verbesserten System, dem Augustinischen System von 1840 in den Feldzug.
Die Notwendigkeit, die Armee mit einem gut schießenden, gezogenen und rasch zu ladenden Gewehrs auszurüsten, führte 1854 zur Einführung des gezogenen Vorderlader – Compressions – Gewehrsystems Lorenz – Wilkinson .
1852 hatten der k.k. Oberwerkführer Lorenz im Arsenal zu Wien und 1853 der englische Gewehrfabrikant Wilkinson unabhängig voneinander eine Erfindung gemacht, die auf der Trägheit der Materie beruht. Die Kraft, die sich durch eine Pulverexplosion entwickelt, pflanzt sich vom Boden des Geschosses zur Spitze fort. Wird nun der Geschossboden mit zwei tiefen Rillen versehen, werden diese beim Abschuss auseinandergestaucht und in die Züge eingetrieben.
Durch den dichteren Rohrabschluss wird eine kräftigere Kompression der Verbrennungsgase erreicht, damit eine höhere Beschleunigung der Geschosse und durch die straffe Geschossführung eine bessere Zielsicherheit.
Die Gewehre wurden entsprechend umgerüstet, das Augustinische Schloss durch ein Kapselschloss, dann durch ein Expansionsschloss ersetzt.
Und mit diesem Gewehr zog die österreichische Armee in den Krieg von 1866 gegen Preußen, ausgestattet mit dem Hinterlader – Zündnadelgewehr System Dreyse, um in der Schlacht von Königgrätz eine vernichtende und das Antlitz Europas prägende Niederlage zu erleiden.
Die österreichischen Verluste durch preußische Waffen wirkten sich wie folgt aus:
3 v.H. durch Artilleriewirkung
4 v.H. durch blanke Waffen und Cavalleriemunition(Pistolen)
3 v.H. für nicht nachweisbare Fälle
90 v.H. durch Geschosse des Zündnadelgewehrs
Die preußischen Verluste durch österreichische Waffen:
78,5 v.H. durch Gewehrgeschosse
16 v.H. durch Artilleriefeuer
5,5 v.H. durch Säbel, Lanze oder Bajonett
(Statistiken des hessischen Majors Wilhelm von Plönnies, 1872)
Eine überlegene strategische Führung und das preußische Zündnadelgewehr siegten über strategische Fehler und das österreichische Vorderladergewehr bei Überlegenheit der österreichischen Artillerie und den leider vergeblichen Heldenmut unserer Offiziere, Infanteristen und Jäger, die im Nahkampf mit dem Bajonett die Unterlegenheit der Schusswaffe auszugleichen suchten.
Das Verhältnis der Verwundeten Preußen – Österreich betrug 1 : 4,43
Das Verhältnis der Feuergeschwindigkeit 1 : 4 bis 1 : 5
„So schnell schießen die Preußen nicht“ war aber offensichtlich die Meinung der österreichischen Heeresführung, denn das Zündnadelgewehr der Preußen, ein Hinterladergewehr, war ihnen durchaus seit längerem bekannt.
Nikolaus Dreyse, 1787 in Sömmerda geboren, erlernte das Schlosserhandwerk im väterlichen Betrieb und wanderte 1809 nach Paris. In der großen Waffenfabrik des Obersten Pauly beschäftigte er sich vermutlich bereits mit der Entwicklung eines kriegstüchtigen Hinterladergewehres, da bereits Napoleon I. einen bedeutenden Preis dafür ausgesetzt hatte.
Nach seiner Rückkehr in den väterlichen Betrieb führte er die Versuche erst 1836 zu Ende, da auch er das Problem hatte, das hintere Laufende gut abzudichten.
Dies löste er durch einen Zylinderverschluss aus drei ineinandergeschobenen Hohlzylindern.
Pulverladung, Zündmasse und Geschoss wurden durch eine Papierhülle zu einer patentierten Einheitspatrone vereinigt, wodurch die Feuergeschwindigkeit gleichfalls erhöht wurde.
„Die Entscheidung liegt nicht mehr im Feinschiessen, sondern im Massenfeuer auf solche Entfernungen, wo die unvermeidlichen Fehler in der Schätzung unschädlich werden“ (Moltke, 1856)
Die Probe aufs Exempel fand 1864 im Feldzug gegen Dänemark statt, bei dem die Dänen etwa 10.000 Tote, davon 84 v.H. durch das Zündnadelgewehr, zu beklagen hatten.
Den Regierungen der europäischen Staaten waren diese Tatsachen keine Geheimnisse und Österreich hätte darauf sofort durch Reorganisation seiner Armee und entsprechender Bewaffnung reagieren müssen. Auch war der österreichischen Regierung bekannt, dass der König von Preußen dem König von Sardinien einen Kriegsplan gegen Österreich vorgelegt hatte, in dem es ausdrücklich hieß:…“dass man den beiden natürlichen Gegnern des werdenden Deutschland (Österreich und Frankreich) gegenüber, Intrigen und allen halben Maßnahmen entschieden abgeneigt, zum Kampf auf Leben und Tod entschlossen sei. Die einzig zulässige Form, in welcher die deutsche Nation um ihre Existenz zu kämpfen hätte, sei der Vernichtungskrieg. „
Dagegen die Sprache Österreichs, Kaiser Franz Josef an König Wilhelm von Preußen am 26. April 1850
„Euer Majestät haben nichts gegen Österreich. Das weiß ich und wie sollte ich, wenn auch jung, nicht gelernt haben und nicht wissen, dass Preußen, auf einer langen Strecke, Deutschland wehrhafter Schild ist und dass ohne einem starken Preußen die Dinge 1813 anders gegangen wären als sie glücklicherweise gegangen sind? Fände unter solchen Verhältnissen Verständigung nicht statt, so müsste sicherlich auf der einen oder anderen Seite die Schuld eine schwere sein; ich meinerseits möchte nicht, dass sie vor der Geschichte auf mir haften bleibt. Kein Leuthen, kein Collin, und Leipzig sei der Wahlspruch gegen die inneren Feinde des gemeinsamen Vaterlandes wie gegen die äußeren.“
Auf der einen Seite Preußens Entschlossenheit, die Hegemonie in Deutschland und auch die in Europa für sich um jeden Preis mit den Waffen zu erkämpfen – Auf der anderen Seite Österreichs Absicht, den Frieden unter allen Umständen zu erhalten, weil davon der innere Friede und sein Bestand abhing.
Inzwischen wollte man die Hinterladerfrage doch studieren: 1841 wurde eine“ Versuchskommission für Hinterladergewehre“ gebildet.
Diese machte 1842 Versuche, theils mit original preußischen Gewehren, theils, mit nach dieser Construktion umgestalteten Lorenzgewehren. Da sich diese Versuche 12 Jahre hinzogen! erstreckten sie sich auch auf andere Systeme wie Lindner (Amerika), Colt – Revolvergewehr (Amerika), Chassepot (Frankreich). Sogar auf das System Crespi aus dem Jahre 1770 wurde zurückgegriffen.
Das Endergebnis war: „dass keines der Systeme für unsere Truppen geeignet befunden wurde.“
Es bestanden strategische Bedenken wegen des „Verschießens schon vor Gefechtsbeginn“, wegen des zu befürchtenden großen Munitionsverbrauches und des Munitionsnachschubes, vor allem aber wegen der Schusspräzision. Schließlich schreckte man vor den hohen Kosten zurück, die eine Neuarmierung erforderte. Kurz: Die Versuchskommission entschied 1854, also nach zwölfjähriger Tätigkeit, dass „dermalen die Hinterladung als nicht kriegsgemäß abzulehnen sei und deren Einführung nicht notwendig wäre.“
Eindringliche Warner vermochten nicht, die Heeresleitung vom gefassten Beschluss abzubringen, man lächelte ein wenig über Dreyses Zündnadelgewehr und bezeichnete es u.a. als „Kinderspielzeug“.
Nach der verlorenen Schlacht erklärte die Kriegsverwaltung, „ihr falle keineswegs sie Schuld am Ausgang des Krieges zu, sie hätte die Frage der Hinterladungsgewehre frühzeitig genug beachtet.“
Im Auftrag von Kaiser Franz Josef setzte daraufhin Kriegsminister Freiherr von John eine aus allen Waffen bestehende Hinterladerkommission ein um „allen Ernstes“ die nun massenhaft auftauchenden Hinterladungsgewehrprojekte zu erproben.
Den Vorsitz führte Generalartillerieinspektor Erzherzog Wilhelm, dem bereits Oberst Uchatius besondere Förderung verdankte und der Josef Werndl ein mächtiger Beschützer werden sollte.
Der Kommission waren zwei Aufgaben gestellt:
- Umwandlung der Lorenz´schen Armeegewehre in eine Hinterladungswaffe, mit möglichst geringem Aufwand an Zeit und Kosten
- Schaffung eines neuen Hinterladungsgewehres.
Bis zum Herbst 1966 waren 33 verschiedene Systeme und Konstruktionen auf ihre Transformationsmöglichkeit überprüft worden.
Der Vorschlag von Franz Wänzel, einem Wiener Büchsenmacher wurde aufgrund der leichten Umänderungsmöglichkeit, der geringeren Umgestaltungskosten und der inländischen Herkunft angenommen.
Mit der Erzeugung des Wänzel´schen Dosenverschlusses und dem Umbau von 80.000 Lorenz – Vorderladern wurde die 1864 gegründete, aus den Armaturenwerkstätten des Leopold Werndl hervorgegangene „Waffenfabrik Josef und Franz Werndl & Co“ in Steyr beauftragt.
Die Umgestaltung der vorhandenen Vorderlader konnte den Gewehrbedarf nicht decken, da ein Gutteil der Gewehre wegen des langjährigen Gebrauches zur Umgestaltung nicht mehr geeignet war.
Die Einführung einer neuen Waffe wurde deshalb dringend notwendig.