Von der selbständigen Unterrealschule zur allgemeinbildenden Höheren Schule

Ein Abriss der Geschichte der Steyrer Mittelschule, nach den grundlegenden Arbeiten

von Dr. August Bloderer, zusammengestellt u. ergänzt von Dr. Konrad Schneider

 

1863 — 1872

Bescheiden waren die Anfänge der Steyrer Mittelschule und doch war es für die Schule, Unterrealschule, bildungsbeflissenen Gemeindeväter der alten Industriestadt ein erhebender Augenblick, als in der Sitzung vom 4. November 1862 die „Allerhöchste Entschließung“ bekanntgegeben wurde, die die unselbständige zweiklassige Unterrealschule in eine selbständige dreiklassige Unterrealschule umwandelte. Der Schritt zur Mittelschule war getan. Am 4. Juli 1863 inspizierte kein Geringerer als der Schulrat Adalbert Stifter die Realschule zum letzten Mal vor ihrer Trennung von der Hauptschule. Nach einem Festgottesdienst in der Michaelerkirche wurde am 3. Oktober 1863 die Schule feierlich eröffnet. Dem Direktor Josef Berger standen sechs Professoren zur Seite und der Stundenplan umfasste folgende Fächer: Religionslehre, Deutsche Sprache, Geographie, Geschichte, Arithmetik, Buchhaltung, Wechsel- und Zollkunde, Naturgeschichte, Chemie, Physik, Geometrie mit geometrischem Zeichnen, Baukunst und Bauzeichnen, Freihandzeichnen, Schönschreiben.

 

1872 — 1924

Bald stellte sich heraus, dass die Unterrealschule für Steyr nicht die endgültige Lösung des Schulproblems bedeutete, denn die Stadt Steyr brauchte eine vollständige Mittelschule, die den Söhnen der Stadt den Weg zur Hochschule eröffnen würde. Nach vielen Bemühungen genehmigte Kaiser Franz Joseph am 4. Juni 1872 die Errichtung einer Staatsoberrealschule in Steyr. Mit dem Schuljahr 1872/73 wurden die Klassen der Oberstufe laufend eröffnet und am 12. Juli 1875 konnte die erste Reifeprüfung mit vier Kandidaten abgehalten werden. Aber die Freude währte nur kurze Zeit: 1887 wurden die Oberklassen aus Ersparnisgründen wieder abgebaut und es kostete große Anstrengungen und viele Eingaben an den Landesschulrat, an das Unterrichtsministerium, an die Volksvertreter, an den Kaiser, bis endlich am 26. Juli 1890 die Wiedererrichtung der Oberrealschule Steyr genehmigt wurde. Im Jahr 1894 konnte nach einer Unterbrechung von fünf Jahren wieder eine Reifeprüfung abgehalten werden. Nun begann für die Steyrer Oberrealschule eine Zeit der ruhigen Entwicklung. Nicht nur der Lehrplan wurde modernisiert, man begann auch der körperlichen Ertüchtigung mehr Augenmerk zuzuwenden, Spielplätze wurden eingerichtet, ein schulärztlicher Dienst wurde eingeführt. Folgende Gegenstände wurden nun unterrichtet: Religion, Deutsche Sprache, Französische Sprache, Englische Sprache, Geographie, Geschichte, Mathematik, Naturgeschichte, Chemie Physik, Geometrisches Zeichnen, Freihandzeichnen, Schönschreiben, Turnen. Seit 1907 gab es auch einen gut besuchten Lateinkurs als Freifach. Die Schülerzahl stieg von Jahr zu Jahr und so machte sich schon damals ein gewisser Raummangel bemerkbar. Der Erste Weltkrieg 1914 —1918 machte sich auch im Schulbetrieb fühlbar: Sieben Professoren und viele Schüler der Oberklassen wurden zur Kriegsdienstleistung einberufen; Kriegsreifeprüfungen wurden abgehalten, dafür fanden dann Reifeprüfungen im ordentlichen Sommertermin mit 2 Kandidaten statt. Ein Professor und 59 ehemalige Schüler waren der Blutzoll der Anstalt. Nach dem verlorenen Krieg und dem Zerfall der Habsburgermonarchie führte das Bundesministerium für Unterricht der jungen Ersten Republik eine Reihe von Maßnahmen zur Demokratisierung der Schule durch. Elternvereinigungen wurden gegründet, Berufsberatungsstellen wurden eingerichtet, die körperliche Ertüchtigung weiter gefördert und Wandertage eingeführt. Nach dem Mittelschulgesetz von 1927 wurde auch die Realschule zu einer achtklassigen Anstalt ausgebaut und dem Bund unterstellt.

 

1924 — 1939

Für die Mädchenbildung standen in Steyr bis zum Jahr 1924 nur eine Bürgerschule und ein sechsklassiges Lyzeum zur Verfügung. Durch die Geldentwertung kam der Lyzealverein in eine schwierige finanzielle Lage und auch die Stadt Steyr konnte nicht helfen. So wandten sich die interessierten Eltern an das Unterrichtsministerium mit der Bitte, die Mädchenschule der Oberrealschule anzugliedern. Im Zusammenhang damit entschlossen sich die maßgeblichen Stellen, die Bundes-Oberrealschule in ein Bundes-Realgymnasium umzuwandeln. Die letzte Realschulmatura wurde im Jahre 1930 abgehalten und die erste Reifeprüfung nach dem Lehrplan des Realgymnasiums folgte 1932. Der Typus des Realgymnasiums erwies sich für Steyr als besonders geeignet, denn es war für Knaben und Mädchen gleich günstig und ermöglichte den Maturanten alle Arten von Hochschulstudien. Durch die Einrichtung der Mädchenklassen stieg die Klassen- und Schülerzahl rasch an und das Raumproblem wurde immer drückender. Am Realgymnasium wurden (und werden bis das Schulgesetz 1962 in Kraft tritt) folgende Fächer unterrichtet: Religion, Deutsch, Latein, Englisch, Geschichte, Geographie, Naturgeschichte, Chemie, Physik, Mathematik mit geometrischem Zeichnen, Darstellende Geometrie, Philosophischer Einführungsunterricht, Zeichnen, Schriftpflege, Kurzschrift, Handarbeit, Gesang, Körperliche Übungen.

 

1939 — 1945

Nach der Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich am 13. März 1938 wurde begonnen, das Realgymnasium in eine Oberschule nach reichsdeutschem Muster umzuwandeln. An Stelle der demokratischen Einrichtungen der Schule trat die Parteidisziplin, die kollegiale Verfassung wurde aufgehoben und durch das Führerprinzip ersetzt, an die Stelle der Semester traten Trimester und die Ferien wurden gekürzt, die Bezeichnungen Studienreferendar, Studienassessor und Studienrat ersetzten den Titel Professor, aus dem Direktor wurde ein Oberstudiendirektor, mit Rücksicht auf den Reichsarbeitsdienst wurde die Reifeprüfung in den März, verlegt. Die Schließung der Privatschulen brachte einen großen Schülerzuwachs im Schuljahr 1938/39. Folgende Fächer wurden unterrichtet: Leibeserziehung, Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Kunsterziehung, Musik, Biologie, Chemie, Physik, Rechnen und Mathematik, Englisch, Latein, Konfessionsunterricht. Der Zweite Weltkrieg forderte noch härtere Opfer als der Erste, 15 Professoren und zahlreiche Schüler der Oberstufe wurden zum Kriegsdienst einberufen, unter Verantwortung des Direktors wurde ein Lustschutzdienst eingerichtet, Schüler der 6. und 7. Klasse wurden als Lustwaffenhelfer eingesetzt. An Stelle der Kriegsmatura gab es jetzt ohne Prüfung eine Reifeklausel. Am 24. Feber 1944 fielen drei Bomben in den Schulhof und eine traf den Nordtrakt; die physikalischen und naturhistorischen Sammlungen sowie die Schülerbücherei wurden fast völlig vernichtet. Professoren und Schüler konnten die ärgsten Schäden so weit beheben, dass der Unterricht bald wiederaufgenommen werden konnte. Am 27. Jänner 1945 wurde der Unterricht eingestellt und das Schulgebäude zur Unterbringung von Flüchtlingen verwendet. Ein Teil der Professoren übernahm die Betreuung der Flüchtlinge, ein Teil wurde in den Volkssturm eingegliedert, die Schüler zum Luftschutz und Bewachungsdienst und die Schülerinnen zum Arbeitseinsatz herangezogen. Am Samstag, dem 5. Mai 1945, rückten die amerikanischen Truppen in Steyr ein, der Spuk war zu Ende. Sechs Professoren und über 150 ehemalige Schüler hat die Schule als Opfer des Zweiten Weltkrieges zu beklagen.

 

1945 — 1963

Nach dem Zusammenbruch von 1945 erstand Österreich wieder und auch die österreichische Schule wurde nach den Lehrplänen von 1928 mit geringfügigen Änderungen wiedererrichtet. So wurde die Steyrer Mittelschule wieder Bundes-Realgymnasium. Am 20. September 1945 wurde die Schule unter Direktor Dr. Leo Schmalzer, der seit 1923 Professor an der Anstalt war, wiedereröffnet. Das Schuljahr 1944/45 war ungültig erklärt worden, so mussten alle Schüler ihre Klasse wiederholen. Für jene Schüler, die infolge Kriegseinsatzes dem Studium entzogen waren, wurden in den Schuljahren 1945/46 und 1946/47 Abschlusskurse mit einjähriger Dauer eingerichtet. Es gab einen geisteswissenschaftlichen Abschlusskurs mit den Fächern: Religion, Deutsch, Latein, Englisch, Geschichte, Philos. Einführungsunterricht und einen realistischen Abschlusskurs mit den Fächern: Religion, Geographie, Naturgeschichte, Physik, Chemie, Mathematik und Darstellende Geometrie. Am 7. Oktober 1948 wurde der Neubau des Nordtraktes feierlich eröffnet; gewaltig waren die Aufbauleistungen in diesen Jahren. Im Schuljahr 1951/52 wurde eine Dunkelkammer eingerichtet, die den Schülern das Ausarbeiten ihrer Fotos ermöglichte, die Schulfunkanlage wurde angelegt und ein Magnetophon dazu angeschafft. Auch die alte Schulglocke wurde durch einen Gong, der durch eine elektrische Uhr betätigt und über die Schulfunkanlage in alle Klassen übertragen wird, ersetzt. Zu Beginn des Schuljahres 1952/53 wurde eine Zentralheizung eingebaut. Im September 1957 wurden mehrere neue Decken eingezogen und neue Fußböden gelegt. Eine der erfreulichsten Veränderungen war aber der Auszug der Knabenvolksschule, wodurch die Raumnot einigermaßen gemildert wurde und die „Wanderklassen“ abgeschafft werden konnten.

Aber nicht nur in dieser Hinsicht ging es aufwärts: Die Schule entfaltete auch in den Jahren, da Steyr, was das Theater betrifft, ziemlich vernachlässigt war (das neue Theater war noch nicht gebaut und es gab fast keine Gastspiele des Landestheaters), eine rege schauspielerische Tätigkeit. Zwischen 1948 und 1954 wurden „Der Revisor“ von Gogol, „Der zerbrochene Krug“ von Kleist, „Matura mit Goethe“ von Zawischa, „Beim scharfen Eck“ von Naderer, „Helden“ von Shaw und „Begum Somru“ von Halm aufgeführt. Die 90-Jahr-Feier der Schule zu Pfingsten 1953 brachte mehr als 500 Altmaturanten nach Steyr.

Unter der Leitung von Prof. Friedrich Eggermann wurde 1953 die „Missa Regina Coeli“ von Palestrina aufgeführt und in einer Aufzeichnung vom Österreichischen Rundfunk gesendet. 1954 folgte die Messe „La, la maistre Pierre“ von Orlando di Lasso und 1955 krönte Prof. Eggermann seine Tätigkeit am Bundesrealgymnasium Steyr mit der Aufführung der Kinderoper „Wir bauen eine Stadt“ von Paul Hindemith, die er instrumentiert und mit Einlagen versehen hatte.

Im Mai 1959 fand eine wohlgelungene Haydn-Feier unter Leitung von Prof. Max Deschka statt.

Die Aufbautätigkeit Direktor Dr. Schmalzers war schon 1950 durch „Dank und Anerkennung“ des Landesschulrates gewürdigt worden, im Sommer 1953 wurde er mit dem Titel „Hofrat“ ausgezeichnet.

Als Hofrat Dr. Schmalzer im September 1961 in den Krankenstand trat, wurde Oberstudienrat Stefan Mayrzedt vorübergehend mit der Leitung der Amtsgeschäfte betraut und am 6. Oktober 1961 Professor Dr. Rudolf Engelhardt von der LBA. Linz zum provisorischen Leiter bestellt. Am 30. September 1962 trat Direktor Hofrat Dr. Leo Schmalzer in den Ruhestand und nahm am 11. Dezember 1962 vom Lehrkörper, dem er 39 Jahre hindurch angehört hatte, Abschied. Am 31. Jänner 1963 wurde Professor Dr. Rudolf Engelhardt zum Direktor des Bundesrealgymnasiums in Steyr ernannt.

 

1963 — ?

Mit Beginn des Schuljahres 1963/64 werden die Schulgesetze 1962 in; Kraft treten. Aus dem Bundesrealgymnasium wird eine Allgemeinbildende Höhere Schule. Den allzu Kritischen, die sich daran stoßen, dass die „Höhere Schule“ niedriger ist als die „Hochschule“, sei gesagt, dass auch der „ältere Herr“ jünger ist als der „alte Herr“. Von den möglichen Typen werden voraussichtlich folgende in Steyr eingeführt:

Für Knaben:

 

  1. Realistisches Gymnasium (Englisch ab 1. Klasse, Latein ab 3. Klasse, Darstellende Geometrie in der Oberstufe)
  2. Neusprachliches Gymnasium (Englisch ab 1. Klasse, Latein ab 3. Klasse, Französisch ab 5. Klasse)
  3. Entweder: Mathematisches Realgymnasium (Englisch ab 1. Klasse, Geometrisches Zeichnen in der Unterstufe), Französisch ab 5. Klasse, Darstellende Geometrie in der Oberstufe
    Oder: Naturwissenschaftliches Realgymnasium (Englisch ab 1. Klasse, Geometrisches Zeichnen in der Unterstufe, Latein ab 5. Klasse, Oberstufe alternativ Darstellende Geometrie oder erweiterter Unterricht in Naturgeschichte, Physik und Chemie)

 

Für Mädchen:

 

Neusprachliches Gymnasium (siehe oben)

 

Die einschneidende Veränderung aber ist die, dass die Studienzeit an der Höheren Schule nun 9 Jahre währt.

Welche dieser Schultypen sich als die bestgeeignete erweisen wird, ist heute noch nicht abzusehen; jedenfalls glauben Eltern, Schüler und Lehrer an die österreichische Schule, die alle Stürme der Zeiten ungebrochen überstanden hat und frei nach Lessing sage ich:

 

„ . .. Und wenn sich dann die neuen Kräfte

bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:

so lad‘ ich über weit’re hundert Jahre

sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird

ein weis’rer Mann auf diesem Stuhle sitzen

als ich und sprechen…“

 

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 24, Dezember 1963

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