50 Jahre Steyrer Heimathaus
Von Adolf Bodingbauer
Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914, S. 205 — 206, Notiz vom 25. Juli 1913 (teilweise):
„In der Sitzung des Gemeinderates der Stadt Steyr stellte GR. Franz Hofer folgenden Dringlichkeitsantrag: Mit heutigem Tage sollen die Sammlungen des städtischen Museums in den adaptierten Räumen des historischen Innerberger- Speichers dem Publikum zugänglich gemacht werden. Die Übertragung und Aufstellung der Museal-Gegenstände erfolgte unter kundiger Leitung des Herrn Kustos des städtischen Museums, Herrn Bankdirektor i. P. Jakob Kautsch, welcher sich um das Zustandekommen des städtischen Museums und dessen Verwaltung große Verdienste erworben hat. Als Gründer des Museums arbeitet Herr Direktor Kautsch seither eifrigst, unterstützt von seiner hochgeehrten Frau Gemahlin, mit Liebe und emsigen Fleiß an der Ausgestaltung desselben, so daß das Museum heute eine Sehenswürdigkeit der Stadt ist, um die es viele andere Städte beneiden können…
Ich beantrage daher: Der löbl. Gemeinderat der l.f. Stadt Steyr wolle Herrn Bankdirektor i. P. Jakob Kautsch in dankbarer Anerkennung der vielseitigen Verdienste auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens in Steyr, insbesonders als Gründer und langjähriger Kustos des städtischen Museums das Ehrenbürgerrecht der Stadt Steyr verleihen. Der Dringlichkeitsantrag wurde einstimmig angenommen. Der Gemahlin des Ausgezeichneten, Mar. Kautsch, wurde vom Gemeinderate durch Erheben von den Sitzen der Dank für ihre großen Verdienste um das städtische Museum ausgedrückt…
An diesem Tag fand in Steyr die Eröffnung des neuen städtischen Museums im Innerbergerstadel statt. Nach der Gemeinderatssitzung begab sich der Gemeinderat in den Innerbergerstadel, wo Bankdirektor Kustos Kautsch und dessen Gemahlin die Besucher empfingen. Bürgermeister Gschaider dankte dem Kustos für die viele Mühe und Arbeit, teilte die soeben im Gemeinderat beschlossene Ernennung des Direktors Kautsch zum Ehrenbürger der Stadt Steyr infolge dessen vielen Verdienste um die Stadt und um die Allgemeinheit mit. Ebenso dankte er auch dessen Gemahlin für ihre unermüdliche Museumsarbeit. Ehrenbürger Bankdirektor Kustos Kautsch war über seine wohlverdiente Ehrung sichtlich hocherfreut. In herzlichen Dankesworten klang seine Erwiderung aus, worauf unter seiner Führung ein Rundgang durch das sehr schön angelegte städtische Museum stattfand. Am Schlusse zeichneten sich sämtliche Besucher im aufliegenden Besuchsbuche ein.“
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war, wie in manchen Orten Oberösterreichs, auch in Steyr der Musealgedanke lebendig geworden. Mit der Anlegung einer Sammlung von musealen Gegenständen begann in Steyr das Ehepaar Jakob und Marianne Kautsch. Bereits 1890 waren so viele heimatkundliche Gegenstände gesammelt, dass eine Ausstellung im damaligen Bürgerschulgebäude möglich wurde. Die ständig und rasch wachsenden Sammlungen nahm 1894 die Stadtgemeinde Steyr in Obhut und brachte sie im Rathaus unter. Der erste Kustos war der Lehrer Blümelhubers, Gustav Ritzinger, sein Nachfolger war Jakob Kautsch. 1898 wurden die musealen Bestände in der Industriehalle untergebracht, seit 1913 beherbergt sie der Innerberger Stadel.
Doch nun einiges über die Geschichte des zuletzt genannten Gebäudes. Bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Bau eines Getreidekastens geplant, in dem auch Fleischbänke untergebracht werden sollten. Den Stadtvätern schien hierfür der Platz unterhalb des Pfarrhofes besonders geeignet. Der Chronist Valentin Preuenhueber berichtet über den Bau in seinen „Annales Styrenses“ unter Annus Christi 1611 folgendes: „In diesem Jahr ward auch der Anfang gemacht, gemeiner Stadt Getrayd-Kasten gegen den neuen Thor ueber, allda vor her ein leerer Platz, ober Brand-Staette gewest, zu bauen, welcher erst im dritten Jahr Hernach voellig aufgefuehret worden; Ist ein sehr nuetzlich und zu einem Getrayd-Kasten ein ansehnlich schoen Gebaeude: Stadt-Cammerer oder Baumeister war damahlen Joachim Haendel. Als man nun im Werck mit solchen Bau begriffen war, nähme der Abt von Garsten den Grund in Anspruch, daß selbiger zum Pfarr-Hof gehoerig sey; Erhielte von dem Landes-Hauptmann Einstellung dieses Baues, biß man sich mit ihme guetlich verglichen, jaehrlichen von gemeiner Stadt dem Pfarrer zu Steyer, ein benanntes in Geld, und Saltz fuerohin zu reichen. Bey dieser Baufuehrung hat sich ein Maurer zu todt gefallen.“ Dieser ehemalige Getreidespeicher ist zu den schönsten Gebäuden der Renaissance in Steyr zu zählen. Hervorzuheben sind die prachtvolle Fassade mit dem Doppelgiebel, das Rustikaportal und die reichen Sgraffiti, welche die Fenster und Türen umrahmen. An den ursprünglichen Zweck des Gebäudes erinnert noch ein Fresko über dem Hauptportal mit einer Darstellung aus der „Genesis“ und der Inschrift: „Josephs Brüder Kommen in Egypten Traidt zukauffen.“ Inmitten der breiten Fassade befindet sich ein Wappen, das auf die Zeit der Innerberger (Eisenerzer) Hauptgewerkschaft hinweist; im Jahre 1628 war der Speicher in deren Besitz übergegangen. Die Jahreszahl 1612 zwischen Fresko und Wappen deutet die Bauzeit an. Vor dem Ersten Weltkrieg drohte diesem so bedeutenden Gebäude eine große Gefahr: der Innerberger Stadel sollte einem Postgebäude weichen. Der Meister des Stahlschnittes, Michael Blümelhuber, brachte es jedoch mit dem Aufgebot seiner Energie und einflussreichen Verbindungen zu Erzherzog Franz Ferdinand zustande, dass dieser Renaissancebau erhalten blieb.
Das Heimathaus Steyr umfasst eine Reihe von bedeutenden Sammlungen. Die beiden großen Säle, in denen früher das Getreide gelagert war, geben den Schaustücken einen stimmungsvollen Rahmen. Im ersten Stockwerk ist im Wesentlichen die stadtgeschichtliche Abteilung untergebracht, während der Bestand im 2. Stock als volkskundliche Abteilung zu bezeichnen ist. Ganz besonders spiegelt sich die alte Bürger- und Handwerkerkultur der Eisenstadt in den reichen Sammlungen. Man wird selten ein Heimatmuseum finden, das eine so reiche Folge von Zunftaltertümern besitzt. Auch das „Steyrer Kripperl“, das in einer Halle des Innerberger Stadels zu Hause ist, erfreut sich zur Weihnachtszeit guten Besuches von Jung und Alt. Unter den Beständen des Heimathauses befinden sich Gegenstände, die über den historischen Rahmen weit hinausragen und künstlerisch bemerkenswert sind, zum Beispiel das Stadtrichterschwert von Steyr (eine Renaissancearbeit mit Rollwerkornamentik) sowie spätgotische und barocke Statuen. Die Holzplastiken schmücken die Pfeiler der beiden Stockwerke. Zu den besten Bildwerken gehören zwei frühbarocke Gestalten, die vom ehemaligen Hochaltar der mittelalterlichen Benediktinerstiftskirche Garsten stammen. Sie wurden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Hans Spindler d. Ä. gefertigt. Eine Figur hält das Stiftswappen von Garsten vor sich, die zweite das Wappen des Auftraggebers, des Abtes Anton II. Spindler von Hofegg. Der Zeit um 1500 gehört der größte Teil der gotischen Plastiken zu.
Im ersten Stockwerk, das nun kurz behandelt wird, ist auch eine kleine geologische vor- und frühchristliche Sammlung von Steyr und Umgebung ausgestellt. Baugeschichtlich äußerst interessant sind die Stadtansichten von Steyr vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Unter diesen befindet sich ein Kupferstich nach einer Zeichnung des bedeutenden Stiftsmalers von Garsten, Johann Karl von Reslfeldt, aus dem Jahre 1693. Den weiträumigsten Teil bildet jedoch das Zunftwesen. Die Zunfttruhen, -ordnungen, -bilder, -zeichen, -siegel, -pokale und -bücher vermitteln einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte des Handwerks und Gewerbes der Stadt. Sechs mit dem Stadtwappen versehene Rathaushumpen aus Zinn sowie eine Reihe von alten Steyrer Drucken, Bildern und Büsten von Steyrer Persönlichkeiten (Werndl, Pritz, Blumauer, Vogl, Gürtler, Redtenbacher, Wickhoff, Holzmayr, Schroff, Blümelhuber u. a.) sind ebenfalls erwähnenswert. Auch Rechtsaltertümer nimmt man wahr. Die Einrichtung eines Steyrer Bürgerzimmers im Stile Louis‘ XVI., Gegenstände des Steyrer Bürgerkorps und Arbeiten bürgerlicher Kleinkunst aus den abgelaufenen vier Jahrhunderten vervollständigen diesen Raum.
Die Bestände in der Eingangshalle können noch zur stadtgeschichtlichen Abteilung gezählt werden. Es befinden- sich dort Wappen von alten Geschlechtern der Stadt (Händl, Reischko, Taufkircher, Ättl, Urkauf und Prandtstetter), das Blutbannschwert und eine gotische Glocke von einer ehemaligen Kapelle der Stadt. Der Eindruck des Raumes wird aber von vielen Waffen bestimmt. Auf dem Wappenstein des 5. Bürgermeisters von Steyr, Hans Prandtstetter, erkennt man über seiner Hausmarke den Markus-Löwen, welcher auf den Handel mit Venedig hinweist. So bemerkt schon Preuenhueber zu Anfang des 17. Jahrhunderts: „Sonderlich aber hat die Venedigische Kaufmannschaft viel Gelds und Reichtum den Steyerischen Bürgern vor Jahren zu- und eingetragen.“
In der volkskundlichen Abteilung des 2. Stockes fallen sofort die mit 1736 bezeichnete Mostpresse aus einem Bauernhaus von St. Ulrich und die Stollentruhe aus dem Ennstal auf. Modelle von Bauernhöfen erklären die Hausformen, ebenso geben zwei Kulturkarten Aufschluss über das Gewerbe und die Siedlungsformen der näheren und weiteren Umgebung der Stadt. Die Volkskunst des Alpenvorlandes ist in den Mangelbrettern, Trinkfässchen, Pfeifen, Ledergürteln u. a. ersichtlich. Dazu gehören auch die vielen Krippenfiguren und manches Spielzeug. Breiten Raum nimmt die „Lambergsche Puppensammlung“ ein. Sie umfasst über 300 Puppen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Der wesentlichste Teil der Sammlung wurde in den letzten Jahren restauriert. Von den vielen Kleidungsstücken kann nur ein kleiner Teil gezeigt werden, es sind dies Trachten aus dem Enns- und Steyrtale. An Bauernmöbeln sind einige markante Stücke vorhanden. Ein Bett mit der Jahreszahl 1691, eine „Spreißl- oder Leistltruhe“, eine mit 1818 bezeichnete bunt bemalte Truhe, ein Tisch (bez. 1798) mit zwei Stühlen und ein zum vorher erwähnten Bett gehöriger Kasten. Im allgemeinen Blickpunkt steht ein „Jahreszeitenkasten“ in schwerem Bauernbarock. Eine Schneiderbank und die Bügeleisensammlung, beginnend mit 1646 bis zu unserem heutigen Jahrhundert, wird man wohl selten finden. Gegenstände des jahreszeitlichen Brauchtums, des Brauchtums von Geburt, Hochzeit und Tod sind reich vertreten, doch wurde ein nur annäherndes Eingehen auf die Bestände diesen Rahmen übersteigen.
In der letzten Zeit hört man oft die Bezeichnung „Eisenmuseum“— ein Name, der durchaus richtig ist. Das Heimathaus Steyr ist bereits als Spezialmuseum auf dem Gebiet des Eisens anzusprechen, birgt es doch in seinen Räumen Bestände der „Lambergschen Messersammlung“, die „Petermandlsche Messersammlung“ und Eisenkunst von der Gotik bis zur Gegenwart. Die Eisenkunst ist besonders reich vertreten: 10 barocke Grabkreuze, eine Sammlung von Waffeleisen, Oberlichtengitter, Wirtshausschilder, Wandarme und Beschlagsbänder. Mannigfaltig ist der Vitrinenbestand mit kleineren Eisenformen. Ein Kreuz von 1699 wurde wahrscheinlich von jenem Meister geschaffen, der für die Stiftskirche Garsten Kapellengitter angefertigt hat. Unter den Beständen der „Lambergschen Messersammlung“ sind Beispiele der Stahlschnittkunst des 16. Jahrhunderts.
In den Nachkriegsjahren wurde das Heimathaus beständig bereichert und vergrößert. Ende Juli 1957 wurde der „Sensenhammer“ eröffnet. Das Gebäude, in dem die Bestände der Sensenschmiede aufgestellt wurden, ist eine fachgerechte Nachbildung einer alten Sensenschmiede. Alle wesentlichen Einrichtungsgegenstände sind Originalstücke. Als einmaliger Bestand eines nun schon historischen Gewerbes erfreut sich der Sensenhammer größten Interesses.
Im Verbindungsraum zwischen dem 1. Stockwerk des Innerberger Stadels und dem Sensenhammer ist der größte Teil der „Petermandlschen Messersammlung“ zur Schau gestellt. Sie ist nach dem Sammler Anton Petermandl (1820 bis 1900) so benannt. Mit unermüdlichem Fleiß trug Petermandl im Laufe der Jahrzehnte die Bestände dieser bedeutenden Sammlung zusammen. Während des Ersten Weltkrieges wurde sie aus der k. k. Fachschule und Versuchsanstalt für Eisen und Stahlindustrie in Steyr in das Technische Museum nach Wien verlagert. 1956 wurde die Sammlung dem Heimathaus Steyr übergeben und nach ihrer Restaurierung, die 1958 beendet war, zur Schau gestellt. Sie ist eine der größten Kostbarkeiten des Heimathauses; die ausgestellten Gegenstände stammen aus vier Erdteilen.
Der Ausbau des Eisenmuseums wird ständig weitergeführt. Eine Nagelschmiede aus dem Dambachtal ist bereits im Heimathaus gelagert. Ihre Ausstellung wird zurzeit vorbereitet. Auch die mittlere Halle des Erdgeschosses mit dem vorzüglichen Kreuzgewölbe und Stuckverzierungen soll als Museumsraum verwendet werden. Ihre Zweckwidmung soll die eines Lapidariums sein.
Ein Problem für sich ist der Raummangel. Manch wertvolles Kulturgut ist dadurch dem Besucher entzogen. Besonders schwer fällt es, die vielen Gemälde zur Schau zu stellen. Es besteht vielleicht in den folgenden Jahren Aussicht, dass der Gebäudekomplex des Neutores, der den Grünmarkt abschließt, für museale Zwecke zur Verfügung gestellt wird.
Aus dieser kurzen Zusammenfassung wird also ersichtlich, dass das meiste, was das Heimathaus Steyr dem Besucher bietet, Ahnengut jener Menschen ist, die in Steyr und im Raume dieser Stadt wirkten und lebten. Es ist Ausdruck des reichen Schaffens, der Kunst und Kultur, der Seele unserer Heimat.
Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 24, Dezember 1963