Tausend Jahre Geschichte von Steyr

Tausend Jahre Geschichte von Steyr

Steyr ragt aus seiner tausendjährigen Geschichte nicht unerheblich aus dem Kranz der österreichischen Städte hervor, wie es unter ihnen auch in seinem Erscheinungsbild eine glänzende Stellung einnimmt.

Die geschichtliche Entwicklung hat unserer Stadt in einem bemerkenswerten Wandel ihrer Funktionen jeweils einen besonderen Rang gegeben.

Kapitel eins

Der erste bedeutende Periode der Geschichte von Steyr ist bestimmt durch seine Rolle als zeitweiliger Sitz der Grafen eines großen Herrschaftsbereiches, dem die Stadt den Namen gegeben hat: der Steiermark.

Bereits kurz nach 900 war die bairische Familie der Otakare, wie wir sie nach ihrem Leitnamen nennen, in den Besitz des Bereiches von Steyr gekommen und hat wohl im Dreieck zwischen den Flüssen alsbald eine Schutzburg gegen die Magyaren gegründet. Doch erst eine Aufzeichnung über die Synode zu Mistelbach bei Wels nennt uns zum ersten mal den Namen Styraburg. Diese Nennung ist ja der Anlaß, an den sich die Tausendjahrfeier anschließt, wenn wir auch das Datum der Synode nicht genau festlegen können. Gewiß fand sie in der Regierungszeit des Bischofs Pilgrim von Passau zwischen 971 und 991 statt. In der Erwähnung wird festgestellt, daß Styraburg an die Pfarre Sierning Zehent zu liefern hat. Damit wird klar, daß mit dem Namen nicht die eigentliche Burg auf dem steilen Felsen über der Steyr gemeint ist, sondern eine Siedlung anderen Charakters neben ihr, wohl vielleicht mit Markt und Gewerbe. Denn eine Burg der Otakare kann in keinem Falle zehentpflichtig gedacht werden. Burg ist in der Zeit der Karolinger und Ottonen auch anderwärts nicht nur fester Adelssitz, sondern häufig einfach eine durch Lage und Befestigung geschützte Siedlung. Handel und Gewerbe, auch die Bedürfnisse der Burgherren, bildeten jedenfalls die Grundlage dieser zehentpflichtigen Styraburg.

Der besondere Rang des Hofes auf der Styraburg leuchtet noch aus höfischen Epen, die vielleicht sogar hier entstanden sind: ‚Biterolf und Dietlieb‘ und ‚Laurin oder der kleine Rosengarten‘.

Die Tage des fürstlichen Hofes waren freilich seit 1122 vorbei, da die Otakare nun südlichere Punkte der Mark der Steyrer Burg vorzogen, die an der äußersten Nordecke lag und über die unterste Steyr direkt in die babenbergische Ostmark schaute.

Dennoch nennt sich auf der von Friedrich Barbarossa zum Herzog erhobene Otakar IV ‚dux Stire‘, also Herzog von Steyr.

1254, in der Zeit des Interregnums, endlich wird durch den Frieden von Ofen der einstige Fürstensitz von der Steiermark abgetrennt und auf immer dem Lande ob der Enns angefügt. Noch erinnert uns der Panther im Wappen der Stadt und des Landes Steiermark an die einstige Zusammengehörigkeit.

Kapitel zwei

Mit dem Verlust seiner Rolle als Sitz der Markgrafen hätte Steyr in die Reihe nebensächlicher Siedlungen absinken können. Statt dessen trat es mit dem Spätmittelalter den Weg zu einer Entwicklung an, die sie in der frühen Neuzeit zur zweiten Stadt neben Wien werden ließ, mit einem Rang in Wirtschafts- u. Steuerleistung weit vor den übrigen Städten Oberösterreichs – es erbrachte allein ein Drittel der Steuern des Landes. Auch hatte Steyr in dieser Periode mit einer bedeutenden Stellung als Schulstadt, mit hohem Niveau der Teilname an humanistischer Bildung, mit großem Reichtum der Kunstschöpfung der Gotik und Renaissance eine bemerkenswerte Stellung erlangt. Gotik und Renaissance haben im Wesentlichen den historischen Bestand an Häusern geschaffen.

Und dies alles, obwohl Steyr keinerlei zentrale Funktion im neuen habsburgischen Herrschaftssystem hatte und in seiner verkehrsgeographischen Situation eher hinter anderen Punkten zurücksteht, die direkter im Bereich der großen West-Ost-Verkehrszone in der Donauniederung liegen.

Die neue Funktion der Stadt als Mittelpunkt des Eisenhandels und der Eisenverarbeitung hatte Wurzeln in der bevorzugten Stellung Steyrs als Sitz der Markgrafen jenes Landes, das die größten Eisenerzlager in den Alpen besaß. Denn die Niederlassung von Händlern in Stirapurc neben und im Schutz der Burg der Otakare hat gewiß schon damals Vorrechte im Eisenhandel erhalten. Dies zeigt der erste uns erhalten gebliebene Freiheitsbrief der Stadt von 1287, in dem Albrecht von Habsburg, alte Rechte bestätigend, neuerlich zollfreie Einfuhr von Eisen und Holz sowie das dreitägige Stapelrecht für diese Güter gewährte (Eisen und Holz müssen erst 3 Tage in Steyr feilgeboten werden, ehe sie weitergeführt werden dürfen). Diese und später gewährte landesfürstliche Begünstigungen (vor allem die Privilegisierung von Straßen für den Eisenhandel) haben die Steyrer Großhändler mit Entschlossenheit ausgenützt, um die Konkurrenz anderer Städte niederzuhalten und auszuschalten und den Vertrieb des Eisens von Innerberg (= Eisenerz) ganz an sich zu bringen, ebenso wie die Versorgung der Bergarbeiter, Radmeister und Hammerschmiede am Erzberg mit den nötigen Lebensmitteln und Gütern.

Nur das zum Bistum Freising gehörende Waidhofen an der Ybbs behauptete sich allen landesfürstlichen Verordnungen und Schiedssprüchen zum Trotz als kleinerer Nebenbuhler.

Durch die Eisenhändler wurden die Eisenverarbeiter der Stadt, die Klingenschmiede, Messerer, Sensen-u. Sichelschmiede, Waffenschmiede mit den nötigen Sorten von Eisen und Stahl beliefert. Die Handelsunternehmer besorgten aber auch den Vertrieb der Fertigwaren im In- u. Ausland. Dabei gewann das Steyrer Eisengewerbe einen Ruf, der den Absatz in weite Teile Europas möglich machte. Zielgebiete des Handels mit Eisen und Fertigprodukten waren Ungarn, Böhmen und von da aus Polen und sogar Rußland; Deutschland und England, vor allem aber Venedig, mit dem ein ganz breiter Handel auch über Eisen hinaus mit Rohleinwand, Garn, Wachs, Unschlitt, Fellen, Leder, Quecksilber bestand. Dieser Venedigerhandel war hoch ertragreich und hatte den Zwang zur Rückfracht von ‚Venedigerwaren‘, da in der Lagunenstadt jede Geldausfuhr verboten war. Namhafte Handelsfamilien der besten Zeit des 16. Jahrhunderts sind Aettl, Aidn, Fennzl, Gutbrot, Händl, Zuvernumb, deren Namen auch unter den Bürgermeistern und Richtern und Ratsmitgliedern zu finden sind.

Die Sicherung des Absatzes des Innerberger Eisens und der Steyrer Fertigwaren, die Deckung des Eisenbedarfes der Verarbeiter in Steyr und Umgebung, Liefer- u. Abnahmemengen sowie die Preise wurden durch Verträge (= Verlage) geregelt. Daß dabei wiederholt Störungen und Stockungen auftraten, darf uns nicht wundern. Man braucht nur an die häufigen Seuchen und an die verheerenden Folgen von Überschwemmungen für den Verkehr zu denken, um große Schwankungen im Wirtschaftsablauf zu begreifen.

Dazu kommt aber auch, daß in den erfolgreichen und rücksichtslosen Großhändlern Steyrs jener echt kapitalistische Geist der Gewinnmaximierung um jeden Preis mächtig war, den wir bei den großen frühkapitalistischen Handelshäusern des 16. und 16. Jahrhunderts, den Medici, Fuggern, Welsern wirksam sehen, die eine riesige Steigerung der Bergwerks- u. Industrieproduktion und der Handelsströme in Europa bewirkten, aber zugleich der religiös und geistig tief erregten Zeit um 1500 auch von der Wirtschaft her Unruhe und angstvolle Unsicherheit brachten. Solche Unruhe bricht auch in unserem Bereich auf.

Die Händler von Steyr sahen zu Zeiten Möglichkeiten höchster Gewinne beim Eisenvertrieb im Ausland und vernachlässigten dann den Steyrer Markt; abwechselnd ließen sie allenfalls die Innerberger Eisenproduzenten oder die Steyrer Handwerker auf ihren Waren sitzen, um womöglich die Preise zu drücken. Über die Verlage (Verträge) setzten sie sich immer wieder rücksichtslos hinweg.

Die Geschichte von Steyr ist von 1500 ab voll mit immer neuen Bildungen von Gesellschaften, Behörden, Organisationen, die mit dem Eisenvertrieb und mit der Eisenverarbeitung zu tun hatten und deren Zweck im Grunde immer derselbe war, ob sie nun

  • Gesellschaft des gestreckten Stahls (1516)
  • Eisenkammer (landesfürstliche) (1564)
  • Eisencompagnie (1581)
  • Innerberger Hauptgewerkschaft (1625)
  • Eisenobmannschaft (1584)
  • Messerhandlungscompagnie (1588)

hießen: Es geht um das Ringen der habsburgischen Landesfürsten und städtischer Kreise um die Eindämmung der Eisenbändler zu Gunsten der anderen Beteiligten an dem komplizierten Austauschsystem der Eisenwirtschaft.

Daß immer wieder Compagnien, Kammern, Gewerkschaften bisherige ergänzten oder ablösten, läßt allein schon erkennen, daß sich die Großhändler jeder neuen Regelung wieder zu entziehen suchten und aufs Neue auszuweichen vermochten. Die Kapitalbeteiligungen der Stadt an solchen Organisationen führten nicht ohne Schuld von Händlern wiederholt zum Ruin der Stadtfinanzen im 17. und 18. Jahrhundert.

Schwer betroffen waren vor allem die Handwerker, deren Unruhe Anfang des 16. Jahrhunderts zu Aufruhr und Auseinandersetzungen mit dem Rat führte und schließlich auf das Ziel hinsteuerte, mit Hilfe von Wiener Handelsunternehmen zu besseren Verträgen, zu einem neuen Verlag zu kommen, wobei sie wohl vom Regen in die Traufe gekommen wären. Das Ganze endete mit Unterdrückung durch den von Großhändlern dominierten Rat, mit Verhaftungen und Bestrafungen.

Allen Schwierigkeiten und Krisen zum Trotz ist das 16. Jahrhundert eine Zeit des Wohlstandes und großer Leistungskraft der Steyrer Wirtschaft, was sich in aufwendigen städtischen Neubauten ausdrückt, wie dem Neutor und dem Innerberger Stadel von 1612, dem Wasserturm in Zwischenbrücken mit einem damals viel bestaunten Wasserwerk zur Versorgung der inneren Stadt und der zwei neuen bronzenen Renaissance-Brunnen am Stadtplatz, dem westlichen Trakt des Bürgerspitals, dem schönen ummauerten Friedhof mit Renaissancetor und Turm am Tabor.

Dieses 16. Jahrhundert bringt der Stadt die rasche Ausbreitung der lutherischen Lehre, die bis ins 17. Jahrhundert hinein das weitaus überwiegende Bekenntnis der Steyrer Bevölkerung ist.

In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts rückt für den protestantischen Teil der Stadtbevölkerung mit der habsburgischen Gegenreformation vom Religiösen her eine schwere Prüfung heran. Gerade in dieser Zeit entwickeln sich die vielfältigen Gegensätze zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Zugleich führt ein ganzes Bündel von Ursachen zur größten Wirtschaftskatastrophe der Stadt. Aus dem Gestrüpp der Faktoren hebt sich besonders ab die ungeheuerliche Geldentwertung und Teuerung zwischen 1619 und 1623. Sie wurde herbeigeführt durch die massenhafte Ausgabe von Münzen mit weitaus geringerem Rauhgewicht und Feingehalt, wodurch die kaiserliche und die bairische Regierung (Oberösterreich war seit 1620 von Baiern besetzt) ihren mit dem böhmischen Krieg riesig erhöhten Geldbedarf decken wollten. Die Bevölkerung reagierte zunehmend panikartig, raffinierte Geschäftsleute spekulierten erfolgreich mit dem Nebeneinander guten und schlechten (= ‚langen‘) Geldes.

Der Höhepunkt der Inflation und Teuerung mit Geldentwertung um 700 Prozent und Preisauftrieb bei Getreide um 1.100 Prozent fällt in das Jahr 1622, also genau 300 Jahre vor unserer großen Inflation von 1922. Die Situation zeigt neben hoher Arbeitslosigkeit alle typischen Erscheinungen solcher Krisen: Schlangen vor Brot- u. Fleischerläden; Hamstern der Städter im Umkreis gegen Silbergeschmeid, Zinngeschirr, Bettzeug; Geschäftsrückgang im lokalen Verkehr; bitterste Not breiter Schichten Unbemittelter. Dazu kommen, auch nach Abklingen der Geldentwertung, laufend schwere Belastungen durch Einquartierungen von Soldaten, erst bairischen, nachher, 1626, von Bauern des Stefan Fadinger, dem die Stadt die Tore geöffnet hat, und nach der Niederwerfung der Bauern wieder bairsicher und kaiserlicher Soldaten. Die Einquartierungen infolge der Bauernunruhen und im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg sind zugleich schärfstes Mittel der Rekatholisierung, die der Kaiser und Bayern um jeden Preis erzwingen wollen.

Das Maß des Unheils wird voll durch die Emigration von fast 250 protestantischen Bürgern, die ihr Bekenntnis nicht preisgeben wollen. Von den Auswanderern sind gegen 150 im Besitz von größeren Vermögen, das sie, soweit es mobile Werte sind, nach Zahlung einer hohen Steuer mitnehmen können. Der Stadtwirtschaft entgehen nicht unbedeutende Kapitalien, wenn auch der Stadtkasse bei 30.000 fl (Gulden) Emigrantengelder in bar zufließen und Immobilien und Schuldbriefe der Emigranten zurückbleiben. Mit dem Weggang von ca. 109 vielfach in der Wirtschaftskrise ganz verarmten Messerern verliert die Stadt Facharbeiter.

Emigrantenziele sind Ungarn, Böhmen, Niederösterreich, Alpenländer, wo verschiedene Gruppen untertauchen und als geheime Protestanten weiterleben können. Vor allem aber oberdeutsche Städte, wie Regensburg, Nürnberg, mit denen immer schon Beziehungen bestanden; auch Städte im Rheingebiet. Die Begründung der Schneidwarenfabrikationen in Solingen durch Steyrer Messerer ist Legende.

Die verzweifelte Situation hält bis über den Dreißigjährigen Krieg hinaus an und wird in ihrer Schwere sichtbar, wenn wir erfahren, daß 1652 von den 600 bürgerlichen Häusern 70 ganz eingestürzt sind, 141 öde und leer stehen, 191 von gänzlich verarmten Bürgern bewohnt sind und nur 198 Häuser in aufrechtem Stand sind.

Gewiß erholte sich die Stadt wieder im späteren 17. Jahrhundert und besonders nach den Siegen über die Türken. Die Häuser erhielten neuen Glanz mit barocken Fassaden. Aber es ist immerhin bezeichnend, daß am Haus des Kriechbaum Benefiziats in der Berggassse, das Gotthard Hayberger 1728 erbaut hat, heute die Bemerkung zu lesen ist, es sei wahrscheinlich das einzige in der Barockzeit gänzlich neu erbaute Haus in Steyr. Man darf sich auch nicht durch die barocken Glanzpunkte von Schloß, Cölestinerinnen-Kirche (dem heutigen alten Stadttheater), Michaeler- u. Dominikanerkirche täuschen lassen, die die alten gotischen Giebeldächer prächtig überragen. Sie sind im Wesentlichen nicht Ausfluß überschüssiger Wirtschaftsleistungen der Stadt, wenn man von dem herrlichen Rathaus absieht. Michaeler- u. Dominikanerkirche sind in der schlimmsten Zeit des Dreißigjährigen Krieges entstanden und in größtem Umfang aus Mitteln des Adels (die Michaelerkirche überwiegend der steirischen Eggenberger) erbaut, die Cöestinerinnenkirche 30 Jahre später, als die Türkengefahr noch nicht gebannt war, in erster Linie durch die Hilfe der Kaiserin; das Schloß aus den Mitteln der Lamberg, die diese vor allem aus riesigen Grundbesitz, natürlich außerhalb von Steyr, bezogen, der in dieser Zeit sehr große Einkünfte gewährte, seit man alle Möglichkeiten gründlich gelernt hatte, die bäuerliche Leistung für den Grundherrn rücksichtslos zu nutzen und zu steigern.

Auf keinen Fall konnte das einst so berühmte Steyrer Messerer- u. Klingenschmiede Handwerk die frühere internationale Stellung nach dem tiefen Einschnitt des 17. Jahrhunderts wieder voll erlangen. Es blieb im 18. Jahrhundert gegenüber den ausländischen Waren, vor allem englischen Produkten, im Hintertreffen, und konnte nur eine regional begrenzte Stellung und Reichweite behaupten.

Eisenhandelsunternehmungen mit internationalen Verbindungen gab es in Steyr allerdings noch bis ins 18. Jahrhundert, die mit den Namen Luckner, Mittermayr, Schröfl, Mann u. a. verknüpft sind. Luckner (Bürgermeister) und Mittermayr (Schwiegersohn Luckners) gingen gemeinsam erfolgreich auf Monopole aus und konnten den Vertrieb des Quecksilbers aus Idria und des Bleis aus Kärnten und Krain zur Gänze an sich ziehen. Sie dominierten die damalige bedeutende Waffenproduktion – Geschütze und Schußwaffen – in Steyr (Türkenkriege) und halfen nebenbei die Stadtfinanzen ruinieren. Ihre riesige Kapitalbildung erlaubte ihnen freilich auch, dem Kaiser in den Türkenkriegen mehrfach mit hohen sechsstelligen Summen beizustehen.

Hatte Steyr lange Zeit die Städte Oberösterreichs an Bedeutung übertroffen, so wurde im späten 17. und im 18. Jahrhundert die Stellung von Linz weitaus wichtiger durch seine Rolle als Sitz der Landesregierung und der Landesbehörden, deren Zahl und Aufgabenbereiche besonders im Staat Maria Theresias und Josefs II ganz außerordentlich ausgeweitet wurden. Auch wirkte sich zunehmend die Lage der Hauptstadt an den Hauptverkehrslinien aus, von denen Steyr nun einmal etwas abgesetzt ist. Unter diesen Umständen mußte unsere Stadt hinter dem aufsteigenden Zentralort zurückbleiben.

Die relativ ruhige Epoche des späten 18. Jahrhunderts wurde durch die Franzosenzeit jäh abgebrochen und es war ein böses Aufschrecken, als im Jahre 1800 die Revolutionsarmee unter General Moreau vor den Augen der Bürger die Österreicher über die Enns zurückdrängte. Man konnte sich noch glücklich schätzen, daß am Weihnachtstag im Haus der Löwenapotheke in Zwischenbrücken der Vorfriede von Steyr unterzeichnet wurde, wenn auch Einquartierung und Kontribution schwer genug lasteten.

Am schlimmsten waren die Novembertage 1805, als die Österreicher den Franzosen im Bereich von Steyr erbitterten Widerstand leisteten, um ein rasches Übersetzen derselben über die Enns möglichst zu behindern im Interesse des Rückzuges der Hauptmasse der eigenen Armee. So kam es zu einem blutigen Nahkampf auf dem Stadtplatz, zu schweren Feuergefechten über die Enns hinweg, zuletzt zu erbitterten Kämpfen im Ennsdorf, als die Franzosen mehrere Bataillone Ennsabwärts gegenüber der Ramingbachmündung übergesetzt hatten. Jedesmal wurden die Ennsbrücken schwer beschädigt, 1809 gar von den zurückweichenden Österreichern in Brand gesteckt, sodaß zu den Quartierlasten und Kontributionen auch noch die Sorgen um die kostbaren Brücken kamen.

Kapitel drei

Mit dem 19. Jahrhundert trat Steyr, wie Sie alle wissen, in eine völlig neue Epoche ein, als es mit Josef Werndl zu einer modernen Industriestadt wurde. Nachdem Werndl seit 1855 die väterliche Gewehrerzeugung weiterführt hatte, gründete er 1864 die Waffenfabrik Josef und Franz Werndl & Comp., wandelte sie 1869 in die österreichische Waffenfabriks AG um und machte diese im Bereich der Steyr-Fluß-Inseln am Wehrgrabenkanal zu einer der größten Gewehrfabriken Europas, deren Bedeutung ich Ihnen nicht vorzustellen brauche. Daß in ihrem Gefolge eine Reihe anderer Industrieunternehmungen wie die Gummifabrik Reithoffer (bis 1932), Nägel- u. Drahtstiftenfabriken, Metallwaren-, Messer- u. Bestecke Produktion u. a. ihren Sitz hier aufschlugen, verstärkte die Entwicklung eines gänzlich neuen Charakters der Stadt mit der sozialen Problematik des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, der sich kein industrieller Betrieb entziehen vermochte und die von der Popularität Josef Werndls höchstens anfänglich gemildert werden konnte. Mit ihr bildetet sich auch die bekannte politische Struktur der Stadt. Damit war Steyr trotz ihrer relativen Kleinheit zur bedeutendsten Industriestadt Oberösterreichs mit internationaler Reichweite seiner Hauptunternehumg geworden.

Das weitere Schicksal der Waffenfabriks AG mit der Umstellung zum Autobau nach dem 1. Weltkrieg, mit der Umwandlung zur Steyr-Werke AG (1925) und zur Steyr-Daimler-Puch-Werke AG (1934) ist ebenso wie das Schicksal der Stadt schwer überschattet durch die düsteren Jahre der Weltwirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit, die eine Stadt mit solchem Überwiegen eines Großbetriebes besonders schwer treffen mußte.

Kapitel vier

Der Charakter einer Mittelstadt mit beherrschender Großindustrie blieb auch nach dem zweiten Weltkrieg erhalten, da die Steyr-Werke durch die nationalsozialistische Ära und den Krieg ebenso wie nach diesem noch eine bedeutende Ausweitung in ihrem Programm (Kugellager u. ä.) und in ihrer Betriebsorganisation erfahren hat.

Betrachten wir zum Abschluß noch die Stellung unserer Stadt im Rahmen des heutigen Oberösterreich, so ist ihr Charakter nach den Konzepten der Raumordnung und Landesplanung der eines hochentwickelten zentralen Ortes am Schnittpunkt zweier oberösterreichischer Landschafts- u. Wirtschaftsräume, nämlich des oberösterreichischen Zentralraumes (im Städtedreieck Linz – Wels – Steyr) und des Voralpenraumes des Enns-, Steyr- u. Kremstales.

Die Rolle dieses zentralen Ortes ist es, an dieser Stelle die Funktionen und die Wirtschaftskraft des Zentralraumes näher an den Voralpenbereich heranzubringen in Form eines Arbeits- u. Versorgungsschwerpunktes.

Mit dieser Funktion im engeren Umkreis und im Rahmen Oberösterreichs erschöpft sich aber die Bedeutung der Stadt ebensowenig wie in früheren Zeiten ihrer Geschichte. Sie ist mit den vielfältigen Aktivitäten ihrer Industrieunternehmungen voran der Steyr-Werke und der seit 1945 bestehenden GFM in weltweite Wirtschaftsbeziehungen verflochten.

Dieses Manuskript stammt von einem Vortrag, den mein Vater Dr. Viktor Trautwein im Jahr 1979 gehalten hat. Ganz wie es seine Art war, hat er diesen Vortrag über Wochen hinweg sehr sorgfältig recherchiert und gewissenhaft formuliert.

 

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