Von Josef Drausinger
Ein Wirtshausschild wäre kaum der Beachtung wert, wenn es nicht Anteil hätte an der Geschichte jener Entwicklung der Menschheit, die wir als wesentliche, weil instinkthaft sichere Entfaltung der eigentlichen Sendung des Menschen, werten. Freilich, in unseren bewegten Zeiten ereignen sich so viele aufregende Dinge, dass es verwunderlich erscheinen mag, von so unbedeutenden Kleinigkeiten zu sprechen, die mit den, großen Fragen nicht das mindeste zu tun haben, welche gegenwärtig die Welt bewegen und in ihren Grundfesten erschüttern. Aber gerade diese endlosen, kräfteverzehrenden Kämpfe lenken den Sinn wieder zu den echten Werten des Lebens, zu den einfachen Pflichten des Tages, zu den ewigen Segnungen der Landschaft, und aus dieser Stimmung heraus, die so viele umfängt, wird begreiflich, dass das Wort „Heimat“ den alten, guten Klang wiedererhalten hat und die so oft verkannten Leistungen und Anschauungen unserer Vorfahren sich unserer Anteilnahme mehr und mehr erschließen.
Blicken wir hinauf zu den treuherzigen Schildern, die über den Toren der vielen Schenken unserer Stadt schweben! Diese Schilder würden sich vergeblich bemühen, mit den modernen Lichtreklamen der Weltstädte in Wettstreit zu treten. Man sieht es ihnen auf den ersten Blick an, dass sie zu anderen Geschlechtern zu sprechen hatten, zu Menschen, deren unverdorbener Blick noch nicht an dem Übermaß von Anpreisungen stumpf geworden war und denen darum nicht mit sinnbetörenden Mitteln beigekommen werden musste. Die Schilder unserer altbürgerlichen Wirtshäuser in den traulichen Gassen unserer Stadt wenden sich vielmehr an das Behagen und die gute Laune ihrer Besucher; sie entnehmen ihre Werbemittel einer geradezu bezaubernden, fast kindlichen Vorstellungswelt. Diese anheimelnde Art aber, den Vorbeieilenden mit größter Einfalt anzusprechen, ihn durch alte, Jahrhunderte unverändert gebliebene Zeichen des Hauses auf dessen Vorzüge selbst aufmerksam zu machen, auf seine warmen, gewölbten, getäfelten Stuben, auf die gemütlichen tiefen Mauernischen, insbesonders aber auf den guten Tropfen, lässt auch in verwöhnten Großstädtern eine Saite anklingen, die sie unvermutet mit unseren Altvorderen in eine trauliche Beziehung rückt und seinen guten Anteil daran hat, dass Hätschelhans auf dem Lande sich recht wohl fühlt.
Als man die schmiedeeisernen Wirtshausschilder und Hauszeichen ersann und aushing, waren viele jener Stadtbewohner, die nach emsiger Tagesmühe bedächtig ihren Abendschoppen am Stammtisch tranken und mit ihren Nachbarn und Freunden ebenso tiefe und ebenso belanglose Gespräche führten wie die Menschen von heute, des Lesens und Schreibens nur selten kundig. Das wird ihrer guten Laune nicht viel geschadet haben. So hing man denn statt langatmiger Titel ein sinnfälliges Zeichen über das mächtige Tor, und eben diese frühe Zeit des Ursprungs dieser Schilder klärt den seltsamen Zusammenhang mit den köstlichen Namen aus Sage und Geschichte, Tier- und Pflanzenwelt. Die immer wieder vorkommenden Bezeichnungen: Löwe, Bär, Adler, sind Sinnbilder der Stärke und der Tapferkeit, die damals in den Wappen ritterlicher Geschlechter Verwendung fanden und ihren Einfluss auch auf die Wahl der Wirtshauszeichen ausüben mussten. Aber nicht nur diese mittelalterliche Welt des Rittertums, auch Fabel und Sage, christliche Gebräuche und Feste, Besonderheiten der örtlichen Lage, Symbole der Innungen, helfen an der Bildung jener Begriffe mit.
Es ist aber nicht nur reizvoll, dem Sinn dieser Namensgebungen nachzuspüren, sondern ebenso dankbar, die künstlerische Seite dieser Schmiedearbeiten zu betrachten. Die künstlerische? Jawohl!
Man muss nur einmal den Blick dafür üben, um zu erkennen, wie wundervoll einzelne dieser Arbeiten sind, man muss sie miteinander vergleichen und auf die Kräfte achthaben, die an der Ausführung dieser Schilder teilnehmen, man muss beobachten lernen, wie sich handwerkliche Tüchtigkeit und Überlieferung mit den Einflüssen des jeweiligen Zeitgeschmackes und der persönlichen Eigenart des Meisters zusammenfinden.
Liebte die Zeit der Renaissance die klare Gliederung in Träger und Schild, ruhige Schönheit der Linie und der ornamentalen Flächenfüllung, welche die Verstrebung des Trägers geradezu fordert, so durchbricht der nachfolgende Barockstil die glatte Fläche und löst die Schönheit der unbedingten Ruhe in eine Schönheit der Bewegung auf. Ranken und Blätter umblühen jetzt die Schwere des Schildes, streben ihr entgegen und scheinen sie schließlich in luftige Gebilde umzuwandeln. Unermüdlich ist die Phantasie der Schmiedemeister bemüht, das Spiel ausladender Linien, bewegter Bogen und Spiralen zu steigern; dazu treten Zeichen und schmückende Zutat zur Freude des verständigen Beschauers in enge formale und inhaltliche Beziehung.
Man darf sagen, dass mit dem ersten Auftreten schmiedeeiserner Schilder im Straßenbild auch das Streben nach Schönheit der Form und des Maßes, der vollkommene Gleichklang mit der Gebärde der Architektur am deutlichsten zu spüren ist und die Zeit der Renaissance auch hier die innerliche Stileinheit der Gotik in die irdische Welt übersetzt und mit Frohsinn und Daseinsfreude erfüllt. In den Tagen des Barock scheint nun diese Einheit noch inniger zu werden, weil über die einzelnen Glieder des Ganzen, die bisher vom Eigenleben erfüllt waren, die allesüberspülende Macht der Bewegung geht, von welcher der Fassadenschmuck ebenso erfasst wird wie die Ornamentik der Schildträgerfüllung. Diese letzte mächtige Woge abendländischen Kunstbekenntnisses verrinnt dann an den Ufern von Spätstilen, deren Kraft nicht mehr zur Beherrschung des Außenbildes reicht, die sich darum auch nur des Innenraumes wirklich bemächtigen können und aus ihm jene reizvollen Schöpfungen gestalten, die uns als Rokoko, Empire, Biedermeier vertraut und lieb geworden sind. In dieser Spätzeit hört die Verbundenheit des Schildes mit dem Bauwerk auf; das Schild geht — unbekümmert um seine nächste Umgebung — seinen eigenen stilistischen Weg; es mutet jetzt an, als fei es ein Ding wie jedes andere in den Wohnräumen und nur zufällig an die Außenseite des Gebäudes geraten, mit der es einzig noch das feine Empfinden für Stil gemeinsam hat. Das Schild ist jetzt ein Ding für sich geworden, das feine enge Beziehung zur Hausfassade gelöst hat und deshalb auch nicht mehr wählerisch auf einen geeigneten Platz bedacht ist.
Dennoch stellen die Schöpfungen des Rokoko einen neuerlichen Höhepunkt dar, der den der Renaissance wieder erreicht. Form und Inhalt verklingen in so vollendeter Weise ineinander, dass die Leistungen des vorausgehenden Barock wie eine Auflockerung des Gefüges wirken, wie Gestaltungslösungen, die sich noch nicht ganz in die neue Stilgesinnung finden konnten.
Von dieser letzten Höhe führt der Weg dann in immer weiter um sich greifende Auflösung bis zu Zerfallserscheinungen, die eine allgemeine Teilnahme gar nicht mehr verdienen. Nur selten gelingen der Zeit der letzten Jahrhundertwende noch Schöpfungen von künstlerischem Wert, und dann sind sie meist Nachschöpfungen verklungener Stile. Ab und zu wagt sich ein Entwurf aber doch an eigenwillige persönliche Gestaltung eines Themas, wie etwa das „Kripperlschild“, das die Reihe der hier ausgewählten Schilder beschließt.
Ordnet man übrigens die verschiedenen Eindrücke nach Kunstepochen, so wird man auf einen Umstand aufmerksam, der jedem Schild seine ganz bestimmte Stelle in der Reihe zuweist. Freilich ist allen diesen Gebilden dekorative Gesinnung gemeinsam, die von schöner Linienführung lebt, aber jedes dieser Schilder unterscheidet sich von den übrigen durch das Ausmaß des schmückenden Beiwerkes und die Art und Zahl der dafür aufgewendeten Schmuckmotive. Die zeitliche Folge ergibt sich aus einem immer höheren Grade der Bereicherung, die allerdings nicht gleichzeitig als eine Steigerung des künstlerischen Wertes gedeutet werden darf. Eher ist das Gegenteil wahr: dass nämlich mit dem allmählichen Schwinden des Empfindens für edle Einfalt und stille Größe der Hang nach Inhalt wächst und aus diesen Zeichen des unentwegt sich wandelnden Geschmackes allein schon die zeitliche Folge der einzelnen Schöpfungen bestimmbar ist.
Da ist zunächst das Schild „Zum weißen Lamm“ (Zeichnung 1) am Hause Stadtplatz 28, dem Rathause gegenüber, dem an Schönheit und Reinheit der formalen Gestaltung nur noch ein einziges der anderen Renaissanceschilder Steyrs ebenbürtig ist. Klar abgegrenzt in den einzelnen Teilen, treten Trägerfüllung, Bekrönung, Spindelblume, Schildfigur und deren Umrahmung zu einem wohlausgewogenen Ganzen zusammen. Die ersten drei Elemente verwenden den Rundstab zu ineinander verschlungenen Spiralen, und die daraus entwickelten Gebilde sind sparsam ergänzt durch wenige flache, goldene Blattmotive, deren einige auch der Spindelblume entblühen. Die Schildfigur — ein weißes Lamm — ist aus starkem Eisenblech ausgeschnitten und von grünem Laubwerk umrandet, dessen Farbtöne bis ins Weißliche spielen. Welche Bedeutung der kipfelförmigen Figur über der Spindelblume zukommt, ließ sich bisher nicht ermitteln.
Zeichnung 1:
Zeichnung 2:
Im Hause Nr. 16 am Grünmarkt, an dem sich jenes andere, künstlerisch gleichwertige Renaissanceschild „zum goldenen Hufeisen“ (Zeichnung 2) befindet, betrieb schon in den Jahren 1586 —1597 ein Sebastian Khlingler eine Weinausschank. Aus nicht viel späterer Zeit mag das Schild stammen. In der Formgebung nach genau den gleichen Grundsätzen behandelt wie das „zum weißen Lamm“, lassen sich bei diesem Schild doch schon Spuren einer kommenden Wendung zur Verschmelzung der einzelnen Teile ablesen. Schon die Behandlung der Zierspiralen der Trägerfüllung ist einheitlicher in den Hauptlinien und zugleich freier in der Behandlung der Durchflechtung. Die Trägerstützstange fühlt sich nicht mehr als Hypotenuse eines rechtwinkeligen Dreieckes, sondern strebt in einer eleganten Kurve aus senkrechtem Ansatz zur Hauswand gegen ihr Ziel, und sie rollt sich nicht einfach ein, wenn dieses erreicht ist, sondern antwortet in Verzweigung der darüber lagernden Bekrönung. Was aber besonders auffällt, ist die einheitliche Verwendung von gleichartigen gezackten Blättern als Schmuck- und Füllmotiv. Trägerfüllung, Stützstangenende und Bekrönung wachsen zu übergeordneter Einheit zusammen, die sogar noch zu jener Blatthülle hinübergreift, der die Figur des heiligen Leonhard, des Schutzpatrons der Schmiede und Wagner, entwächst. Die Schildzeichen sind leider nicht mehr vollständig; es fehlt ein viertes kleines Hufeisen und ein Doppelrad.
Zeichnung 3:
Zeichnung 3 zeigt das Schild „zum roten Krebsen“, mit dem wir in eine Zeit treten, deren künstlerisches Empfinden gänzlich anders geworden ist. Was Jahrhunderte vorher als leise Regung vernehmbar war, ist nunmehr zum vollen Durchbruch gelangt: das Verschmelzen aller Formteile zu einem unlösbaren Ganzen, die Abkehr von der geraden Linie, das Streben nach ausschwingender Bewegung, die Umwandlung gleichberechtigter schöner Einzelwerte in eine Rangordnung, die auf einen Spitzenwert als Ziel hinstrebt. Schildträger und Schildfigur leben nicht mehr aus sich selbst; jener ist Vorbereitung, diese ist Erfüllung geworden. Nicht mehr gelassene Schönheit, sondern tänzerische Anmut beseelt das Spiel der Linie. Diese Umstellung vom Raume auf die Zeit hat eine Vereinheitlichung der Formgebung zur Folge. Bekrönung und Symbole entfallen, und das Mannigfaltige des Inhalts wird nun zu Bereicherung der Grundform. Dieses Beiwerk aber, das die Hauptlinien begleitet und umspielt, verrät noch eine gewisse Willkür und Unsicherheit in Erfindung und Anwendung. Man weiß wohl von der barocken Großform der Architektur her, was man will, man trifft — wie das Bild zeigt — genau den Ton, den diese Architektur angibt, aber man ist noch nicht bis zur völligen Verschmelzung von Gehalt, Form und Inhalt vorgestoßen. Es fehlt noch jene schwerelose Durchgeistigung, die ein wenig später die Innenarchitektur des Rokoko erstrebt und erreicht. Das Grundbuch weist für die Jahre 1735—1752 den Schiffmeister Josef Sellhammer als „Gastgeb“ und Besitzer des Hauses Stadtplatz 44 aus. Dieser Mann war demnach an dem Verkehr der Schlepper beteiligt, die ennsaufwärts Lebensmittel für die Knappen des Innerberges beförderten. Bei diesem Wirt kehrten die Schiffer ein, worauf der Krebs als Sinnbild deutet, und zu dieser Zeit wird wohl auch das Schild gefertigt worden sein.
Zeichnung 4:
Beim Schild „zur goldenen Sense“ (Zeichnung 4) ist das im Barock aufgegriffene künstlerische Ziel einer aus der Bewegung kommenden Einheit zu unüberbietbarer Vollkommenheit herangereift. Wundervoll in der Anmut des vielstimmigen Linienspieles, wachsen Träger und Schild zu unlösbarer Gemeinschaft ineinander, und das reiche, von blühender Erfindung durchpulste Beiwerk stilgebundener Art hält sich weise in den Schranken des künstlerisch Notwendigen. In diesem entzückenden Werk ist ein so völliger Ausgleich von Gesetz und Freiheit, von Stoff und Form, von Mittel und Zweck, von Natur und Kunst erzielt worden, wie sonst nur in Werken anspruchsvollerer Art. Dabei ziert dieses Schild den Eingang eines bescheidenen, nur einstöckigen Vorstadthauses (Sierningerstraße 30), in dem einmal vorübergehend das vielbesprochene Steyrer Kripperltheater untergebracht war. Die Zeit ist längst vorbei, in der Hausfassade und Schild noch einem gemeinsamen Stil verpflichtet waren. Die ausgebreitete Fledermaus, welche die Einfassung der Schildfigur schließt, trägt auf einer Seite die Jahreszahl 1637. Erst hundertfünfzig Jahre später mag dieses Schild seinen Vorgänger abgelöst haben. Schwarz, Ocker, Grün und Gold erhöhen und ergänzen im Wechselspiel den melodischen Zauber dieser Schöpfung, die ganz aus sich selbst lebt und in der Häuserzeile der Vorstadtstraße wie ein verirrtes Schoßkind künstlerischer Phantasie, wie eine seltene schöne Blume auf kahlem Grund anmutet.
Zeichnung 5:
Beim Schild „zu den drei goldenen Rosen“ (Zeichnung 5) am Hause Stadtplatz 36 ist noch das Rokokoempfinden für das Graziös-Beschwingte lebendig, aber das kann man nur vom Ganzen sagen, nicht mehr von den Einzelheiten des schmückenden Beiwerkes. Dieses geht seine eigenen und seine recht verschiedenen Wege. Schmuckformen, die der Antike und der sich auf sie beziehenden Renaissance geläufig waren, müssen sich der Eigenwilligkeit linearen Schwunges einordnen, wogegen botanische Füllmotive die schon ganz naturalistische Haltung der Schildfigur selbst vorausnehmen. Eine als „Empire“ bezeichnete klassizistische Neigung spricht aus dieser sehr liebenswürdigen Schöpfung, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entstanden sein mag. 1806—1829 sind Anton und Katharina Mayr als „Gastgeb zu den drei goldenen Rosen“ nachgewiesen.
Zeichnung 6:
Einige Jahre später ließ der Wirt des Nachbarhauses Stadtplatz 38 — wahrscheinlich war es der 1838—1840 eingetragene Johann Neudorfer, Gastgeb zu den drei Alliierten — ein noch prunkvolleres Schild (Zeichnung 6) anfertigen, das sich auf das am 26. September 1815 zwischen Kaiser Franz II. von Österreich, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Zar Alexander I. von Russland geschlossene Bündnis bezieht. Die überaus lebenswahr gemalte „Heilige Allianz“ ist von einem Blätterkranz eingefasst und die Schildfigur von einem wuchtigen Träger gehalten, der als kräftiger, zuletzt in eine Spirale endigender Lebensbaum aus gitterartigem Grunde aufstrebt. Nichts erinnert mehr an den Menuettschritt des Rokoko, alles ist jetzt aus flüchtiger Erscheinung zu handgreiflichem Dasein geformt, das freilich eigenartig verniedlicht ist und einen gefährlichen Hang zum Unechten, zum falschen Pathos zeigt. Man kann sich vorstellen, dass ein paar Jahrzehnte darauf die Kunstblumenpoesie der Makartzeit folgen konnte. Wenn dieses Vielerlei von Schmuck: akanthusähnliche Blätter und Kelche, Spitzbogen und Säulen, Vase und Gezweig, Hüllblätter und Blütenstand, Knospen und Ranken dennoch zu ganz unerwarteter Wirkung sich vereint, dann liegt das wohl an der noch immer bedeutenden Gestaltung des Ganzen, der ein großes Erbe noch im Blute liegt.
Mit anbrechendem 20. Jahrhundert schließt die Geschichte dieser Schmiedeeisenschilder. Neuzeitliche Formen der Werbung drangen auch in die Landstädte vor; das einst so weit verbreitete Gewerbe der Kunstschmiede wich den Forderungen einer neuen Zeit und das für Schönheit aufgeschlossene Wesen unserer Vorfahren wurde abgelöst von einem Geschlecht, für das Zeit nur noch Geld zu bedeuten scheint. Was in unserem Jahrhundert noch entstand, führt sein Dasein auf Außenseiter zurück, die als Heimatforscher oder Kunstgewerbler mutig für den Wert des Überlebten eintraten. Zu diesen gehörte auch ein angesehener Steyrer Arzt, Dr. Richard Klunzinger, der zu Beginn dieses Jahrhunderts für das nach wechselvollen Schicksalen in einem Raum des Innerberger Kornspeichers wiedererstandene Steyrer Kripperltheater das Aushängeschild entwarf (Zeichnung 7). Mit feinem Sinn ist hier jene Stimmung vorverkündet, die von dieser, von allen Kindern Steyrs so geliebten Kleinbühne ausgeht. Märchenhafte Anmut und urgroßväterliche Lebensform verbinden sich zu einem Gebilde von hohem Reiz, das sich nur einem in Technik und Formengut Erfahrenen als nachempfundenes Werk ausweist — was übrigens auch von den zu gleicher Zeit entstandenen Wasserspeiern an der Renaissancefassade des Speichers gilt, die kongeniale Schöpfungen des Steyrer Stahlschnittmeisters Michael Blümelhuber sind.
So möge denn als Märchen verklingen, was als Schönheit begann. Enger könnte der gezogene Kreis der Betrachtung nicht sein und auch nicht bescheidener, was ihn ausfüllt. Und dennoch spiegeln diese wenigen artgleichen Erscheinungen eine Welt wider. Was Jahrhundert um Jahrhundert über das Schöne gedacht, wie es das Schöne empfunden, spricht aus diesen Kleinkunstwerken so gut wie aus den Schöpfungen, die aller Welt bekannt sind. Was ihnen an Größe des Entwurfes, an Verschränkung des Gefüges, an Wirksamkeit der Kunstmittel mangelt, das ersetzen sie durch eigenartig anheimelnden Reiz, der allen Dingen eignet, die uns ein Leben lang umgeben. Sie gehören sozusagen zu uns. Und darum sollen sie uns nahe sein und nahe bleiben!
Zeichnung 7:
Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Dezember 1949