Von Josef Drausinger
Unmittelbar nach der Einmündung der Steyr in die Enns treten die eiszeitlichen Terrassenbildungen knapp an das linke Flussufer heran und geben neuerlich Gelegenheit zu einer überaus malerischen Gruppierung der Häuser, welche die Bezeichnung „im Ort“ führt. Die den Strand begleitenden alten Gebäude sind durch schöne Baumgruppen und Gärten aufgelockert, und von ihnen führen Gässchen und Stiegen zu einer Uferstraße empor, von der man einen der eindrucksvollsten Blicke auf die Stadt genießt. Alle diese schmalen Steige und Stiegendurchlässe führen keinen Namen, weil sie zu bedeutungslos sind, und sie werden daher als Verzweigungen der „Fischergasse“ gedeutet und nach dieser benannt, die als einzige, etwas breitere Gasse zum „Ort“ hinabführt. Aber gerade diese alten Örtlichkeiten, die an allen Ecken und Enden Verfallserscheinungen zeigen, bergen manche kunstgewerbliche oder bauliche Kostbarkeit, die umsomehr überraschen, weil die Zeichen großer Bedürftigkeit gar nicht darauf schließen lassen. So entdecken wir etwa an der Tür zum Hause Fischergasse 24 einen Türklopfer und einen Türring in edelster Stahlschnittarbeit, leider schon arg vom Rost entstellt.
Betrachten wir zunächst den Türklopfer, ein Gerät, das in unserer Gegend insbesonders auf dem Lande gebräuchlich ist. Die Empfindungswelt der Renaissance umfängt uns wieder, wie am Anfange unserer Wanderung. In lauterster Klarheit sprechen die einzelnen Teile den Sinn ihres Daseins aus: der eigentliche Türklopfer, seine Befestigung an der Türwand und der Schlagstock. Jede, auch die geringste geistige Überlegung wird dadurch ausgeschaltet, und das Gemüt kann ohne jede, Hemmung auf das Wesen des unscheinbaren Werkes ansprechen, das einzig in linearer und plastischer Schönheit besteht. Vorstellungen aus der antiken Sagenwelt klingen auf: der fein ziselierte Kopf eines Fauns bildet den Griff des Klopfers, und über der Stirn deuten im Halbrelief edle Spiralen widderartige Hörner an. Sie legen das Motiv fest für die Durchbildung der beiden zu Spiralen eingerollten Bänder, die durch die Schönheit der Linienführung das gesamte Gebilde überstrahlen. Der Stiel des Türklopfers endigt in drei blattähnlichen Abrundungen, welche die Schmuckformen der Befestigungsrosette vorausklingen lassen. Dagegen lebt der Schlagstock von der Zierform des Türklopfers: feine gekerbten Ringe antworten den Spiralen der Faunshörner und verweisen dadurch auf den logischen Zusammenhang zwischen Klopfer und Schlagstock. Edel, einfach und schön im Aufbau, knapp und bestimmt in der Ausdrucksweise, gemahnt dieses Kleinkunstwerk an den melodischen Silbenfall eines klassischen Epigrammes.
War der Türklopfer zufolge seiner sachlichen Bestimmung an die herkömmliche Form gebunden, so ist der Türring als bloßes Schmuckelement davon fast völlig frei. Aber die Art der Zierformen schließt sich eng an die des Klopfers an, und es ist selbstverständlich, dass der Stil die dort aufgegriffene Richtung weiterverfolgt. Alle beim Türklopfer verwendeten Schmuckmotive kehren daher beim Türring wieder: der Faunskopf, die Bandspiralen, die Blattrosetten, die Ringkerben. Die stilistische Formgebung wiederum sorgt für ebendieselbe klare Gliederung und Unterteilung, wie wir sie beim Türklopfer feststellen konnten. Der besondere Reiz dieses Türringes besteht jedoch in den schönen Verhältnissen der Teile untereinander und zum Ganzen in der Führung der Linien und in der besonderen Formgebung, die fremde, südliche Einflüsse mit altertümlichen deutschen Formen und Regungen zu verbinden weiß. So entsteht aus der einfachen Grundlinie des Kreises ein sehr eigenwilliges und vielgegliedertes Gebilde, ein Hin- und Zurück-, ein Aufwärts- und Abwärtsstrebendes, das aber sein höchstes Ziel immer nur in Erfülltsein von Schönheit sucht und findet.
Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Dezember 1951
Aus dem unveröffentlichtem Buch „Gedichte in Eisen“ von Josef Drausinger