Otto Jungmair, Mundartdichter , Mundartforscher und Essayist

 

(1889 – 1974)

Mundartdichter , Mundartforscher und Essayist

Otto Jungmair

(* 6. April 1889 in Molln; † 4. Oktober 1974 in Linz) war ein oberösterreichischer Schriftsteller und Dichter, dessen Werke hauptsächlich im oberösterreichischen mittelbairischen Dialekt geschrieben sind. Daneben beschäftigte er sich in philologischer Forschungsarbeit mit Adalbert Stifter und gab gemeinsam mit Albrecht Etz das „Wörterbuch zur oberösterreichischen Volksmundart“ heraus.

Leben

Er wurde in Molln im Steyrtal geboren als Sohn eines Forstmeisters, der beim Forstdienst der Grafen Lamberg arbeitete, den ehemaligen Feudalherren der Region. Er ging in Molln in die Volksschule und besuchte dann die Realschule in Linz. Die Oberrealschule absolvierte er von 1903 bis 1907 in Steyr. Dort blieb er auch nach seiner Schulzeit und wurde zunächst Buchhalter in der dortigen Waffenfabrik und später Bankangestellter. In dieser Zeit war er in seiner Freizeit schriftstellerisch tätig und veröffentlichte etwa 1930 seine Hoamatmeß. Dabei setzte er eine Familientradition fort, da schon sein Großonkel Rudolf Jungmair ein bekannter Mundartdichter gewesen war. Nach dem Anschluss Österreichs im Jahr 1938 konnte er nicht weiter publizieren, da er zunächst als Buchhalter für die neu gegründeten Hermann-Göring-Werke in Linz arbeiten musste und am 11. August 1939 von der Gestapo verhaftet wurde. Daraufhin wurde er zur „Verwahrung“ ins KZ Oranienburg/Sachsenhausen gebracht, später ins KZ Dachau. Im Jahr 1942 wurde er entlassen, aber für die „Deutsche Arbeitsfront“ verpflichtet. So wurde er Leiter des „Freizeit-Studios“ in Linz, wo er mit der künstlerischen Einschulung von Laiengruppen beauftragt war und weiters Referent für Volkskultur und Brauchtum war. Im Jahr 1943 musste er mehrere Schicksalsschläge hinnehmen, denn zu erst starb seine Tochter und kurze Zeit später sein Sohn als Soldat in Russland. Als die Fliegerangriffe auf Linz immer häufiger wurde flüchtete er nach Altaussee, wo er bis zum Ende des Krieges blieb.

Nach dem Krieg konnte er wieder seinem literarischen Schaffen nachgehen und war ab 1947 endgültig als freier Schriftsteller tätig. In den 1950er und 60er Jahren erschienen zahlreiche Werke von ihm, die jedoch auch frühere vor dem Krieg entstandene und bisher unveröffentlichte Texte enthielten. Daneben widmete er sich immer mehr sprachwissenschaftlichen Studien, über den oberösterreichischen Dialekt, über Adalbert Stifter, aber auch über mittelhochdeutsche und altnordische Literatur. Er engagierte sich beim Stelzhamerbund und bei der Stifter-Gesellschaft und arbeitete an einem Wörterbuch der oberösterreichischen „Hoamatsproch“. Dieses Werk wurde allerdings erst posthum im Jahr 1978 von Albrecht Etz veröffentlicht.

Otto Jungmair war Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Molln und wurde 1961 zum Professor h.c. ernannt. 1972 wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen. Am 4. Oktober 1974 verstarb er 85jährig in Linz.

Werke

Dialektliteratur

  • D’Hoamatmeß; ein Meßliedtext in Mundart, uraufgeführt 1930
  • Das Spiel vom Helmbrecht-Moar; uraufgeführt 1947, gedruckt Wels: Welsermühl 1959 (Dialektadaption der mittelhochdeutsche Versnovelle Meier Helmbrecht)
  • Stoan und Stern; Gedichte, Linz: Oö. Landesverlag, 1953
  • Legenden in oberösterreichischer Mundart, Linz: Oö. Landesverlag, 1959
  • Untá dá Lind’n; Gedichte und Sprüche von Walther von der Vogelweide in moderne Mundart übertragen, Linz, Ried im Innkreis: OÖ. Landesverlag, 1964
  • Allerhand Kreuzköpf aus’n Landl: Mundartgedichte, 1969
  • Gereimte Ungereimtheiten: Sammelband, 1973

Hochdeutsche Werke

Wunden und Wunder; Gedichte, Linz: Oö. Landesverlag, 1963 (mit einem Zyklus über Anton Bruckner und dem „Traumlied Olaf Aastesons“)

Allgemeines

Otto Jungmair stammte aus Molln, geboren am 6. April 1889, verbrachte die Jugend zum größeren Teil in Steyr und kam in den Zwanzigerjahren nach Linz. Er arbeitete in verschiedenen Berufen, in Zeiten der Arbeitslosigkeit ging er seinen literarischen und sprachlichen Forschungen nach, einige Jahre verbrachte er im KZ, seit 1947 war er endgültig als freier Schriftsteller tätig. Er starb am 4. Oktober 1974 in Linz.

Sein Interesse galt vor allem dem Dialekt und Adalbert Stifter. Als Herausgeber eines „Wörterbuches der oberösterreichischen Volksmundart“ (Otto Jungmair und Albrecht Etz, herausgegeben vom Stelzhamerbund, Linz 1978) erwarb er große Verdienste um die Pflege unserer Heimatsprache. Über Adalbert Stifter gab er eine Reihe von grundlegenden Arbeiten heraus.

1953 wurde ihm die Stelzhamer-Plakette für Verdienste um Mundart und Volkstum,
1964 die Goldene Plakette der Stadt Steyr für Kunst und Wissenschaft,
1965 der Förderungspreis des Theodor-Körner-Stiftungsfonds für Kunst und Wissenschaft und
1966 das Silberne Ehrenzeichen des Vereines der Oberösterreicher in Wien verliehen.

Von den Dialektdichtungen sind am bekanntesten:

„D’Hoamatmeß“,
ein mundartlicher Meßliedtext, uraufgeführt 1930.

„Stoan und Stern“,
Gedichte in oberösterreichischer Mundart,
Linz (Oö. Landesverlag) 1953.

„Das Spiel vom Helmbrecht-Moar“,
Wels (Welsermühl) 1959, uraufgeführt 1947.

„Untá dá Lind’n“,
Gedichte und Sprüche Walthers von der Vogelweide,
in die Mundart übertragen. Linz (OÖ. Landesverlag) 1964.

„Legenden in oberösterreichischer Mundart“
Linz (Oö. Landesverlag) 1959 (darin ist auch die Messe wieder abgedruckt).

Jungmair konnte in seiner Dialektdichtung auf fundierte sprachliche Kenntnisse des Mittelhochdeutschen zurückgreifen. An hochsprachlicher Literatur veröffentlichte er den Gedichtband

„Wunden und Wunder“, Gedichte. Linz (Oö. Landesverlag) 1963.
Darin sind auch die schon früher veröffentlichten Abschnitte „Non confundar“, ein Zyklus über Anton Bruckner, sowie „Traumlied Olaf Aastesons“, eine Nachdichtung altnorwegischer Texte, enthalten.

Jungmairs Lyrik schließt an die lyrischen Vorbilder Zerzer und Fischer-Colbrie mit vielen Wortneuschöpfungen und langen Komposita, einem kosmischen Wortschatz („SternenAll“, „Klangdom“) und der Betonung des Adjektivs an.

Beispiel von Otto Jungmair aus „Gereimte Ungereimtheiten“
Die Schublade
Jede Eingebung, die in die Feder schießt,
Sollst nie du gleich drucken lassen,
Damit dich das Ding dann nicht später verdrießt
Wenn das Brünntein der Dichtung geläutert fließt.
Was entfloh´n ist, ist nicht mehr zu fassen!
Wohl, freilich, ein stürmischer, junger Most
Mag manchem auch trefflich munden,
Doch hat sich auch mancher nachträglich erbost,
Wenn der Sturm dann in seinen Gedärmen tost,
Statt in Fässem und hinter den Spunden! –
Die Schublade ist ein sehr nützlicher Raum,
Da magst du die Dinge belassen:
Da drinnen emüchtert sich mancher Traum,
Wird zu Wasser der aufgeblasene Schaum
Und klären sich ordnend die Massen.
Was lange, noch rastend, gelegen hat,
Reift weiter noch spät in Gehirnen,
Es ist um die Weile des Wartens nicht schad‘,
Die Süße der Reife kommt meist erst spat,
´s ist wie mit den weichen Birnen!

Alois Großschopf
Professor Otto Jungmair zum
80. Geburtstag am 6. April 1969

Festrede, gehalten am 10. April 1969 im Rahmen einer Feierstunde
des Stelzhamerbundes im Festsaal der Handelskammer zu Linz.
Erschienen in: Vierteljahresschrift. Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oö.
XIX, Folge 1/2, Linz 1970, S, 5-10.

Wenn ein Mensch in voller geistiger Frische und Schaffenskraft seinen 80. Geburtstag feiern kann, so ist dies allein schon eine große Gnade. Es stünde ihm zu, nach einem so arbeitsreichen Leben seine Tage der Rückschau zu widmen auf das, was ihm das Schicksal angetan und was das Leben eingebracht hat. Professor Otto Jungmair, den wir heute ehren und dem wir auch Dank sagen wollen für alles, was er für seine Heimat getan hat, denkt nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen. Er arbeitet mit unvermindertem Eifer weiter, und es ist nicht das kleinste seiner Werke, das er soeben vollendet.

Es gilt heute, den Menschen, den Künstler und den Wissenschafter Jungmair darzustellen, so wie das eine in das andere übergreift und wie es einander bedingt.

Unser Jubilar wurde am 6. April 1889 in Molln im Steyrtal geboren. Sein Vater war Oberförster beim Grafen Lamberg, dessen Herrschaftsverwaltung in Steyr lag. Es war eine gastliche Stätte, dieses Forsthaus zu Molln, und der aufgeweckte Knabe kam in dem befriedeten Elternhaus frühzeitig mit den Musen in Berührung. Sein Großonkel war der bekannte Mundartdichter Rudolf Jungmair, dessen Werke in drei Bänden gedruckt vorliegen. Als Statthalterei- beamter in Vöcklabruck, wo dieser im Rahmen eines musischen Kreises seine Dichtungen vortrug, kam Rudolf Jungmair auch mit Franz Stelzhamer und sogar mit Adalbert Stifter zusammen. So wurden allein schon durch die Verwandtschaft erste Fäden späterer Geistigkeit in Dichtung und Forschung gesponnen.

Dieser Rudolf Jungmair war eng befreundet mit dem Traunviertler Mundartdichter Anton Schosser, der als Geometer in der Bergwelt um den Traunsee Vermessungen durchführte. Der Arzt und Mundartdichter Josef Moser aus Klaus war häufig ein gern gesehener Gast im Vaterhause unseres Jubilars. Schon als Volksschüler las Otto Jungmair die damals erschienenen Mundartbände„Aus der Hoamat” mit größtem Eifer. Dieses Sammelwerk vereinigte die Dichtungen der Großen unserer Mundartkünstler. Was Wunder, dass der empfängliche Junge schon bald auch selbst zu eigenen Dichtungen angeregt wurde.

Es war eine reiche, glückliche Kindheit an der Seite von sechs Geschwistem mit einem patriarchalischen, aber grundgütigen Vater und einer Mutter, die Jungmair selbst mit der Mutter Stifters vergleicht, von der dieser sagt:„Meine herrliche Mutter, ein unergründlicher See von Liebe, hat den Sonnenschein ihres Herzens über manchen Teil meiner Schriften geworfen.”

Zu dem musischen Umgang in der elterlichen und verwandtschaftlichen Umgebung kam das große Naturerlebnis im Kreise der Forstleute, der Jäger und der Bauern, an deren Seite er in täglichem Verkehr die Wälder, Berge, Felder und den noch ursprünglichen Reichtum der Natur seiner schönen Heimat kennen und lieben lernte. Den Menschen seiner Heimat schaute er dabei fest auf den Mund und tief in die Seele. Er lernte die„Sinnierer kennen mit ihrer bäuerlichen Lebensweisheit und Naturfrömmigkeit”, wie er sie später oft in seinen Dichtungen schilderte.

Hervorragende Lehrer an der Mittelschule in Steyr taten das ihre zur Vertiefung des Wissens, zur Erweiterung des Gesichtskreises, zur Ordnung im Denken. Seinem Steyrer Deutschlehrer verdankt Jungmair die Liebe zum Mittelhochdeutschen, die ihn nie mehr verließ und die in den späteren Nachdichtungen ihren reichen künstlerischen Niederschlag fand. Auch sein Lehrer in den realen Fächern, Gregor Goldbacher, lebt als Heimatforscher und Dichter in der oberösterreichischen Mundartdichtung fort. Jungmair kam später im Steyrer Volksbildungsverein, dem sein Vater vorstand, auch mit dem Mundartdichter Franz Honig, der in Kremsmünster als Bürgermeister und Kupferschmied wirkte, in Verbindung.

Eine Böhmerwaldwanderung erweckte schon in dem jungen Realschüler die Liebe zu Stifters Heimat und zu dem Dichter selbst. Am 26. August 1906 fand auf dem Gutwasserberg in Oberplan die Enthüllung des Stifter-Denkmales statt, bei der der berühmte Prager Germanist August Sauer die Gedenkrede hielt. Dabei fand die erste Begegnung Jungmairs mit dem Stifterbiographen Alois Raimund Hein aus Wien statt. Der 17-jährige Jungmair ahnte damals aber noch nicht, dass er Heins Stifter-Biographie mehr als vier Jahrzehnte später in einer zweiten Auflage erweitern, erläutern und auf den neuesten Stand der Forschung bringen sollte.

Es ist unmöglich, heute in diesem Rahmen alle Bekanntschaften, Freundschaften und Verbindungen mit Männern des Geistes und mit Institutionen aufzuzählen, die Jungmair in seiner großen Aufgeschlossenheit nach seiner Matura in Steyr und später anknüpfte, verwertete und denen er selbst sein bereits reiches Wissen weitergab. So wollen wir zunächst in der Folge versuchen, das weite Feld seiner Leistungen auf den Gebieten der Mundart- und der hochdeutschen Dichtung, der Stifter-, der volks- und heimatkundlichen Forschung und der umfassenden Tätigkeit als Kulturschriftsteller abzustecken, um es in gestraffter Form wenigstens einigermaßen in den Griff zu bekommen. Hatte Jungmair schon als Volksschüler das erste Schöpferglück ausgekostet, als sein hochdeutsches Gedicht„Vögleins Bitte”, von dem Komponisten Josef Brauneis vertont, in der Mollner Volksschule gesungen wurde, so durfte er als Schüler der sechsten Klasse der Realschule in Steyr in den Münchener„Meggendorfer Fliegenden Blättern” sein erstes gedrucktes Gedicht sehen, dessen beträchtliches Honorar ihm eine Ferienwanderung zum Bodensee und durch Hegau und Schwarzwald ermöglichte. Volle neun Jahre war Jungmair als Bankbeamter in Steyr tätig. Es war eine Zeit, in der er außerdienstlich eine reiche Tätigkeit, vor allem auf dem Gebiete der Volksbildung und Schutzvereinstätigkeit, weit über Steyr hinaus, entfaltete. In Steyr selbst leitete er mit wachsendem Erfolg eine große Volksbücherei und baute darin eine Arbeiter- und Jugendbücherei aus. Hatte er mit Peter Rosegger in der Aktion zur Unterstützung deutscher Schulen in gemischtsprachigen Gebieten schon einen Briefwechsel gepflogen, so lernte er den Dichter der grünen Mark in Steyr anlässlich einer von ihm vermittelten Lesung auch persönlich kennen. Diese rege Verbindung hielt bis zum Tode Roseggers an.

Schon im Jahre 1910 war Jungmair in dem Sammelband „Hoamatgsang” unüberhörbar als Dichter eigener Prägung hervorgetreten. Durch den Kreis um Rosegger kam es zu freundschaftlichen Verbindungen mit dem Dichter Franz Keim und dem Priesterdichter Ottokar Kernstock. Er wurde so auch ständiger Mitarbeiter der später von Hans Ludwig Rosegger, dem Sohn des Dichters, geleiteten Zeitschrift „Heimgarten”; seine Arbeiten finden wir aber auch schon in den„Alpenländischen Monatsheften” in Graz und im„Getreuen Eckhart” in Wien.

Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte Jungmair als Bankbeamter in Linz. Hier gab es Begegnungen in Fülle, vor allem aber mit dem Dichter Paul Ernst, der ihm sein„Kaiserbuch” widmete. Die Arbeit im Dienste des Nächsten entspricht Jungmairs Wesen, das schon im heimatlichen Forsthaus, später im Elternhaus in Steyr, wohin der Vater in eine leitende Stellung versetzt worden war, geprägt wurde.

Es ist nicht von ungefähr, dass Jungmair so frühzeitig zu Stifter fand und zu Rosegger. Was ihn an beiden ansprach und einen inneren Gleichklang herstellte, kann in zwei Aussprüchen der beiden Dichter charakterisiert werden. Rosegger schrieb einmal:„Aller Weisheit höchste ist die Güte!”, und Stifter sagte in einem Brief:„Reichtum, Ansehen, Macht, alles ist unbedeutend und nichtig gegen die Größe des Herzens. Das Herz allein ist das einzige Kleinod auf der Welt!”

In Linz wirkte Jungmair in gleicher Weise weiter. Im „Volksboten”, dem Organ des oberösterreichischen Volksbildungsvereines, erschienen von ihm zahlreiche volkskundliche und kunstgeschichtliche Beiträge. Hier konnte er auch die Ergebnisse seiner Forschung über Anton von Spaun, den Begründer der oberösterreichischen Volks- und Heimatkunde, publizieren. Seine„Hoamatmess” wurde hier zum ersten Male gedruckt. Jungmair, dem stets Gütigen, der nie geheischt, nie gefordert, sondern immer nur gegeben hat, blieben Schicksalsschläge nicht erspart. Als Soldat des Ersten Weltkrieges schwer erkrankt, entging er nur wie durch ein Wunder dem Tode. In den Dreißigerjahren musste er auch das Gespenst der Arbeitslosigkeit kennen lernen. In dem Sog der politischen Ereignisse gab es Verdächtigungen gegen ihn mit Polizeihaft. 1938 erwies sich alles als haltlos. Aber er wanderte auch 1939 ins KZ. Nach einem Jahr Sachsenhausen hatte er 50 kg seines Körpergewichtes verloren. Aber nicht genug damit. Er musste noch zusätzlich zwei Jahre in Dachau verbringen. Nach einer bedingten Haftentlassung, der Liebe und Obhut seiner Gattin übergeben, war eine seelische und körperliche Genesung möglich. Aber noch einmal wurde er samt seiner Frau, die all seine Leiden geduldig mittrug, die sein Denken und sein Tun von Anbeginn verfolgt hatte und helfend bei seinen Arbeiten zur Seite gestanden war, schwer geprüft. Im Jahre 1943 nahm ihm der Tod innerhalb einer Woche die beiden Kinder. Es gehört zum Wesen unseres Jubilars als Mensch und Dichter, dass er in allem nur das Gute sieht. Selbst in seiner Verzweiflung um den Tod der Kinder begehrt er nicht auf gegen Gott und die Welt, sondern er legt seinen Schmerz in ein ergreifendes Gedicht:

Dös hätst net toan solln, Himmövadá –
Was brichst in Mai schan’s junge Lebm
und hast eahn wiar ä guatä Vadä
Doh so vül Gabm fürs Lebm mitgebm!

Mein oanzigá Bua, so zukunftfreudi,
Mein blüahfrisch’s Dirnderl, liab und fein,
Do warn für d’ Amt doh nuh net zeidi –
Sag, Vadá, hat das müaßn sein? –

Du hast wia mit an’ schwár’n Hammer,
Der Eisn z’mült, äfs Herz hergschlagn,
Daß ih net dengá kan voar Jammer
Und – wia betäubt – net fragn und klagn. –

Oft schau ih zruck mein Wanderstraßn:
Vü(l) Not und Load, weng Glück und Segn –
Doh han ih – gleih van’ Glück válassn –
Da olleweil nuh„Ja” sagn mögn.
Doh hiazt dástickt mih frei da Hadá –:
Schau her áf mih -: olls kalt und láá(r) –
Dös hátst net toan solln, Himmövadá,
Hiazt wird má’s„Ja” sagn bitterschwá(r)! –

Nach dem Zusammenbruch gab es für Jungmair keinen Gedanken an Hass und Vergeltung. Das Schicksal hatte schwer mit ihm gehaust, aber die Wunden der Zeit sind mit seinem Zutun und durch seine Güte vernarbt. Unverdrossen wandte er sich nunmehr der Arbeit zu, und jetzt kam seine große Zeit des Sammelns, des Ordnens und Zusammentragens, aber auch des Neu-Schöpferischen. Freilich, es war nicht ein Rausch der Freiheit, dem er sich hingeben konnte. Eine selbst den bescheidensten Bedürfnissen ungenügende Wohnung erwies sich als neuer Hemmschuh. In der kleinen Küche, die als einziger Raum seiner Wohnung bei der damaligen Kriegsnot geheizt werden konnte, arbeitete Jungmair an dem umfassenden Werk„Wörterbuch der oberösterreichischen Mundarten”. Durch seine intensiven privaten germanistischen und volkskundlichen Studien, an den Vorbildern Grimm, Weinhold, Rieht und Geramb gereift, war es ihm möglich gewesen, in der Zeit der Arbeitslosigkeit reiche Früchte einzubringen.

Wenn wir uns der Würdigung seines dichterischen Werkes zuwenden, so wollen wir mit der Mundartdichtung beginnen, in die sein Wort von Kindheit an organisch hineingewachsen ist. Es ist eine echte Dichtung. Seine Fügungen werden nicht, wie es vielfach geschieht, hochdeutsch gedacht und in die Mundart übersetzt, er denkt und fühlt vielmehr in der Mundart und findet daher das gemäße Wort. „D’ Hoamatmess”. Ein ungewöhnliches Unternehmen, ein Messeliedtext in Mundart! Am 18. Mai 1930 wurde sie unter der Stabführung Franz Neuhofers, der sie vertont hatte, bei der„Riedmark-Feier” auf Schloss Riedegg erstmalig aufgeführt. Sie erlebte weitere glanzvolle Aufführungen, darunter auch im Beethoven-Saal der Wiener Hofburg im Beisein des Bundespräsidenten und hoher geistlicher Würdenträger, bis sie Bischof Fließer von Linz im Jahre 1936 auch für ländliche liturgische Aufführungen freigab. 1953 erscheint eine Gedichtsammlung unter dem Titel „Stoan und Stern”. Die Berufensten bescheinigen hier wie dort echtes Dichtertum,„Volkstümliche Ausdrucks-, Denk- und Fühlweise, … Reichtum an Gemüt und Wärme des Empfindens und Reichtum an künstlerischen Formen” (Enzinger).*

Elf Legenden als Verserzählungen brachte Jungmair 1954 unter dem Titel„Legenden in oberösterreichischer Mundart” heraus. Hier erweist sich der Dichter als Pionier in der Behandlung religiöser Stoffe durch die Mundart, Es ist eine hohe Kunst, das Religiöse in der Sprache des Volkes sagbar zu machen, ohne dass eines das andere in seiner Eigenständigkeit verletzt.

Jungmairs Liebe zum Mittelhochdeutschen, schon in Steyr geweckt und gefördert, findet ihren künstlerischen Niederschlag in der Dramatisierung der ersten Dorfgeschichte der deutschen Literatur, des„Meier Helmbrecht” von Wernher dem Gärtner. Unser Dichter nennt dieses packende Volksstück, in den Versen des mittelhochdeutschen Originals abgefasst und in unsere Mundart übertragen,„Das Spiel vom Helmbrechtmoar”. Es erlebte über 60 begeistert aufgenommene Aufführungen.

50 volkstümliche Lieder und Sprüche Walthers von der Vogelweide, in die oberösterreichische Mundart gesetzt, fasst Jungmair in dem Bande„Unta da Lind’n” (1964) zusammen. Auch hier ist es ihm gelungen, Inhalt, Sprache und Metrik des Vogelweiders vollendet zu übertragen, was zahlreiche begeisterte Stimmen der fachlichen Germanistik hervorheben. „Stille Nacht”, ein Spiel von der Entstehung des Weihnachtsliedes, hat in seiner Einfachheit viele Zuhörer ergriffen, sei es bei festlichen Anlässen oder ausgestrahlt durch den Linzer Sender, wo es von Liedern der Wiener Sängerknaben umrahmt wurde. In Jungmairs hochdeutschen Versdichtungen finden wir so manche Perle. Hier seien vor allem genannt der Brucknerzyklus„Non confundar”, eine großartige sprachliche Nachempfindung der Bruckner´schen Klangwelt, dargebracht 1936 als Jahresgabe des Badischen Brucknerbundes in Karlsruhe.„Deutsche Klangwelt” nennt Jungmair seine Apotheose über die deutschen Meister der Tonkunst, und es gelingt ihm hier, Wesen und Werk von Bach, Mozart, Schubert, Beethoven und Bruckner in knappe dichterische Formen zu bannen und nachzuempfinden.

Unbestritten ist die Kunst der sprachlichen Erfassung, wie Ernst Burgstaller sagt,„jeder Einzelheit kreatürlicher Formen” in den schriftdeutschen Versen„Die Sprache des toten Antlitzes” (vor den Totenmasken Adalbert Stifters und Anton Bruckners).

„Das Traumlied Olaf Aastesons”, ein Skaldenlied aus dem 13. Jahrhundert, dem Altnorwegischen nachgedichtet, ist bereits in seiner Bedeutung erkannt worden. Felix Braun hat es in seine berühmte Sammlung„Die Lyra des Orpheus” aufgenommen. Der Rundfunk hat es wiederholt ausgestrahlt. Abschließend möchte ich noch über den Forscher und Wissenschafter Jungmair sprechen. Wir weisen aus der Fülle der Veröffentlichungen vor allem auf die Anton-von-Spaun- Forschung und auf die landeskundlichen Schriften hin. Jungmair hat sich ferner mit Arbeiten über bildende Künstler, Dichter und Schriftsteller, über Volksbildner und Heimatforscher, über heimatliche Komponisten und Mundartdichter Verdienste erworben, die nicht hoch genug hervorgehoben werden können. Es ist uns in diesem Rahmen nur möglich, einzelne Abschnitte und Namen herauszugreifen. Bildende Künstler: Adler, Dachauer, Diller, Hayd, Reisenbichler, Weidinger, Schwind, Furthner. Dichter und Schriftsteller: Billinger, Fischer-Colbrie, Kemstock, Keim, Rosegger, Lienhard, Hieß, Wilk, Watzinger, Ginzkey, Spann-Reinsch. Mundartdichter: Schosser, Misson, Bacher, Goldbacher, Mayer-Freinberg, Stelzhamer, Hanrieder. Stifterforscher: Hüller, Hein und Wilhelm. Weit über die Grenzen unseres Landes aber reicht seine umfassende Arbeit auf dem Gebiete der Stifter-Forschung. Was Professor Jungmair in der Stifter-Forschung geleistet hat, wäre, allein genommen, schon ein beachtliches Lebenswerk. Seine Mitarbeit an der historisch-kritischen Prager Gesamtausgabe der Werke Stifters ist in dem Dankeswort des Herausgebers, Gustav Wilhelm, für immer festgehalten und gewürdigt. Jungmair brachte hierzu die Auswertung der oberösterreichischen Archive für die letzten Bände von Stifters Briefwechsel, kulturpolitischen Schriften im XIV. und die pädagogischen Schriften im XVI. Band, ferner Berichtigungen und Ergänzungen zu den Briefbänden I–V im Bd. XXII. Jungmair entdeckte die Fälschungen in Stifters Malererbe; er meisterte die schwierige Aufgabe der ersten zeitlichen Reihung der Gemälde Stifters, außerdem leitete er die Aufstellung der Stifter-Gemäldesammlung in der„Albertina“ Wien. Es war von den ersten Stifter-Arbeiten an Jungmairs Bestreben, aus den Linzer Archiven die vielfach noch unerforschten biographischen Quellen zu erschließen, um verlässliche Grundlagen zu schaffen, über die auch phantasiereiche, abwegige Deutungen nicht hinwegkommen können. Ein unvergängliches Verdienst erwarb sich Jungmair durch die Bearbeitung der ersten, 1903 erschienenen Stifter-Biographie von Alois Raimund Mein, die von ihm in der 1952 herausgebrachten zweibändigen Neuauflage ergänzt und aus der Wirrnis der Fehlmeinungen auf den neuesten Stand der Forschung gebracht wurde. Neben anderen Geistesgrößen haben keine Geringeren als Hermann Hesse, Thomas Mann und Albert Schweitzer ihrer Begeisterung über diese Tat in Dankesbriefen Ausdruck verliehen. Mit seinen Arbeiten, von denen hier nur„Adalbert Stifters Wirksamkeit im Oö. Landesmuseum”, „Adalbert Stifters Wirksamkeit im Oö. Kunstverein”, ferner „Adalbert Stifter und die Gründung der Oö. Landesgalerie” genannt seien, hat Jungmair einen bislang wenig beachteten Teil von Stifters umfassender Arbeit in Oberösterreich in das Licht der Forschung gerückt. In dem groß angelegten Aufsatz„Adalbert Stifters Freundeskreis in Linz” lässt er das geistige Milieu des Dichters in dessen Wahlheimat wiedererstehen. Die Broschüre„Adalbert Stifters Linzer Wohnung” ist eine wichtige kultur- und literarhistorische Dokumentation, bis zu deren Erscheinen nicht bekannt war, welche Wohnung in dem Hause Untere Donaulände 1313 tatsächlich die Bleibe unseres Dichters war. Ein unentbehrlicher, verlässlicher Wegweiser für jeden, der sich mit der Wirksamkeit Stifters als Dichter, Pädagoge, Denkmalpfleger, Maler, Kunstkritiker, politischer Schriftsteller, und darüber hinaus mit der Kulturgeschichte von Linz in der Mitte des vorigen Jahrhunderts beschäftigt, ist auch das Buch„Adalbert Stifters Linzer Jahre”, das als Standardwerk der Stifterforschung bezeichnet werden kann. Ein großes Anliegen war und ist unserem Jubilar die denkmalpflegerische Tätigkeit Stifters, über die, wie bereits eingangs erwähnt, ein großes Werk in Vorbereitung ist.*

Dass heute Stifter auch als Pädagoge eine Würdigung findet, ist zunächst auf die Vorarbeiten Otto Jungmairs zurückzuführen. Seine Schrift„Adalbert Stifter und die Schulreform in Oberösterreich nach 1848” ist eine bahnbrechende Arbeit zur Erhellung der Bedeutung Stifters als Schulmann, darüber hinaus eine unentbehrliche Grundlage für die Geschichte der Pädagogik unseres Landes. Mit der Stifter-Forschung verbunden und über sie hinausreichend, laufen die Arbeiten über Anton von Spaun und daneben über das oberösterreichische Kunstleben im neunzehnten Jahrhundert in einer erstmaligen Überschau.

Jungmair hat zahlreichen Studenten, Verlagen und Forschern zu jeder Zeit geholfen, und er tut es bis heute. Seine auf oft mühevollem Quellenstudium fußenden Erkenntnisse stellt er jedem, besonders aber dem Stifter-Institut Linz, uneigennützig zur Verfügung. Die Forschung benutzt seine Arbeiten oft und gerne. Es macht ihm auch nichts aus, wenn sich da und dort einer mit Jungmairs Federn schmückt, ohne die Quellen anzugeben. Er ist immer da,wenn er gebraucht wird, immer der Sache, der Forschung zugetan und aus innerer Berufung verpflichtet.

Es ist eine reiche Ernte, die du, verehrter Herr Professor, eingebracht hast. Deine Gaben an die Umwelt sind groß; was du empfangen an irdischen Gütern, ist gering. Du hast sie auch nie gefordert. Ein schöpferischer Einfall, ein Gedicht, das dir gelungen, eine Quelle, die du als Forscher erschließen konntest, hat dir jeweils mehr Glückseligkeit eingebracht als irgendein irdisches Gut. Da sind wir nun alle angetreten, um dir heute unsere Herzensbotschaft zu sagen, aber nicht nur dir, sondern auch deiner Gattin, die dir überallhin eine treue Begleiterin war und ist.

Ich glaube, abschließend einen Gleichgestimmten reden lassen zu dürfen. Es ist der Arzt und Dichter Ernst Freiherr von Feuchtersleben:

Ein Album ist des Menschen reines Leben
Das aufbewahrt in Gottes Händen bleibt.
Ein leeres Blatt wird jeglichem gegeben,
Und jeder ist nur, was er darauf schreibt.

1973, ein Jahr vor dem Tode Jungmairs, erschien sein letztes Buch:
Otto Jungmair, Adalbert Stifter als Denkmatpfleger,
Schriftenreihe des Adalbert-Stifter-Institutes des
Landes Oberösterreich. Herausgeber Dr. phil. Alois Großschopf,
Folge 28, Linz 1973.

* 1969 erschien ein weiterer Gedichtband”Allerhand Kreuzköpf aus’n Landl“.

Quellen: wikipedia.orgfranzstelzhammer.atfranzstelzhammer.at/80. Geburtstag Juni

Steyrer Pioniere

Dieser Blog ist eine Sammlung von Materialien, Bildern, Berichten und Biografien von verstorbenen Persönlichkeiten aus und in Steyr. Initiiert durch ein Schulprojekt der HAK Steyr und der Redtenbacher Gesellschaft Steyr

 

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