Karoline Eberstaller kannte Franz Schubert und Anton Bruckner persönlich
- Quelle: „Von Franz Schubert bis Anton Bruckner“ verfasst von G. Goldbacher in „Oberdonau“ Zeitung Nr. 84 vom 25.3.1944
Im gemütlichen Extrastüberl des berühmten Gasthofes „Zum goldenen Löwen“, seit jeher „Bummerlhaus“ genannt, dem Treffpunkt aller „Honoratioren“ von Steyr, sitzt Meister Anton Bruckner mit seinem „Famulus“, dem sehr musikalischen Hofmayr, bei einem Viertel guten Weines und einer bescheidenen Jause. Es ist der September des Jahres 1892 und Bruckner, der ja so viele Sommer im Stadtpfarrhofe in Steyr verbrachte und hier an seinen Sinfonien arbeitete, wollte bald wieder nach Wien zurückkehren. Wie oft lauschten wir in diesen Zeiten seinem gewaltigen Orgelspiele in der Stadtpfarrkriche, deren Chrisman´sche Orgel er nächst der „Florianer“ hochschätzte.
Da erblickte Hofmayr ein altes kleines Weiblein mit gebeugtem Rücken, auf dem Kopf eine mächtige Haube, mühsam über den Stadtplatz trippeln und machte Bruckner auf die Geiseln aufmerksam. „Der da draußen hat der Schubert Franzl noch die Hand gedrückt“, meinte er zu Bruckner. Dieser sprang wie elektrisiert von seinem Sitze empor. „Wie? Und das sagst du mir erst heute? Wer ist sie? Wie heißt sie und wo wohnt sie? Den Schubert, den göttlichen, hat sie noch gekannt! Noch heute musst du mich hinführen!“
Und am gleichen Nachmittage finden wir die beiden in der Berggasse, wo die damals schon Achtzigjährige ein bescheidenes Heim hatte. Es war Karoline Eberstaller, im Volksmunde die „Krugluger Lini“ genannt. Bruckner, ein begeisterter Verehrer Schuberts, konnte sich gar nicht genug tun an Fragestellungen an die Greisin über Schuberts Aussehen, sein Wesen, sein Klavierspiel und seine Leutseligkeit. Bereitwillig und durchglüht vom Feuer der Erinnerung sprach die Greisin mit fast jugendlicher Lebhaftigkeit von seinem schönen Kopfhaar, von seinem Verkehr mit den Steyrer Bürgern und zeigte mit besonderem Stolze Bruckner die Lieder, die er ihr gewidmet hatte, und zwar „Die Erscheinung“ (schon 1814 komponiert) und „Sehnsucht“ (1813). Bruckner musste erkennen, dass Karoline Einblicke in Schuberts Seelenleben erhalten hatte. Der Meister war beglückt und wiederholte seine Besuche bei Karoline, so oft er in Steyr weilte.
Wer war nun Karoline Eberstaller? Es muss zugegeben werden, dass der größte Teil ihres neunzigjährigen Erdendaseins von Geheimnissen umwittert ist und nur die Zeit ihrer Jugend und ihre letzten Lebensjahre, wo sie in Steyr lebte, uns näher bekannt sind. Die mächtigen, künstlerisch wertvollen Patrizierhäuser des Stadtplatzes in Steyr waren einst durch die sehr wohlhabenden Eisenhändler, damals „Eisenverleger“ genannt, erbaut worden. Im Hause Nummer 12, welches die reichste Barockfassade ziert (Hochrelief, „Die fünf Sinne“), wurde Karoline am 2. März 1812 als Tochter des bürgerlichen Handelsmannes Franz und der Katharina Eberstaller geboren.
Durch die würdige Taufpatin Theresia Koller, Eisenhändlerin am Stadtplatz 16, kam sie schon als Kind mit Schubert in Berührung, der wiederholt (1819, 1823 und 1825) in Steyr weilte und im Kollerschen Hausse wohnte, musizierte (Gedenktafel) und auch seinen Freund, den Opernsänger Johann Michael Vogl (Gedenktafel an seinem Steyrer Geburtshause), den Wegbereiter und ersten Sänger der Schubertschen Lieder, in diese kunstbegeisterte Familie einführte. Schubert unternahm mit Vogl öfter Ausflüge in die Umgebung Steyrs, die er in einem Briefe an seinen Bruder „über alle Maßen schön“ bezeichnete. Es ist gewiß, daß er die mächtige, „tausendjährige Linde“, das herrliche Naturdenkmal in der „Steinwänd“, eine Stunde von Steyr entfernt, im Ramingtale, besucht und, der Überlieferung nach, in deren Schatten eine Komposition geschaffen hat, welche, ist allerdings unbekannt.
Die Eltern der Karoline Eberstaller starben frühzeitig, so daß sie in dem Medizindoktor Franz Xaver Krugluger einen Ziehvater erhielt, der in dem prächtigen Schellmannhause am Stadtplatz 34 wohnte. Auf diese Weise kam Karoline („Krugluger Lini“) neuerdings mit Schubert in Berührung, der in der Familie Schellmann häufig verkehrte und dort musizierte. Die junge, erblühende und musikbegeisterte Karoline wurde bald mit Schubert bekannt und war im in inniger Freundschaft zugetan. Überlebte sie den Liederkönig auch volle fünfundsiebzig Jahre, so hat sie ihn doch nie vergessen können. Oberhalb ihres Bettes hing zeitlebens Schuberts Bildnis und noch als Neunzigjährige sah sie mit Andacht und Rührung zu ihm empor. Als Karoline dann zehn Jahre vor ihrem Tode wieder einen Mächtigen im Reiche der Töne, Bruckner, kennen lernte, war sie vielleicht die einzige Sterbliche, welche zwei so weit auseinanderliegende Musikepochen in ihren hervorragendsten meistern persönlich kennen lernte.
Mit dem Jahre 1828 verlieren sich die Spuren der letzten Freundin Schuberts; sie scheint Steyr verlassen zu haben und nun beginnt über ihr weiteres Schicksal der Schleier des Geheimnisses sich nieder zu senken. Sicher ist nur, dass sie zeitlebens unvermählt blieb. Unbestätigten Erzählungen nach war Karoline von außerordentlicher Schönheit, lebte eine Zeitlang in München, wo in einer Gemäldegalerie ihr prächtiges Jugendbildnis, jedoch mit dem Namen einer Aristokratin, hängen soll. Sonderbar ist jedenfalls, dass sie in Steyr nicht im Familiengrabe der Ihrigen begraben wurde, weil sie angeblich von ihrer Familie enterbt und verstoßen wurde. Ihr Ziehvater, Dr. Krugluger, starb am 12. Juli 1855.
In den Achtzigerjahren taucht Karoline wieder in Steyr auf, mühselig und auf die Güte edler Patrizierfamilien angewiesen; besonders die Familie Almeroth nahm sich der Hilfsbedürftigen kräftigst an, jene Familie, wo auch Bruckner recht oft zu Gaste war und seine Leibspeise, der „Lungenstrudel“ ihm aufgetischt wurde. Karoline wohnte zuerst in der Berggasse, dann in der Bindergasse 7 (im sogenannten Hundsgraben), wo die Neunzigjährige noch einem letzten Blick auf das Bild Schuberts am 25. März des Jahres 1902 ihr bewegtes Leben beendete. Bei dem verstorbenen Steyrer Maler Josef Diltsch, mit dessen Mutter Karoline gut befreundet war, saß sie diesem kurz vor ihrem Ableben zu einem Bilde und erzählte der Stadt Steyr befindet sich ebenfalls ihr wohlgetroffenes Bildnis von unbekannter Hand. Erwähnt mag noch werden, dass Viktor Trautzl Wahrheit und Dichtung über Karoline Eberstaller zu einem kurzen Roman verarbeitete.
Unter den Familien, welche die Karoline häufig unterstützten, befand sich auch die des Rechtsanwaltes Dr. Hermann Spängler der den Schreiber dieser Zeilen im Jahre 1927 beim Herannahen des Schubert-Gedenkjahre auf die verwahrloste Grabstätte der Freundin Schuberts aufmerksam machte und sich für eine Abhilfe einsetzte. Bald stand ich vor dem mit dichtem Gras überwucherten Grabhügel am stimmungsvollen alten Arkadenfriedhof von Steyr, wo der Weitblick die Alpenkette vom Traunstein bis zu den steirischen Bergen umfasst. Nur wenige Steyrer haben gewusst, wer unter diesem ungepflegten Hügel schläft, wie viel Freud und Leide diese Neunzigjährige trug.
Kräftig setzten in allen Sängerkreisen die Vorarbeiten für das Schubertjahr 1928 ein und so kam es Sonntag, den 29. April 1928, zur feierlichen Enthüllung des Grabkreuzes für Karoline Eberstaller, welches Schlossermeister Hans Schartinger in Steyr in kunstvoller Schmiedeeisenarbeit ausgeführt hatte, wozu der bekannte Künstler Professor Hans Gerstmayr eine prächtige Kupfertreibarbeit beigesteuert hatte. Sämtliche Gesangverein Steyr und eine Abordnung des Wiener Schubert- Bundes nahmen an der Feier teil, bei welcher Rechtsanwalt Dr. Spängler, damals Ehrenvorstand des Männergesangsvereines „Kränzchen“, über Karoline Eberstaller sprach. Hieran schloss sich ein Festzug durch die beflaggte Stadt und eine würdige Feier vor dem Wohnhause Schuberts am Stadtplatze. Das Grabdenkmal wurde in die Obhut der Stadtgemeinde übernommen. Möge die Erinnerung an die letzte Freundin des Liederfürsten nie verblassen!