Von Hans Stögmüller
Karl Jenschke war 1930-1935 Chefkonstrukteur der Steyr-Daimler-Puch AG in Steyr.[1]
Karl Jenschke wurde am 31. März 1899 in Wien geboren, wo sein Vater Franz ein Lebensmittelgeschäft in Meidling betrieb. Karl besuchte die Volksschule in Strebersdorf und in Linz, wo die Eltern dann ein Delikatessengeschäft an der Landstraße führten, die Hauptschule. Wegen geschäftlicher Schwierigkeiten übersiedelte die Familie Jenschke mit drei Töchtern und dem Sohn im Jahre 1911 nach Linz. Dort kaufte Karls Vater ein Delikatessengeschäft und wollte, dass sein Sohn sich für diese Laufbahn interessierte. Doch der junge Karl hatte nur Interesse an handwerklicher Tätigkeit, Basteln und Konstruieren von Flugzeugen. Einmal wagte er sogar einen Flug mit einem selbst gebauten Flugobjekt, stürzte ab und erlitt eine schwere Verletzung.
Karl absolvierte aber doch eine kaufmännische Lehre im elterlichen Geschäft von 1913 bis 1916 und wurde mit hohem Lob frei gesprochen. Sofort meldete er sich als Freiwilliger zur k. k. Fliegertruppe in Wiener Neustadt. Nach strengen Prüfungen erhielt er am 7. Dezember 1917 von der „Federation Aeronautique Internationale „den internationalen Pilotenschein Nr. 911. Daraufhin wurde er als „Aviatischer Pilot“ für Postflüge Wien-Krakau-Lemberg eingesetzt und als Einflieger in Wiener Neustadt bis Kriegsende.
Anschließend absolvierte er mit einigen Freunden ein Studium an der Technischen Hochschule in Mittweida (Sachsen), welches er mit einem Diplom als Maschineningenieur 1921 abschloss. Er bewarb sich 1922 bei den Steyr-Werken als Konstrukteur. Im gleichen Jahr heiratete er Maria Schrangl (* 26.3.1897) aus Steyr. Der Ehe entsprangen zwischen 1924 bis 1934 drei Kinder: Eva, Paul und Thomas.
Vom Jänner 1922 bis April 1930 arbeitete Karl Jenschke als Automobilkonstrukteur in Steyr. Als Ferdinand Porsche im April 1930 die Steyr-Werke verließ, wurde Karl Jenschke mit sofortiger Wirkung dessen Nachfolger als Chefkonstrukteur. Er war gerade 31 Jahre alt geworden.
Chefkonstrukteur in Steyr
Unter ihm wurden die Typen Steyr 30, der Lastwagen Steyr 40 (beide gemeinsam mit Porsche), und die Typen 45 (Taxiversion des Typs 30), 100, 430 und 530 entwickelt. 1932 entstand versuchsweise ein dreiachsiger geländegängiger Schnelllastwagen vor allem für die Feuerwehren und das Rettungswesen, entwickelt von Karl Jenschke.[2] Dieser Typ 240 wurde nur ein Jahr in sehr geringer Stückzahl produziert. Er wurde auch als „Typ 340-BH-Geländewagen“ hergestellt.
Der Steyr 30 E (Steyr 130) war gleichsam die Volksausgabe des Steyr 30. Er besaß motorisch und konstruktiv die gleichen Eigenschaften wie sein Vorbild, nur waren durch verschiedene Vereinfachungen im Karosserieaufbau sowie durch Weglassung der Stoßstange und der Zentralschmierung Verbilligungen in der Ausführung erreicht worden, die es ermöglichten, dieses Fahrzeug zu einem Preis von 8950 Schilling auf den Markt zu bringen.
Der Typ 30 S (Steyr 230) wurde ebenfalls aus dem Steyr 30 entwickelt. Sein wesentlicher Unterschied gegenüber diesem bestand aus einer um fünf PS erhöhten Leistung und in seinem vierstufigen Schnellganggetriebe, das dem Fahrzeug eine garantierte Geschwindigkeit von 110 km/h gab.[3]
Der Typ 30 SL (Steyr 330) war eine verlängerte Version als 6-7-sitzige Limousine mit drei Sitzreihen. Von diesem Fahrzeug wurden 1932 nur 27 und 1933 nur 28 Stück erzeugt.[4]
Im Februar 1933 wurde der Typ 430 als viertüriges Cabrio oder Limousine vorgestellt.[5] Es folgte der Typ 530.
1934 entstand der erfolgreiche „Steyr 100“. Der 1,4-Liter-Vierzylinder leistete 32 PS, gestattete eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und verbrauchte bei einem Durchschnittstempo von 70 km/h nur 11 Liter pro 100 Kilometer. Besondere Merkmale waren die fünffach gelagerte Kurbelwelle, die einzelne Aufhängung der Vorderräder und schwingende Halbachsen hinten.
Der bekannte Abenteurer Max Reisch, der kurz vorher durch seine Indien-Expedition auf einem Puch-Motorrad bekannt geworden war, fuhr 1934 und 1935 mit einem Steyr 100 über Hinterindien bis China und schrieb: „… diese Strapazen konnten nur dank der märchenhaften Zähigkeit unseres Steyr 100 bewältigt werden.“ Reisch verursachte bei Salzburg einen tragischen Unfall, doch das havarierte Auto wurde wieder aufgebaut.[6] Das Fahrzeug steht im Tiroler Landesmuseum in Innsbruck.[7]
Werksdirektor war damals Ing. Wilhelm Herbst, der während des Bürgerkrieges in seinem Steyr 30 am 12. Februar 1934 erschossen wurde.[8] Herbst wohnte in der Porsche-Villa.
1934 kam der aus dem Steyr 100 abgeleitete Kleinlastwagen Typ 110 auf den Markt, von dem nur 150 Einheiten gebaut wurden.[9] Das Nachfolgemodell, der Typ 210, wurde 1937 präsentiert. Er besaß einen stärken Motor, der bei einem Hubraum von 1598 ccm eine Leistung von 35 PS erbrachte. Von diesem Typ wurden bis 1938 nur 60 Einheiten produziert.[10]
Die hervorragendste und bekannteste seiner Konstruktionen war der Steyr 50, das so genannte „Steyr-Baby“, ein 22 PS-Vierzylinder. Von 1936 bis 1940 gebaut, hatte dieses Modell mit 13.000 Einheiten die höchste Produktionszahl aller in Steyr erzeugten Automobile. Trotz kurzem Radstand (2,25 Meter) bot er vier Personen Platz, dazu hatte er einen großen Kofferraum. Mit dem wassergekühlten Vierzylinder-Boxermotor (22 PS aus 980 ccm) erzielte man 90 km/h. Das serienmäßige Schiebedach war ein ungewöhnliches Detail. Ebenso ungewöhnlich war, dass neben der mechanischen Fußbremse auch die Handbremse auf alle vier Räder wirkte und die zahlreichen Schmiernippel mit einem Knopfdruck bedient wurden.
Anfang 1937 kam der Typ 200 heraus, ein vergrößerter und verstärkter Steyr 100. Der Motor bekam einen von 1385 auf 1498 ccm vergrößerten Hubraum. Im gleichen Jahr kam der Typ 220 heraus mit Sechszylindermotor mit 55 PS. Im Verkaufsprospekt wurde als Höchstgeschwindigkeit 120 km/h angegeben, aber der 220er war merklich schneller und vor allem am Berg ungemein rasant. Zahlreiche Sporterfolge mit diesem Modell verschafften Steyr einen legendären Ruf.[11]
Der große Erfolg des „Baby“ veranlasste damals die Steyr-Werke, einen stärkeren Typ herauszubringen: Der Steyr 55 wurde 1938 mit einem 1150-ccm-Motor mit 25 PS gebaut, der sich äußerlich nur durch Lochfelgen vom kleineren Bruder unterschied.
Jenschke war 1931 Mitbegründer des Vereines „Sportflieger Steyr“. Er erhielt die Mitgliedsnummer 2. Er begann auch sofort mit dem Entwurf eines Motorflugzeuges und eines passenden Motors. Dabei handelte es ich um einen Zweizylinder-Boxermotor mit 15 PS. Auch an weiteren Sportflugzeugen konstruierte er mit.[12] Jenschke schaffte es am 3. Juli 1932, einen Segelflug vom Damberg aus zu starten, der fünf Minuten dauerte und bis St. Ulrich führte.[13] Der Verein wurde 1936 aufgelöst, jedoch 1950 wieder gegründet.
Bei Adler in Frankfurt
Wegen seiner international anerkannten Leistungen bekam Karl Jenschke zwei Angebote aus Amerika, denen er aber nicht folgte, sondern eine Stelle als Chefkonstrukteur bei den Adler-Werken in Frankfurt am Main annahm. Auch sein erster Konstrukteur Karl Schindler folgte Jenschke. Jenschkes Familie übersiedelte im November 1935 dorthin.
Bei Adler konstruierte Jenschke den „Adler 2,5 Liter Typ 10“, der dann bald als „Autobahn-Adler“ bekannt wurde und schon 1937, aber besonders auf der Autoausstellung in Berlin im Februar 1938, größtes Interesse bei den offiziellen Stellen erregte. Der Adler Typ 10 zeigte in Bezug auf die Karosserielinie, das Schiebedach und die fortschrittliche Gesamtkonzeption die gleiche Handschrift wie der Steyr 50.[14]
Während des Krieges konstruierte er geländegängige Fahrzeuge (z. B. den Geländewagen V 40 T), Traktoren und Sonderkonstruktionen (z. B. den Riesenpanzer E 100), unter anderem auch für die Luftwaffe.[15]
Nach dem Krieg hielt er sich wieder für kurze Zeit als Ingenieur-Konsulent in Steyr auf, wo er 1949 für die Steyr-Werke eine Studie über ein Auto mit 1,8-Liter-Motor erarbeitete, das auf die Entwürfe des 1937 und 1938 entwickelten Typ 70 angelehnt war. Jenschke konstruierte auch den Typ 60. Als Antriebsaggregat diente der Vierzylinder-Reihenmotor mit 1984 ccm Hubraum, der wenig später beim Steyr-Fiat 2000 eingesetzt wurde. Der letzte von Jenschke entwickelte Personenwagen war die Kombiversion Steyr 160 Station Car, von dem 1952 ein Prototyp hergestellt wurde.[16]
Bei Auto-Union in Ingolstadt
1951 trat Jenschke als Chefkonstrukteur und Leiter des Konstruktionsbüros in die Auto-Union GmbH. in Ingolstadt (Bayern) ein, wo er von Frühling bis Winter 1953 das Geländeauto DKW Munga entwickelte. Bereits im September 1953 waren die ersten Prototypen fertig (davon 13 Fahrzeuge mit Kunststoffkarosserie), mit denen Vergleichsfahrten durchgeführt wurden.1956 wurden 5000 Stück an die Deutsche Bundeswehr verkauft. Mehr als 2100 Fahrzeuge kaufte die niederländische Armee.[17] Insgesamt wurden 46.750 Munga erzeugt.[18] Bei Auto-Union war Jenschke bis 1954 tätig.
Von 1957 bis 1964 war Jenschke als Leiter des technischen Büros bzw. ab 1958 als technischer Direktor der Firma Boge & Sohn GmbH in Eitorf/Sieg (Stoßdämpfer) tätig und erhielt die Prokura.
Ing. Karl Jenschke übersiedelte 1964 an den Tegernsee und starb am 6. August 1969 in Bad Wiessee am Tegernsee, wo er am Bergfriedhof seine Ruhestätte fand.
Zahlreiche nationale und internationale Publikationen zeugen von seinen Erfolgen, z. B. das AZ-Journal vom 26. Oktober 1973, eine Festausgabe zum Nationalfeiertag, auf dessen Vorderseite der Steyr 50, das legendäre „Steyr-Baby“, als österreichisches Nationalauto bezeichnet wird.
Maria Jenschke konnte erreichen, dass 1976 im Technischen Museum in Wien ein Foto von ihrem Mann, ein hochglanzpoliertes Steyr-Baby und diverse technische Beschreibungen ausgestellt wurden.[19] 1982 wurde in Steyr im Stadtteil Neuschönau eine Straße als „Ing. Karl-Jenschke-Straße“ benannt. Diese Straße führt am ehemaligen Jenschke-Wohnhaus (Neuschönauer Hauptstraße 28) vorbei und ist eine verdiente Ehrung für einen genialen österreichischen Autopionier.[20]
[1] Günther Nagenkögl/Hans Stögmüller, Hans und Erich Ledwinka. Die Autopioniere und Chefkonstrukteure in Steyr und Graz, ihr Leben, ihre Technik, Gutau 2015
[2] StKal 10. August 1932, 275, mit Bild, und StKal 12. September 1932, 276
[3][3] Seper/Krackowizer/Brusatti, Österreichische Kraftfahrzeuge von Anbeginn bis heute, Wels 1982
[4] www.zuckerfabrik24.de/steyrpuch/steyr30
[5] Manfred Brandl, Personenkraftwagen aus Steyr, Oberösterreich 4/1979, 42
[6] Austro Classic 6/1994, 5
[7] Automobil und Motorrad Chronik, Heft 4, 1977
[8] Tatort Steyr-Werke Autobautor, OÖN 12.2.2014
[9] Seper, 100 Jahre Steyr-Werke, 80
[10] Seper, 100 Jahre Steyr-Werke, 80
[11] Manfred Brandl, Personenkraftwagen aus Steyr, Oberösterreich 4/1979, 43
[12] http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Jenschke
[13] StKal 1933
[14] Brandl, Neue Geschichte von Steyr, 97
[15] Oldtimer-Markt 12/1996, 250
[16] Rauscher/Knogler, Das Steyr-Baby und seine Verwandten, 226
[17] http://de.wikipedia.org/wiki/DKW_Munga
[18] http://www.munga-ig.de/mungaig/frameset/frameset.htm
[19] Steyrer Zeitung 27. Dezember 1979
[20] verfasst von DI. Dr. Paul Jenschke, seinem Sohn, Carnuntumstraße 61, 2410 Hainburg