Von Friedrich Steinbock
Die Kunde von dem kleinen Ort Christkindl bei Steyr ist in den vergangenen Jahren in alle Welt, wo Menschen die deutsche Sprache sprechen, gedrungen. Auch künftighin soll alljährlich der „Christkindl“-Sonderstempel der Post nicht nur innerhalb des geschlossenen deutschen Sprachraumes Weihnachtsfreude verbreiten, sondern auch zu den Deutschen im Ausland jenen Hauch Weihnachtsstimmung bringen, der in dem vertrauten Wort „Christkindl“ liegt.
Die Kirche von Christkindl, die auch dem Ort seinen Namen gegeben hat, erhebt sich in stiller Erhabenheit über dem Steilufer des Steyr-Flusses, oberhalb der Ortschaft Unterhimmel am Stadtrand von Steyr. Die Kuppel der Kirche ist weithin sichtbar und gibt dem Höhenrücken seine charakteristische Silhouette. Wer sie besuchen will, muss den beschwerlichen Fußweg von Unterhimmel aufwärts auf sich nehmen, jenen Weg, den in vergangenen Jahrhunderten zahlreiche Gläubige als Pilger gegangen sind, oder kann von Steyr aus über den Höhenrücken zu dem idyllischen Ort hoch über dem Steyrtal gelangen.
Die Entstehung von Christkindl — der Kirche und des Ortes — liegt noch nicht allzu weit zurück, sodass wir darüber genaue Kenntnis haben. Diese Kenntnis ist vor allem einem Buch aus dem Jahre 1712 oder 1713 zu verdanken, in dem der erste Seelsorger von Christkindl, P. Ambros Freudenpichl, Profess von Garsten, nachmals auch Abt von Garsten, über den Bau der Kirche und auch über die Ursachen, die zu diesem Bau geführt hatten, berichtet. Der Inhalt dieser Schrift sowie auch dessen Behandlung als Merkmal für den Stil der damaligen Zeit berechtigen zu einer näheren Betrachtung. In liebevoller Ausführlichkeit, zugleich auch mit barockem Überschwang, erzählt Pater Ambros den Gläubigen, wie dieses dem Jesuskind geweihte Heiligtum zustande kam, welche Gnaden von dieser Stätte zu seiner Zeit schon ausgingen und welch wunderbare Begebenheiten sich zugetragen haben. Er erzählt dies mit der freudigen Einfalt des Gläubigen, freilich, nicht ohne im Nachwort in lateinischer Sprache darauf hinzuweisen, dass er der kirchlichen Entscheidung, es handle sich wirklich um Wunder, nicht vorgreifen wolle.
Das Buch im Halboktavformat mit seinen 238 Seiten ist zugleich ein wertvolles Dokument der Kunstfertigkeit der Steyrer Buchdrucker, die sich ab dem Jahre 1691 in ununterbrochener Reihenfolge nachweisen lassen. Der langatmige Titel dieses Buches, der nach früherer Gepflogenheit auch über den Inhalt des Druckwerkes Auskunft gibt, ist:
„Wunderwürckender Lebens-Baum / Das ist: Außerlesene Gnaden-Geschichten / so das Allergnadenreichste JESUS – Kindl in dem Baum / unter den so genannten Himmel / unweith der Lands- Fürstl. Stadt Steyr / durch seine unendliche Liebe und Barmhertzigkeit Von Anno 1698. biß 1712. denen Armseeligen Kranck- und Bresthafften Menschen erwiesen. Beschriben und zusamben getragen Durch P. Ambrosium Freydenpichl Ord. S. Benedicti, Monasterij Garstensis Professum, utriusque Juris Doctorem. Hochfürstl. Salzburgischen Rath / und dermahlen Administratorem bey dem JESUS-Kindl. Cum Facultate superiorum. Steyr / Gedruckt bey Joseph Gruenenwald1)“
Pater Ambros weist sich also als Administrator von Christkindl, als Profess des Klosters Garsten und als Doktor beider Rechte aus. In der Tat war Pater Ambros Freudenpichl ein sehr gebildeter Mann. Er erwarb überdies das Doktorat der Theologie und der Philosophie und gehörte zu jenem Kreis hochstudierter Kleriker, die Abt Anselm Angerer von Garsten, der Vollender des Klosters Garsten in seiner heutigen Gestalt, um sich gesammelt hatte. Pater Ambros Freudenpichl war weiters Erzbischöflicher Konsistorialrat und bekleidete das Amt eines Professors der Philosophie a. d. Universität zu Salzburg2).
Nach damaliger Gepflogenheit widmet der Autor sein Werk einer hochgestellten Persönlichkeit: „Der Allerdurchleuchtigsten Großmächtigsten Fürstin / und Frauen / Frauen ELEONORAE MAGDALENAE THERESIAE, Verwittibten Römischen Kayserin / in Germanien / zu Hungarn / Böheim / Dalmatien / Kroatien / und Sclavonien / Königin / Ertz-Herzogin zu Oesterreich / Gebohrnen Printzessin auß dem Churfürstlichen Stamm derer Pfaltz Graffen bey Rhein / etc. Unser Allergnädigsten Frauen / Frauen“, um sie nach dem Widmungstext, zu Beginn des Widmungsbriefes, abermals anzureden: „Allerdurchleuchtigst- Und Großmächtigst- Verwittibte Römische Kayserin / Auch zu Hungarn- und Böheim Königin / Ertz-Hertzogin zu Oesterreich / Allergnädigste Frau.“ Nach langen Lobpreisungen der Kaiserin und einem Vergleich ihrer Tugenden mit den Eigenschaften der Sonne kommt er zum Wesentlichen:
„Diser allergnädigsten Anblick hat die neue Kirchfahrt unter dem Gnaden-Titl deß liebreichen JEsu-Kindl an dem Baum / oder sittlich zu reden / unser Geistlicher Lebens-Baum / absonderlichen Genuß empfunden / und genießet deroselben noch allbereith in der That: indeme Euer Kayserliche Majestät denselben durch die allergnadenreichste Aufnemmung in Dero hohen Schutz belebet / und mit Dero geheiligten Person Kayserlichen Ansehen / als mit einem fruchtbaren Einfluß den Wachsthumb gegeben. Wann nun unser grosse obligende Schuldigkeit erhellet / von welcher ein danckbares Gemüth nachdrücklich angetriben wird gegen Euer Kayserlichen Majestät Hoch huldenreiche Mildseeligkeit ein unterthänigstes Vertrauen zu schöpffen / als erkühnet sich angezogner Gnaden-Orth desto getroster diese wenige und unwürdige Blätlein / als ein Abriß des geistlichen Lebens-Baum / und dessen Gnaden-Früchten zu Dero Füssen zu legen / dieselbe unter Dero Kayserlichen Namen und Schutz Demüthigst zu untergeben; und schätzet sich dißfahls glückseelig: weilen Dero allermildiste Verwilligung / sie zue zuschreiben / schon versicheret / ihnen ein alleirgnädigstes Aug zu ertheilen“.
Nach einer neuerlichen Tirade auf die lobenswerten Eigenschaften der Kaiserin fährt der Autor fort: „Mit diser Zuversicht unterstehet sich eine Kirchfahrt bey dem Gnadenreichen JEsu-Kindl in den Baum in tieffester Unterthänigkeit Euer Kayserlichen Maiestät dises kleine Blätewerck zu überreichen / Demüthig bittend / nicht die Schwachheit der Feder / welche die jenige außbündig sinnreiche schreibens – Arth bey weiten nicht erreichet / als Euer Kayserlichen Maiestät hocherleuchter Verstand erfordert / sondern vilmehr anzusehen / daß auch angetragen worden / dem gmeinen Volck von dem Gnaden-Orth eine wissenschafft zu machen. Wünschet anbey / und ersuchet zu dem End mit täglichem Gebett Und H. Meß-Opffer daß Göttliche allerfreygibiste Kindl / das die Tugend Euer Kayserlichen Maiestät / mit welchen Sie bißhero die Welt als ein hellglantzende Sonne beschienen / noch unzahlbare Jahr triumphiere / biß sie endlich, durch die Völle aller Kayserlichen Tugenden das höchste Himmels-Zeichen heftigen / in den Krebs nicht mehr Krebsgängig3) durch die Himmlische Verdiensten / von disem Irrdischen Horizont in dem Empyrischen erhoben werde / allda in alle Ewigkeit mit allen lieben Heiligen wie eine Sonne zu scheinen in dem Angesicht Gottes. Matth. 17. c. Leben auch der getrosten Hoffnung Euer Kayserliche Maiestät werden eine ihnen unterthänigste Kirch-Fahrt bey dem Christ-Kindl mit den Gnaden-Straalen Dero hohen Schutz und Ansehen / mit welchen Sie dieselbe bey der Blühe erhalten / fernerhin begnädigen / damit sie die Ehr / und Liebe deß JEsus-Kindl zubefördern / forthin erwachsen / und zunemmen möchte“. Und nun die Unterzeichnung der Widmungsepistel: „Euer Kayserl. Majestät Allerunterthänigste Kirchfahrt zu dem JEsu-Kindl in dem Baum / unter dem so genannten Himmel“.
Bemerkenswert ist, dass sich Pater Ambros in seinem Widmungsbrief an die Kaiserin darauf berufen kann, dass Ihre Majestät die Wallfahrt nach Christkindl unter ihren hohen und vermögenden Schutz gestellt hat. War es allgemein üblich, eine Veröffentlichung einer hochgestellten Persönlichkeit zu widmen und sich damit deren Schutz für das Druckwerk gegen etwaige Feinde oder Neider zu erwerben, so hatte Pater Ambros die besondere Gunst, sich mit dem Geschenk der Kaiserin nähern zu dürfen, freilich nicht, ohne sich deren Geneigtheit versichert zu haben, wie der Autor selber schreibt. In der Tat hatte Kaiserin Eleonora eine besondere Beziehung zu der eben aufgeblühten Wallfahrt im Christkindl, wie Pater Ambros im Verlaufe seiner Erzählung berichtet oder zumindest deutlich erkennen lässt4).
Nachdem Pater Ambros schon im Widmungsbrief an die Kaiserin bemerkt hatte, dass er das Büchlein so abgefasst habe, dass es auch „dem gmeinen Volck“ fassbar wäre, wendet er sich in einer Vorrede an den „andächtig geneigten Leser“, um den Zweck der Edition zu erläutern. Er wolle mit diesem „Tractatl“ in die Herzen der Leser einen „ewig grünenden Baum pflanzen, dem keine Kälten / kein Herbst-Reiff die grüne Blätter verbrennet / kein Wind die Laub abschnittlet.“ Die Hauptursache dieser „Inscription“ aber wäre keine andere, „als dieweilen ich durch den Befelch meiner vorgesetzten Obrigkeit die Feder ergriffen zu einen Tractatl / welches die eigentliche Beschaffenheit / und die Gnaden-Geschichten deß Wunderthätigen JEsus – Kindl / unter dem also genannten Himmel / solle in sich halten“.
Nach dieser Vorrede beginnt Pater Ambras schließlich unter der Kapitelüberschrift „Historische Geschichts-Beschreibung deß wunderthätigen Baum deß Lebens“ von dem Ursprung der Wallfahrt zu berichten, wieder nach einem Exkurs, diesmal über die „Singularitet“, also die „Absonderlichkeiten“, des Geistes und des Herzens. „Auß diser letztern Singularitet und Absonderlichkeit wolle seinen ersten Wachsthumb nemmen unser geistlicher Lebens-Baum / das Gnadenreiche JEsus-Kindl in dem Baum: indeme Ferdinandus Sertl der Zeit Thurnermeister5) zu Steyer bereiths vor 30. Jahren / als er in gleicher Bedienung noch zu Mölck gestanden / eine sondere Andacht / umb ihme von der vil Jahr anhaltenden hinfallenden Kranckheik abzuhelffen / zu der Freundschafft Christi geschöpffet / und selbige zu gewissen Zeiten wenigst alle Sambstag durch sich oder seine Haus- Würthin Elisabetham in einen abgelegenen Orth / welches allein seiner sondern Andacht dienen / und andern unwissend seyn sollte / zu verrichten / sich vorgenommen. Gestalten er auch zu gedachtem Mölck etliche Jahr hindurch gethan / itimb als er vor 21. Jahren nacher Steyer sich begeben / hat er gleichfalls zu solcher intention und Meinung ein kleines Wäldl und Baum / undweith der Lands-Fürstl. Stadt Steyer / in deß Closter Garstnerischen Grund und Pfarr-Obrigkeits District, unter dem so genannten Himmel / erküset. und zwar eben jennen Orth / welchen sich der Abdecker6) vor seine Werckslatt gebraucht / villeicht auß Göttlicher unergründlicher Vorsichtigkeit / damit das JEsus-Kindl durch dise Wohnung / gleich wie durch den Stall in seiner Geburt / einige Verachtung der Welt / und ihres eytlen prachts an Tag gebe / S. Bern. ferm. 3. de Nativ. / oder aber dieweilen zu seiner Zeit allhier auch denen jenigen ihre viechische Haut solte abgezogen werden / welche durch die Sünd gleich seynd worden denen unvernünfftigen Thiern.“
Weiter heißt es: „Allda hat er Anfangs an dem Baum ein gemahlenes Bild der Heil. Freundschafft Christi7), welches anheunt unter dem Gnaden-Alltar zu sehen / angehefftet / und beständig eyfferigst verehret / und als er von dem Steyerischen Wohl-Ehrwürdigen Closter Frauen Orb. B. V. Annuntiatae8) ein waxenes JEsus-Kindl überkommen / hat er in mitten deß Baumbs ein Loch ausgehöhlet / und dasselbige mit angezognen Bild der Freundschafft Christi zu verehren hineingesetzt; worüber ihme sein schwärer Zustand vor ein- und allemal verlassen. Ob er Sertl schon der Meinung wäre / dise Andacht in höchster Geheimb zu üben / so machete doch Gott / das auch andere von Steyer / und anderer Orthen dardurch innerlich entzündet / und in gleiche Andachts-Uebung angeflammet wurden / und dis es zwar auch bald Anfangs / als noch das Bild der Freundschafft Christi allein gewesen / nach Außstellung des Waxenen Kinds aber hat gleich ein mehrerer Zugang sich von selbsten gezeiget / welcher täglich zugenommen / wie in nachfolgenden vollkommener zuersehen seyn wird.“
Dies ist die Geschichte von Ferdinand Sertl, Turnermeister in Steyr, der sich erst ein Bild der Dreifaltigkeit und hierauf eine Wachsfigur des Jesuskindes, das ihm Schwestern vom Cölestinerinnenorden in Steyr geschenkt hatten, um vor ihnen in einer abgeschiedenen Gegend, an der Arbeitsstätte des Abdeckers, seine private Andacht zu verrichten. Den Bericht von dem allmählichen Bekanntwerden des Gnadenortes bereichert Pater Ambros mit folgender sonderbaren Geschichte; deren Wortlaut – nach einer Betrachtung der Barmherzigkeit Gottes und der Menschwerdung, wodurch auch der ärgste Sünder vor der ewigen Verdammnis bewahrt werde – ist:
„Und gebrauche vor eine Prob einig und allein die wunderbahre und Gnaden-volle Entdeckung / oder (also zu reden) offentliche Aufkündigung unsers Baum deß Lebens / welche laut dem von Herrn Raphael von Haagen edlen zu Freyen-Thurn / beeden Rechten Doctor, Kayserl. Com. Palatin9) und deß Closters Garsten dazumahlen Hoffrichter Gottseeliger Gedächtnus Anno 1699 in dem 21. May aufgerichten Eydlich ausgesagten Geschichts-Instruments, solcher gestalten geschehen.
Es ligeten im angezognen10) 1699. Jahr Soldaten unterm Hoch-Gräfl. Ernst Rudinger Starnbergischen Regiment zu Fuß / und Leib-Compagnie zu Steyer in Quartier; unter andern schreibete sich einer Bernhard Mönich / seines Alters in dem 49. Jahr / Lutherischer Religion disem kommete öffters in dem Traum vor ein kleines Christ-Kindl / und ob es ihm schon von dem dicken Schlaff seiner von der lieblich singenden Sirenen der Lutherischen Gewissens-Freyheit eingeschläferten Seelen nicht gleich aufferwecket / so müste doch der Leib durch eine merckliche Alteration seine Ruhe unterbrechen. Einsmahls wäre ihme bey diser Erscheinung / als ob er nach erhaltenen Abschid wäre loß worden / und sich an jenes Orth / allwo das JEsus-Kindl verehrt wird / begeben hätte / daselbst ein Einsiedler worden / allda wohnen / auch zu seiner Unterhaltung bey Steyer herumb das heilige Almosen samblen solle; worüber er sich bey seinem Hauß-Herrn Johann Gotthart Seidel Burgern zu Steyer / allwo er im Quartier gelegen / angefraget / ob nicht ein Christkindl unweit der Stadt seye; und weilen diser mit ja geantwortet / auch die Gegend angezeiget / versaumbete gedachter Soldat keine Zeit / sich gantz allein an jenes Orth zu begeben / findet auch gantz glückselig das Liebe Kindl GOttes / erkennete noch glückseeliger / daß diß in dem Baum eingehackte stehende Christ-Kindl das Creutz und die Dörnere Cron in den Händen haltend / eben dasjenige sey / so ihme in beim Schlaff vorkommen und was das allerglück-seeligste / erwachete er bey dessen ersten Anblick von seinem bißhero Ketzerischen Glaubens-Schlaff / und sahe die Blenderei seines Glaubens / und die Wahrheit deß Catholischen also Hand-greiflich / daß er seinen Irrthumb zu verlassen ohne Verzug sich dem Gnaden-Kindl eyfrigst verpflichtet; zumahlen er auch im Fest der Bekehrung deß heiligen Pauli sein Leben bekehret / und nach schuldiger Vorbereitung die Glaubens Bekanntnus in den Händen deß Ehrwürdigen P. Ambrosis Ord. fr. minorum S. Francisci bey dem Hoch-Altar ihrer Closter-Kirchen höchst-aufferbäulichst abgelegt.“
Pater Ambros, der Autor des Buches, bringt diese Begebenheit in Zusammenhang mit den kirchlichen Schritten, die zur Anerkennung des Jesusbildes als Gnadenbild unternommen wurden. „Wordurch der Gnaden-Orth nicht wenig bekannt worden / und die Andacht darzu sovil zugenommen / daß Ihro Hochwürden und Gnaden Herr Herr Anselmus, Ord. S. Benedicti, glorwürdigst regierender Abbt zu Gärsten11) / etc. etc. als Hoche Pfarr und Grund-Obrigkeit / sich im Gewissen schuldig zu seyn befunden / Ihro Hochfürstl. Eminenz Herrn Herrn Cardinaln von Lamberg Johann Philipp Bischoffen zu Passau / und Kayserl. Plenipotentiario zu Regenspurg etc. etc.12) als Ordinario, gemeß dem Conc. Trid. Sess. 25. de invo. et venerat. et reliq. Sanct.13) Unterthänigst zu hinterbringen / welcher darauff den 30. September allergnädigst zwey Herren Commissarios verordnet / als Herrn Maximilian. Sand. Steyrer p. t. Directorem Consistorij, und Herrn Joann. Bernardinum Gentilotti von Engels-Brunn Dechanten von Lintz / welche die Beschaffenheit dises Orths untersucheten. Entzwischen wurde der Gnaden-Baum mit einer höltzenen Hütten umbgeben / zu Aufhangung der verehrten Tafeln / wie auch ein Kästel gemacht / zu Verwahrung deß Opffer-Geldes und des Waxs.“
Und da Pater Ambros die Kunde von beim neuen Gnadenort vermutlich auch in entferntere Gegenden tragen oder der Kaiserin eine genaue Beschreibung der örtlichen Lage abgeben wollte, berichtet er in einem weiteren Kapitel „Von der Situation deß Gnaden-Orths / und Figur deß Lebens- Baum“ überschrieben, im Einzelnen über das Wachsbild und dessen Standort. „Den Situm betreffend hat solcher gegen Sonnen Aufgang in Prospekt die Landsfürstliche (und wegen deß Eisen-Zeugs / den man allda in grosser Menge machet) berühmte Stadt Steyer / so eine halbe Stunde möchte von dannen entlegen seyn; gegen Mittag dreyviertl Stund weith / liget das Closter Gärsten Ord. S. Benedicti, an dem Schiffreichen Fluß Ennß / und am dem Bach Gärsten / von welchem das Stüfft seinen Namen; Es kommet aber nicht in das Angesicht / dieweilen sein Situation etwas tieffer / und auch etliche Bühel sich unterlegen; gegen Mitternacht fliesset gleich im Thal vorbey der Fluß Steyer / der mit seinen Armben nicht allein allerhand Hammer-Wercken eine einträgliche Hülff leistet / als wunderschöne Auen gestaltet / welche fähig alles fünff Sinne zu erfreuen mit einer unschuldigen Freud / dann14) wie Seneca in Hyppolito bezeuget / so ist kein freyeres Leben / noch unschuldigere Freud / als die man ausser denen Städten auf denen Feldern / und unter den Bäumen suchet; gegen Abend allbereith anderthalb Stund lassen sich sehen die Dörffer Sirling und Sirlinghofen15). Das Kirchl selbsten / wann man es von dem Fluß Steyer erblicket / liget auf einer hohen Felsen allerseiths frey / welches nicht wenig seine Annemblichkeit vermehret. Neben disen auf einer abgesönderten Felsen lasset sich sehen eine wohlerbaute Einsidlerey / welche zu bauen das allda häuffig hervorwachsende Blüml Lilium Convallium16) den Gedancken gemachet; und nicht ohne / dann unter schneeweissen Lilien gezimmet sich / daß ein Jungfräuliches reines Gemüth ihre Wohnung aufschlage.“
„Das allerliebste JEsus-Kindl / so disen Orth durch seine vilfältige Wunderthaten / als seinen Sitz / und folgendlich / als seinen Himmel scheinet außerwöhlt zu haben / ist von meisten Wax mit so holdseelig-annemblich und liebreichen Angesicht gestaltet / daß die Anschauung den Geist muß verzukken… Die Höhe deß Gnaden – Bildl erstrecket sich auf drey und ein halben Zoll / welche Höhe auch hat das gnadenreiche JEsus-Kindl der Wohl-Ehrwürdigen Closter Jungfrauen Ord. B. V. Annuntiationis zu Steyer / von welchem es feinen Ursprung. Dises unser holdseliges Kleinod stehet noch heuntigen Tags in dem Feichten-Baum / in welchem es anfänglich gewesen / umbgeben mit einem Silbern wohl elaborirten und mit denen Geheimnussen der Kindheit Christi in geschmeltzter Arbeit kostbahr gezierten Laub-Werck / und angenemb sich ausbreiten eine Kupferne fein vergolde Straalen..“
Wie rasch die Kunde von dem „Christkindl im Baume“ selbst in entfernte Länder gedrungen war, lässt sich aus folgenden Sätzen erkennen, in denen der Autor den eigentlichen Bericht wiederum in typisch barocke Weitschweifigkeit und Bildersucht einkleidet: „Die Prediger vergleichen die grosse Eyfferer der Ehr GOttes einen aufgezognen / und lauffenden Bratter17): dann gleichwie diser nimmermehr stillstehet / sondern immerzu lauffet / murret und schnurret / biß das Gewicht aufstehet / ober abgehoben wird / also bemühen auch sie sich allerzeit nimmermehr stillzustehen / sondern ohne unterlaß in dem guten fortzulauffen / zu reden / zu anten alles / was sie vermeinen nicht recht/ oder wider Gott zu seyn. Solche geistliche Bratter waren fürwahr gleich in der ersten Blühe unsers hervor wachsenden Lebens-Baum vil Andächtige Seelen / auch auß unterschidlichen Ländern / als Unter-Oesterreich / Steyrmarck / Bayrn / Saltzburg / Italien / Mähren / Crain und deren mehr / insonderheit aber die Innwohner Höh- und Nidern Stands der Löbl. Stadt Steyer / dero Gewicht der preyßwürdigen Andacht zu, dem liebreichsten Gnaden – Kindl in so hochen Grad gestigen / daß in dem Jahr kein Monat / in dem Monat kein Wochen / in der Wochen kein Tag / in dem Tag mehrmalen kein Stund / so wohl bei widerigen / als annemblihen Aspect deß Himmels zu zählen wäre / in welchen dise Eyfferer nicht lauffeten unter dem heylsamen Schatten unsers geistlichen Lebens-Baum / dem anmüthigsten JEsus-Kindl ihre Anligenheiten durch silberne und gemahlne Opffer-Taflen vorzustellen / und durch ein H. Opffer seine allmögende Göttliche Hülff zu gewinnen; dahero in wenig Jahren gegen 400. silberne und etlich 1000. gemahlne Opffer-Tafeln sich einfindeten / auch unterschidlicher mahlen in einer Wochen / wohl auch ein und andern Tags auf 20. biß 30. fl. das Opffer hinaufgeloffen: dise respective grosse und jedermann bekannte Ertragnus entzündete in denen Gottseeligen Gemüthern ein feuriges Verlangen / von dem verehrten Geld dem Göttlichen Kind ein gebührende Wohnung ober Kirchen aufzuführen“.
Darüber nun begannen, wie es weiter heißt, die „geistlichen Bratter“ an, darüber „also lauth zu murren und zu schnurren“, dass der Schall hiervon zu den entsprechenden Ohren dringen musste, aber gerade als die „Rädl dero Eyffer“ im Lauf begriffen waren, steckten die Wirren der Zeit „in die Unruhe ein Feuerlein hinein“, sodass der „Lauff des Bratters“ gehemmt wurde: Der Trubel des Spanischen Erbfolgekrieges griff auch auf das Land ob der Enns über. „Dann wir schreibeten eben die Jahr 1701. 1702. 1703. in welchen Maximilian Emanuel der gewesene Churfürst in Bayrn sich mit denen 15000 unter dem Marschall Villars stehenden / und mit grosser Mühe durch den Schwartz-Wald / und Kintzinger-Thal durchgetrungenen Frantzösischen Truppen / und nachgehends mit dem Marschall Tallard conjungiret / und sich nicht allein viler confiderablen Städt / als da seyn Ulm / Augspurg / Kempten / Passau / Neuburg / Regenspurg / sondern auch der Graffschafft Tyrol sich bemächtiget / und in Ober-Oesterreich ein gleiches intendirte.“ Infolge dieser Wirren war nicht daran zu denken, einen Kirchenbau aufzuführen. Die Wallfahrer mussten in dieser Zeit mit einer „schlechten Hütten“ zufrieden sein.
Steyr und die Umgebung der Stadt wurden im Jahre 1703 in Alarmzustand versetzt, da man befürchtete, dass die mit den Franzosen verbündeten Bayern das ganze Land überschwemmen würden, nachdem General Schlick die Stadt Ried mit 16.000 Mann erobert hatte. Abt Anselm von Garsten selbst, der damals Landschaftsverordneter war, wurde von den Ständen in Linz aufgefordert, für den Ausbau der Befestigungen an der Enns Sorge zu tragen. Der Abt schickte seinen Hofrichter Adalbert Eitelberger mit den zwei angekommenen Linzer Kommissären am 12. Juni zur Inspektion des Ennsufers mit. Die Befestigungen der Stadt Steyr sollten erneuert, rings herum Schanzen aufgeworfen werden, doch erübrigte sich die Vollendung der Verteidigungsanlagen, da sich die Bayern nach der Einnahme Eferdings wieder zurückzogen18).
Mit flammendem Patriotismus fährt Pater Ambros in seinem Buche fort: „Als die Frantzosen und Bayrn unter dem angenemmen Schatten deß Glücks nicht anderst / als wie der Prophet Jonas unter dem Schatten des Kirbis voller Freud und Trost19) ihre durch unmöglich scheinende Conjunction, und schwere March und Contramarch abgemattete Glider zwey Jahr eine Ruhe verleyheten / da wurde diser grüne Kirbis / verstehe das Glück / auf einmahl außgedorret / und gäbe die süßschlaffende Jonas-Brüder gleichsamb denen hitzigen Sonnenstraalen preyß: massen die tapffere Tyrolerische Schützen und Bauren mit ihren Kugel-Röhrn und steinenen Granat-Kuglen denen Frantzösischen und Bayrischen Trouppen dergestalten zuheitzeten / das sie vil tausend dem Tod müsten zu preyß lassen… Dises Kriegs-Feur breittete sich auch auß auf die Vestung Rain / Aicha / München und Augspurg / und verzehrte die Frantzosen zu Hochstätten dergestalten / daß sie gezwungen worden in wenig Tagen eine Gegend zu verlassen / welche sie inner zwey Jahren mit Verlurst mit mehr als 50000. trotziger Kopff zu behaupten gesucht.“
Der Sieg von Hochstellst (1704) hatte die akute Kriegsgefahr gebannt. Da nunmehr das Land ob der Enns von feindlichen Einfällen sicher schien, richtete Abt Anselm von Garsten an Kardinal Johann Philipp von Lamberg, Bischof zu Passau, abermals das Ersuchen, an der Stätte des Gnadenbaumes eine Kirche errichten zu dürfen. Dieses Gesuch war, wie Pater Ambros berichtet, am 5. März 1703 vergebens eingereicht worden, da die Kommissionsberichte ungleich eingelangt waren. Zugleich mit dem neuerlichen Ansuchen stellte Abt Anselm dem Kardinal vor, dass die Anordnungen des Passauer Ordinariates vom 10. Mai 1703 schwer zu befolgen wären. Diese Anordnungen hatten eine Transferierung des Bildnisses in eine andere Kirche betroffen. Der Abt gab zu bedenken: „Theils dieweil Gott dises Orth villeicht sonderbahr zu seiner grossem Ehr erwählet haben möchte / welches umbdesto mehrer zu glauben / als glaubwürdig unterbracht worden / daß allda eine zimbliche Zeit die Puffersknecht20) denen der Orth für ein Werckstatt dienete / nicht mehr gelitten worden“, teils auch, dass eine Übertragung des Bildes infolge der zunehmenden Verehrung des Ortes Unwillen auslösen würde, und übrigens, dass der Platz für die Erbauung einer Kapelle sehr geeignet wäre.
Der Bischof sandte hierauf eine neuerliche Kommission. „Hierüber haben Ihro Hochfürstl. Eminenz dem Herrn Pfarrer zu Haag Herrn Veit Daniel Götzen allergnädigst die Commission aufgetragen / den Statum rei Praesentem, und die jetzige Bewandtniß deß Orths / wie auch Andacht / Wohlfahrt / Opffer / und dermalsten sich begebender denckwürdigen Leibs-Genesung oder Gesundheits-Erwerbungen in Augenschein / und Erfahrung zu bringen / welcher dem Befelch auch eyfrigst nachgekommen / die Sachen bestens untersuchet / alles in der Wahrheit befunden / was man Supplicando21) eingegeben / und solcher Gestalten Ihro Hochfürstl. Eminenz hinwiderumbem referirt, dann den 16. April Anno 1708. der genädigste Konsens erfolget / mit dem Kirchen-Bau in Forma et Figura caepta22) nach Belieben fortzufahren; und wurde auch Gnädigst verwilliget, die Kirchen als Capellam regulärem et Monasterio incorporatem23) zu halten.“
Die Zurückhaltung des Ordinariates in der Anerkennung des Gnadenortes, bis am 16. April 1708 schließlich doch der Konsens zum Kirchenbau erfolgte, wie eben berichtet, erläutert der Verfasser folgendermaßen: „Verwundere dich nicht / andächtiger Leser / über die behutsambe Untersuchung dises Gnaden-Orths: dann dise ist der Probierstein / die wahre Andacht von der falschen / und die wahre Beschaulichkeit von der betrüglichen / und von der Verblendung zu unterscheiden. Ist auch gantz billich und recht / daß man dergleichen wohl überlege / auf daß deren Grund nicht auf einen Sand / sondern vesten Felsen gesetzet werde.“
Vom Bau der Kirche selbst berichtet Pater Ambros mit folgenden Worten: „Nach erhaltenen gnädigsten Ordinariats-Confens, die Kirchen bey dem Christ-Kindl aufzubauen / legeten Ihro Hochwürden und Gnaden Herr Herr Anselmus Abbt zu Garsten ohne weiterm Verzug den 31. May deß 1708ten Jahrs den ersten Stein / dessen höchst-preyßwürdigste Gedächtnus folgende rechter Hand unter der Cantzl in ein Stein eingeschribene Wort bey der Nachwelt billich solten / und werden verewigen: Princeps Lapis hic positus Ab Anselmo Abbate Garstensi — Der erste Grund-Stein Ist allhier geleget worden von Anselmo Abbten zu Garsten.“
Der Kirchenbau wurde mit großem Eifer betrieben und ging sehr rasch vonstatten. Abt Anselm selbst kam mehrmals in der Woche von Gasten zum Bauplatz herauf, um nach der Arbeit zu sehen. Die Baukosten konnten mit den vorhandenen Opfergeldern abgedeckt werden. Im Jahre 1709 war der Kirchenbau bereits so weit gediehen, dass die erste Messe gelesen werden konnte, nachdem die drei Kapellen bis auf die mittlere Kuppel vollendet waren. Pater Ambros beschreibt das Kirchlein, dessen Bau ihm ans Herz gewachsen war:
„Dises kleine Werck inventirte anfänglich als Bau-Meister Herr Johann Carlon ein Italiener24) welchem aber der Tod seine Invention außzuführen hinterstellet / solches sodann auß Andacht Herr Jacob Prandtauer ein gebohrner Tyroler / mit Hinzusetzung der beeden Thürn / über sich genommen. Das Kirchl ist etwas klein: indeme es in dem Liecht nur 5. Claffter und drey Schuch hat / doch aber Hertzig auf eine ungemeine Manier aufgeführet / bestehet gleichsiamb auß vier Capellen einer respective hohen Kopel / und zwey wohl Ordinirten Thürnen. In der vordern oder ersten Capellen kommet in die Augen unser geistlicher Lebens-Baum / doch ohne nothwendiger Altars-Kleidung. In der andern Capellen als zur Evangeli Seiten fomiret der Altar daß Leben unsers JEsus-Kindl / das ist die Bildnuß der Geburt Christi / welche Herr Johann Carl Reselfeld26) inventiret, mit seinem Kunstreichen Pembsel mit jederman höchsten Vergnügung Lebend entworffen / und dem Gnaden-Kirchl verehret. In der dritten Capellen zur Epistel-Seiten gibet dem Altar eine kunstreiche Bildnuß vom Hn. Carl Loth27) nemblichen der Tod deß JEsus-Kindl / das H. Crucifix. Die vierdte Capellen dienet vor den Chor, die übrige Mauren drangen dato mit denen Geschencken und Gelübds-Taffeln deren andächtigen Wohlfahrtern / als mit glorreichen Sigzeichen der Göttlichen Güte und mit denen Stützen und Krücken / welche die arme mühseelige Krüppel durch die allertheuerste Hülff deß JEsus-Kindl allda gelassen.“
Am 18. August 1709 richtete Abt Anselm von Garsten eine neue „Supplication“ an den Bischof von Passau, „von Ordinariats wegen die Concession zu ertheilen / damit in disem Kirchl super Ara portatili28) das heilige Meß-Opffer celebrirt, und hierzu gegen dem Fest deß Heil. Ertz-Engels Michaels der Anfang gemacht werden möchte“. Der Abt begründete das Ansuchen damit, daß die Kirche so weit vollendet war, dass „ohne aller beförchtender Ungebühr die heilige Messe kunte gelesen werden“ und weil auch das Volk, das bei Unwetter die entlegenen Pfarrkirchen nicht aufsuchen konnte, nach einer Messe „inbrünstig seuftzete“. Die Lizenz des Bischofs kam schon im folgenden Monat, im September 1709, sodass die Feier für das Fest des Erzengels Michael, am 29. September, vorbereitet werden konnte.
Zur Festfeier der ersten Messe in der Wallfahrtskirche Christkindl hatten sich zahlreiche geistliche Würdenträger der Umgebung und eine große Menschenmenge eingefunden. „Morgens Frühe umb halber siben Uhr erhebeten sich von Gärsten Ihro Gnaden Herr Herr Anselmus Abbt allda / und begleiteten zu dero Christ-Kindl-Capellen die zu disem Fest sonderbar eingeladene und gegenwärtige Herrn Herrn Prälaten / Ihro Hochwürden und Gnaden Herrn Herrn Alexandrum glorwürdigst regirenden Abbten in dem Hoch-Löbl. Stüfft und Closter Ord. S. Benedicti zu Crembsmünster / etc. etc. Ihro Hochwürden und Gnaden Herrn Herrn Franciscum glorwürdigst regirenden Probsten in dem Hoch-Löbl. Stüfft / Ord. Can. Reg. zu St. Florian etc. etc. Ihro Hochwürden und Gnaden Herrn Herrn Rupertum glorwürdigst regirenden Abbten in dem Hochlöblichen Stüfft und Closter Gleinck: da nun der Garstnerische helleuchtende Tugend-Stern Anselmus bey dem Gnaden-Kindlein sich nidergelassen / verfügeten sich die Gnädige Herrn Herrn Praelaten in das Kirchl / und opfferten / nach dem Exempel der drey Königen dem Gnadenreichen JEsus-Kindl unter dem Trompeten- und Baucken-Schall / nicht Gold / Weyhrauch / und Myrrhen / sondern was durch dise Geheimbnusvolle Gaaben uns vorgebildet wird / dem König aller Königen Christum JEsum / dem wahren Sohn Gottes selbsten / ein unblutiges Opffer.“ Die geistlichen Würdenträger zelebrierten die Messe „in der von Ihro Maj. der Verwittibten Röm. Kayserin Eleonorae Magdalenae Theresiae öffters allergnädigst begehrten intention, nemblichen das Gnaden-reiche Jesus-Kindl wolle dem sambentlichen Ertz-Herzoglichen Hauß Oesterreich Gottseeligen Stammen seine Göttliche Gnad / und Segen ertheilen“.
„Als dise Meßen vollendet / hat der Prediger die Cantzl bestigen / welche unter dem freyen Himmel zugerichtet worden: dieweilen auch die gröste Kirchen zu klein gewesen wäre / eine so ungemeine Menge Volcks / als mit jedermans Verwunderung gegenwertig wäre / zu fassen.“
Dieser Prediger war niemand anderer als Pater Ambros Freudenpichl, der Verfasser dieses Buches von dem „Wunderwürckenden Lebens-Baum“. Er begann feine Predigt mit den Bibelworten „Und wahrhafftig Gott ist in disem Orth“ (Genes. 28. c.). Pater Ambros hat diese Predigt in einer Sonderpublikation erscheinen lassen, die ebenfalls noch erhalten ist. Der Titel dieses 8 Seiten starken Druckwerkes ist:
„Himmel Untern Himmel / Daß ist: Die Gnadenreiche Capellen deß Wunderthätigen JEsus-Kindlein In dem Baum Unter den so genandten Himmel / in dem Closter Gärstnerischen / deß Heil. Orden deß grossen Patriarchen und Ertz-Vatters Benedicti- und Pfarr-Obrigkeits District gelegen / unweit der Landts-Fürstlichen Stadt Steyr. Mit gegenwärtiger Lob-Red in obgemelter Capellen den 29. Septembris in dem Fest deß H. Ertz-Engel Michael, Anno 1709. da die erste Meß gehalten worden / von der Cantzel vorgestellt / und zu Beförderung der Andacht dises Gnaden-Orth auff Befelch der superiorum in den Druck gegeben. Durch P. Ambrosium Freyden-Pichl, deß Heil. Ordens Benedicti, Professum zu Gärsten / der beeden Rechten Doctorem. Steyr / gedruckt bey Johann Peter Roßmann29).“
Der Prediger weist in dieser Predigt sein Bibelwissen und seine Belesenheit aus, denn er zitiert nicht nur Stellen des Alten und des Neuen Testamentes, sondern auch antike Schriftsteller wie Seneca, Lukan und andere. Mit besonderer Anerkennung würdigt er den Eifer des Abtes Anselm, der nichts unversucht gelassen hat, um den Kirchenbau zu bewerkstelligen und ihn zu beschleunigen, darüber hinaus, dass er das neue Gotteshaus mit einem Ornat und „underschiedlichen Kirchen-Gezeug beschencket“ habe. Der Bau der Kirche wäre deshalb möglich gewesen, weil „in den Opffer zu Zeiten in zway und drey Tagen aufs die zwaintzig Gulden in Pfennig / Zwaier- und Kreutzer eingegangen“.
Pater Ambros kommt in seiner Predigt auch auf die Kaiserin zu reden, die den Gnadenort Christkindl in Huld und Schutz genommen hat: „Venite kommet ihr Adeliche / und Standts-Persohnen / der Himmel stehet euch offen / bettet allda an das Christ-Kindel / und ihr werdet erquickt werden. Es flieget euch schon mit einen guten Exempel vor der Römische Adler Ihro Majestät die verwittibte Römische Kayserin / Eleonora Magdalena Theresia auß dem Churfürstlichen Hauß Neuburg / indeme Sie dises Gnaden-Orth in ihre Hochmögende Protection auffgenommen / und eyferigist verlanget die erste Heilige Meß auffzuopffern zu erhalten eine glückseelige Succession Ihro Majestät unsern Unüberwindlichsten Kayser / und Lands-Fürsten Josepho dem Ersten / Ihro Majestät dem Catholischen König in Spanien Carola dem Dritten / Ihro Königlichen Majestät in Portugal Joanni dem Fünften …“
Nach der Predigt feierte der „Wol-Ehrwürdige / und Hochgelehrte Herr Michael Schrottmühler / Orb. Can. Reg. in dem Hochlöbl. Stüfft Forau in Steyrmarck Professus“ sein erstes Messopfer. Er sang „mit gröster Auferbäulichkeit deß Volcks“ das Amt, zugleich „mit ungemeinen Trost seiner gegenwärtigen Eltern Michael Schrottmühlners / und Barbara dessen Ehewürthin / und deß gantzen Innern Raths der Lands-Fürstl. Stadt Steyer“.
Während des Primizamtes lasen die übrigen anwesenden Geistlichen die Messe an den Seitenaltären. Nach dem Hochamt begaben sich die geistlichen Würdenträger wieder zurück in das Stift Garsten.
Von diesem Tage an wurden, wie Pater Ambros in seinem „Wunder-würchendem Lebens-Baum“ weiter berichtet, in der Kirche von Christkindl täglich Messen gelesen, vom 1. Oktober 1709 bis zum August 1712 insgesamt 3676. Während dieser Zeit haben 22499 Personen die Kommunion empfangen.
Damit schließt Pater Ambros den historischen Teil seines Buches. Im „anderten Teil“ nennt er die zwölf Gnadenfrüchte des „Wunderthätigen Lebens-Baum“, also diejenigen Leiden und Anliegen der Menschen, in denen das „Christkindl im Baume“ bereits geholfen habe, und zählt zu jeder „Gnadenfrucht“ auch mehrere Begebnisse auf, wie sie schriftlich niedergelegt oder wie sie ihm berichtet worden. Als die zwölf Gnadenfrüchte nennt Pater Ambros: Hilfe in der Gefahr der Augen, Hilfe für die „Krumpen und Lahmen“, in gefährlichem Bluten, für Aussätzige und Bruchleidende, Hilfe „in den Unbäßlichkeiten deß Haupts“, bei Schwerhörigkeit, Hilfe für jene, „welchen unversehens in dem Schlung / Ohren / oder Nasen etwas stecken verbliben“, Hilfe in den „Weiblichen Zuständen“, „in den hinfallen / und in der Fraiß“, in verschiedenen gefährlichen Krankheiten, in Gefahr zu Wasser und zu Land und Hilfe für die Armen Seelen im Fegefeuer.
Pater Ambros Freudenpichl, dem wir das Wissen um die Anfänge der Wallfahrt zum Christkindl bei Steyr verdanken und dessen Büchlein auch eine Fundgrube für die sprachliche Betrachtung und für die Mentalität seiner Zeit ist, konnte das Aufblühen der Christkindler Wallfahrt noch zwei Jahrzehnte miterleben, sowohl als Administrator der Kirche und als Subprior der Konventualen, die sich im Gnadenort angesammelt hatten, als auch als Abt von Garsten. Er war ein würdiger Nachfolger Abt Anselm Angerers, der das Kloster zu seiner größten Blüte gebracht und auch den Bau der Kirche in Christkindl mit Feuereifer durchgesetzt hatte.
Anmerkungen
- Das Exemplar, das der Veröffentlichung zugrunde liegt, befindet sich im Besitze von Prof. Hanns Pichler, Kustos des Heimatmuseums Steyr. Ein Exemplar des Druckwerkes befindet sich auch im Heimatmuseum in Steyr, doch fehlen darinnen die Seiten 3 bis 14.
- Anselm Angerer wurde 1647 in Steyr als Sohn eines Messerers geboren; er besuchte die Lateinschule in Garsten, wurde 1672 zum Priester geweiht und am 7. November 1683 zum Abt gewählt, Er ließ den Neubau der Klosterkirche vollenden Abtei und Bibliothek erbauen und zahlreiche Pfarrkirchen des Ordens neu ausstatten. Abt Anselm starb am 29. April 1715 – Ambrosius Freudenpichl wurde 1679 zu Oberndorf in der Steiermark geboren und war adeliger Herkunft. Er wurde am 10. August 1715 als Abt von Garsten insuliert, starb aber schon am 22. Dezember 1729 im Alter von 50 Jahren, (vgl. Franz Xaver Pritz: Geschichte der ehemaligen Benediktiner-Klöster Garsten und Gleink im Lande ob der Enns und der dazugehörigen Pfarren, Linz, 1841; S, 77 ff, Seite 83.)
- Hier ist der bekannte Ausdruck „krebsgängig“ seiner Herkunft nach verständlich gebraucht: Im Tierkreiszeichen des Krebses (22. Juni bis 23. Juli) erreicht die Sonne ihren höchsten Stand und sinkt dann in ihrer Bahn wieder tiefer.
- Kaiserin Eleonora Magdalena, geb. 1655, war die Tochter des Kurfürsten Philipp Wilhelm von der Pfalz und seit 1676 mit Kaiser Leopold I. verheiratet. Kaiser Leopold I. starb am 5. Mai 1705. Die Regierung übernahm beider Sohn Josef I. Kaiserinwitwe Eleonora Magdalena starb im Jahre 1720.
- Türmer, zur damaligen Zeit Chorregent.
- Der Abdecker war der Schinder, dem die Verwertung der Tierkadaver übertrugen war.
- Die Heilige Dreifaltigkeit.
- Schwestern vom Orden bei Verkündigung Mariä, wegen ihrer blauen Ordenstracht auch Cölestinerinnen (it. celestine — himmelblau) oder italienische Annunziatinnen genannt. Das Steyrer Cölestinerinnenkloster befand sich in der Berggasse. Kloster und Kirche wurden 1681 vollendet, 1782 aber an den Orden der Ursulinen übergeben. Im Zuge der Reformen Josefs II. wurde 1784 das Kloster aufgehoben, die Kirche gesperrt und 1786 von der Stadt übernommen. Die Kirche wurde 1792 in das jetzige Theater umgewandelt, (vgl. Franz Xaver Pritz: Beschreibung der Geschichte der Stadt Steyer u. ihrer nächsten Umgebungen, Linz, 1827. S. 24. S. 301 ff.)
- Comes palatinus: Pfalzgraf, seit der Zeit Karls IV. jedoch nur mehr ein vom Kaiser verliehener Titel zur Ausübung von Reservatrechten (Notarernennungen, Adelungen usw.)
- angezognen: erwähnten.
- Die Schreibweisen Garsten, Gärsten bzw. gärstnerisch wechseln in älteren Texten.
- Johann Philipp gehörte dem Geschlecht der Lamberge zu Steyr an und war der Bruder des Franz Joseph vom Lamberg, der Besitzer der Herrschaft Steyr und 1686 bis 1712 Landeshauptmann zu Linz war. Johann Philipp von Lamberg selbst war zuerst Soldat, dann Diplomat, Gesandter in Holland, der Pfalz, Sachsen und Bamberg, wurde jedoch 1689 Bischof von Passau. Als solcher konsekrierte er 1683 auch die neuerbaute Abteikirche in Garsten. Kardinal Lamberg war 1700 kaiserlicher Generalbevollmächtigter auf dem Reichstag zu Regensburg. (vgl. Pritz: Stadt Steyr. S. 55.)
- In der 25. Sitzung des Konzils von Trient im Jahve 1565 wunden die Dekrete über die Heiligen-, Reliquien- und Bilderverehrung aufgesetzt.
- dann – denn.
- Ältere Schreibweise beider Orte.
- Gemeint ist die weiße Lilie, heute Lilium candidum genannt.
- Das Aufziehwerk einer Gewichtsuhr.
- Pritz: Stadt Steyr, S. 219 ff.
- Das Beispiel ist einer Erzählung des Alten Testamentes entnommen.
- Die Schindersknechte.
- supplicando: bittfällig.
- forma et figura coepta: nach begonnenem Ausführungsplan.
- capellam negularem et Monasterio incorporatam: als eine öffentliche, der Ordenskirche unterstellte Kapelle.
- Carlantonio Carlone, geb. zu Scaria bei Conto, gest. 1708 in St. Nikola bei Passau, war einer der berühmtesten Barockbaumeister der u. a. Kirche, Abtei und Bibliothek in Garsten erbaute sowie in Kremsmünster, St. Florian, Marbach, Reichersberg und anderen Orten tätig war. (vgl. M. Riesenhuber, Die kirchl. Barockkunst in Oberösterreich, 1914.)
- Jakob Prandtauer, geb. 1660 in Stanz in Tirol, gest. 1726 in St. Pölten, war nach Carlone der berühmteste Barockbaumeister Österreichs; er wandelte den strengen römischen Barock Carlones ins volkstümliche ab und war vor allem auf das Monumentale bedacht, (vgl. Riesenhuber: Kirchl. Barockkunst in Oberösterreich.)
- Johann Carl v. Reselfeld, geb. 1688 im Schwaz in Tirol, gest. 1725 in Garsten, ist der bekannteste in Oberösterreich tätig gewesene Barockmaler; er stattete u. a. Kirche und Abtei in Garsten mit prachtvollen Deckengemälden aus. (vgl. Riesenhuber: Die kirchl. Barockkunst in Oberösterreich.)
- Johann Carl Loth, geb. 1622 in München, gest. 1698 in Venedig, dort Carlotto genannt war der Meister Reselfelds. Das Altargemälde in Christkindl ist aus einem früheren Anlass geschaffen und nach der Fertigstellung der Kirche dorthin transferiert worden.
- super ara portatili: ein Tragaltar, im Gegensatz zum festen Altar, dem altare fixum, das nur in bereits konsekrierten Kirchen besteht.
- Exemplar im Heimatmuseum Steyr.
- Eine zusammenfassende Geschichte über die Entstehung der Kirche und die Ausweitung der Christkindler Wallfahrt besteht noch nicht; sie müsste Inhalt einer intensiven und langfristigen Forschung sein.
Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 14, Dezember 1954