Eisenkunst im Steyrer Friedhof

Von Otfried Kastner

 

Neben der Grieskirchner Friedhofanlage reicht in Oberösterreich nur noch die in Steyr in das 16. Jahrhundert zurück. Das protestantische Bürgertum dieser stolzen Stadt an tragender Enns und treibender Steyr erwarb einen Grund außerhalb der Stadtmauern zwischen Schnallentor und Taborturm. Dort entstand ab 1572 im Sinne und in der Formsprache der Renaissance ein heimischer „Campo santo“ mit Torturm und Umfassungsmauer für die Grüfte der Geschlechter. Eine von Rundsäulen getragene Überdachung schuf einen ausgedehnten Umgang. In der Mitte des eingefriedeten Hofes lag und liegt heute noch — denn der Friedhof ist in seiner Grundplanung unverändert auf uns gekommen — eine kleine, einfache Friedhofskapelle. Sie bildet mit dem Torturm, dessen Inschrift uns das Jahr 1584 als das seiner Erbauung, nennt, und dem Osttor eine Symmetrieachse. Über dem Turmeingang prangt im Eigenbewusstsein der Stadt der silberne Panther im grünen Feld, das Wappentier der Ottokare, der Stadt und der nach ihr benannten Mark. Ihm zur Seite liegen nicht etwa ein Paar Delphine, sondern Drachen, die im Bezug auf alteigenen Mythos die Sonnenscheibe verschlucken und so zum Symbol des Todes werden. Dieses interessante Dokument für die Eigenwilligkeit unserer heimischen Renaissance steht in Steyr nicht allein und schon die romantische, ausklingende Spätgotik hat in ihrer renaissancehaften Grundströmung selbst in der Pfarrkirche eine „Yggdrasildarstellung“ im Beschlag des Südtores. (Wie unsere heimische deutsche Renaissance durchaus nicht auf antikes Geistesgut zurückgreift, sondern auf arteigene Tradition, zeigt in eindringlichster Weise das Schnallentor. Dieses hatte seinen bezeichnenden Namen von der Nachbildung einer völkerwanderungszeitlichen Fibel im Schlussstein des Bogens. Sie ging leider ohne Notwendigkeit anlässlich der letzten Restaurierung verloren. Doch war an dem Tor auch die Mautstelle der Stadt.)

Auch in den Eisengittern des Turmtores am Friedhof mag die „Sonne“ noch auf das Sinnbild weisen. Zeitlich folgt als wahrscheinlich österreichisches, sicher aber obderennsisches einmaliges Stück die reiche Ausstattung der Gruft der Familie Holderer. Hier, in der reichsten und kulturell führenden Stadt Oberösterreichs zu Beginn der Gegenreformation ist eine Datierung für das Ende des 16. Jahrhunderts durchaus berechtigt. Um 1590 erhebt sich mit dem Programm des katholischen Wiederaufstieges auch eine gewollte und manieristische Nachgotik, deren Formsprache in diesen Gruftgittern eindringlichst zum Ausdruck kommt. Es treten nun anstelle der gotischen Kreuzblumen Spindelblumen, während die — auch heute wieder so beliebten Zwirbelmuster — die in der Gotik beliebte Drehung (Torsion) aufgreifen. Ballustergestäbe, schon fast 150 Jahre früher von Donatello in Florenz verwendet, kommen nunmehr über Spanien in unseren Formenschatz. Diese stark an die Gotik erinnernden Spieße halten einen Rahmenbau zusammen, dessen Feldfüllungen von den verschiedensten Variationen um das Thema des Lebensbaumes bestritten find. Das Sprossen dieses Lebenssinnbildes aus dem Krüglein mit Lebenswasser bekommt nun im Sinne der christlichen Unterlegung der Rekatholisierung einen neuen Sinngehalt. Es ist die Hoffnung auf das‘ ewige Leben nach dem Tode. Künstlerisch sind die Kompositionen dieser Felder von einer Sicherheit und Ausgewogenheit, die einen Handwerksmeister von höchstem Range voraussetzt. Bei der Bedeutung und der geschlechterlangen Tradition, bei dem Reichtum an Eisenkundigen, die die Eisenstadt in hohem Grade besaß, gehen wir nicht fehl, hier einen heimischen Meister anzunehmen. Dies umso mehr, als durch diese Gitter die vorhin angezeigte Reihe heimischer Kunstäußerungen durchaus organisch weitergeführt wird. Das Fließende dieser Spiralen als Lebensbaum hat dann auch noch Jahrhunderte später in den Blechschnitten der Füllungen in Garsten, Christkindl (Beichtstuhlgitter) und der ehemaligen Steyrer Dominikanerkirche (Emporegitter) nachgewirkt und zeigt die Zähigkeit und einen Rest von Wissen um die Segens kraft dieses Zeichens, die unbewusst und allmählich versinkend, noch bis ins 19. Jahrhundert verfolgbar ist. So sehen wir in dem Schild zu den „drei Alliierten“ den Lebensbaum noch einmal, nun in klassizistischer Form verwendet. Die vorzügliche Ausstattung der Holdererschen Gruft hat noch durch eine Laterne aus dieser Zeit, in der gleichfalls das Ballustergestäbe verwendet wird, eine schöne Ergänzung gefunden. Den Namen des Meisters auch nur vermutend anzugeben, verhindert das Fehlen von Handwerkerakten, da das Meisterbuch — etwa der Hufschmiede — nur bis 1802 zurückreicht.

Auch eine ganze Reihe von Grabkreuzen, von denen einige ins Steyrer Heimathaus, andere ins Linzer Landesmuseum gekommen sind, bedienen sich dieser Formsprache und tragen sie in das 17. Jahrhundert weiter. Diese alten Kreuze, die sich aus gotischen Weihbrunnkesselträgern ableiten lassen, haben um diese Zeit als Kompositionsmitte das Namenskästchen unter einem Schutzdach. Es muss nun auffallen, dass die Schutzdächer hier, vergleicht man sie mit den Kreuzen des Innviertels, sehr stark über den Halbkreis hinausgebogen find. Es scheint sich in ihnen dasselbe Gesetz, das wir auch im Neigungswinkel der Dächer der Bauernhäuser feststellen können, anzuzeigen. So spiegelt sich auch in den Grabkreuzen die starke Unterschiedlichkeit diesseits und jenseits der Traun, oder des alpenländischen kubischen Denkens mit feinem Flachdach und des norischen mit feiner Liebe zur Steildachung. Neben den Steyrer Kreuzen sprechen die des Braunauer Heimathauses in Stücken mit nahezu waagrechten Dachblechen, die den Pfettendächern der dortigen Bauernhäuser entsprechen, unverkennbar ein anderes Formgesetz aus, als die Kreuze des Steyrer Bereiches, die durchaus den Dächern feiner Häuser (nicht nur der gotischen) in der Grundlinie ähneln.

Als die ältesten Kreuze dürfen wir jene ansprechen, die ihre Feldfüllungen in Spiralen bestreiten. Dabei kommen Verbindungen mit Ballusterstauchungen und Durchstoßungen mit der Dornarbeit am häufigsten vor. Erst im Laufe der Entwicklung gesellen sich zu ihnen Figuren, die aus Blech herausgehauen sind. Sie waren von Anfang an kräftig farbig gehöht. Wir wissen dies nicht nur aus noch vorhandenen Kreuzen, sondern auch aus alten Rechnungsbelegen, wo z. B. von grünem Anstrich und goldenen Blättern gesprochen wird. Wir dürfen uns die Kreuze ja nicht außerhalb des Lebensstromes unseres Volkes, sondern selbstverständlich mit ihm verbunden vorstellen! Sie waren — kaum anders als unsere farbensatten Hinterglasbilder — Zeichen unserer Lebensbejahung, die selbst den Tod mit einbezog. Der Weihbrunnkesselträger sowie Rautenfeld mit Zierrosetten an den Kreuzungsstellen), endlich auch Schabracken (Satteldecken mit Quasteln) auf.

Steyr und seine Umgebung nimmt diese Formen aber nur zögernd auf. Es entwickelt dafür lieber mächtige Blattkelche und Blüten, die in die Auszier der Kreuze die Fülle und Üppigkeit der Spätform des Laubstiles bringen. Doch ist noch immer das Kreuz die Grundform. Ein Riesenkreuz des Bandlwerkstiles findet sich als wortwörtliche Kopie eines Musterbuches — nun wieder vor völliger Verrostung gerettet — neu erstanden am Friedhof. Während die abstrakten Renaissance-formen fast bis ins 18. Jahrhundert reichen, werden die verschiedenen Stilströmungen des Barocks, dort, wo er der eigenen Art fremd bleibt, nur schwer und unfreudig mitgemacht. Auch ist die Barockzeit durchaus nicht einheitlich, sondern immer wieder von vereinfachenden Gegenströmungen durchsetzt. Man kann sagen, dass am Steyrer Friedhof ziemlich alle Stilströmungen gut vertreten sind. Das besagte Riesenkreuz hat seine Vorlage in dem „Neu inventiertes Schlosserreißbuch“ des 1732 zum civis academicus ernannten Frantz Leopold Schmidtner, Schlossergesell in Wien.

Schon beginnen sich die neuen Formen des Rokokos anzuzeigen, die im Steyrer Friedhof mit wahren Prachtstücken aufscheinen. Sie haben schon früh die Aufmerksamkeit der Kunstsachverständigen erweckt. Da ist neben andern ein gewaltiges, fast 3 Meter hohes Kreuz in einer dreieckigen Grundform komponiert mit den Schilfblättern und Rocaillen dieser Zeit. Hier gibt es keinen Christus mehr, auch keinen Triumphans, keine Engel und Heiligen. Schon meldet sich die Aufklärung an. Nun herrscht allein das dreieckige „Auge Gottes“ im Strahlenkranz. Das Auge der Erkenntnis, der göttlichen Weisheit steht nun als letztes und einziges Zeichen, das an das Christentum erinnert. Auch Gruftgitter und Laternen haben sich am Friedhof aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erhalten. Leider sind die dazugehörigen ausgezeichneten Stukkierungen schon recht verfallen. Bei der Seltenheit dieser Grabmalkunst wäre es eine Ehrenpflicht, hier in letzter Minute rettend einzugreifen. Auch ein Grabstein aus dieser Zeit, der einzige Oberösterreichs, ergänzt dieses Rokokobild.

Fast jäh geht diese großartige Entfaltung in die Kreuze des Klassizismus über, die man ohne Übertreibung oft kaum anders als ein „Montagegerüst“ bezeichnen kann. Nun ist der Corpus Christi wieder an seinen Ehrenplatz getreten, Kränze, Maschen, Wirbelrosen und Mäandermuster kommen dazu. Auch pyramidale Aufbauten mit Totenkopfkrönung sind oder waren zu sehen. Eine stärker werdende Ausblutung, nur für den Historiker, nicht für den Augenmenschen interessant, zeigt den Verfall der Schmiedekunst, die vor der neuen Mode der Gusskreuze die Waffen streckt. Aber auch von diesem furchtbaren Einbruch sind wir schon wieder so ferngerückt, dass biedermeierliche Szenen wie ein reliefiertes Kindlein im Hemdchen mit einem Kreuz, dass Urnen und Anker in Gussarbeit fast wieder interessant werden. Dass wir auf diese romantischen und neogotischen, in Schwarz und Silber gehaltenen Machwerke einer industrialisierten Massenerzeugung schon historisch zurückschauen können, ist nicht zuletzt ein Werk von Männern wie Prof. H. Gerstmayr u. a., die in einer gewiss nicht immer organischen Feldkomposition doch als Schrittmacher zur Gesundung unserer Eisenschmiedekunst, von der man kaum mehr sprechen hatte können, und darüber hinaus unserer Friedhofkultur gefeiert werden müssen. Aber auch die Meister der Stadt Steyr, selbst haben in Erkenntnis ihrer Tradition wieder altes Formgut neu belebt, sodass der Einbruch der Gusseisenperiode als überwunden bezeichnet werden kann. Steyr, das in seinem Friedhof mehr als ein Schock alter Schmiedeeisenkreuze besitzt, ist hier auch mit seinen vielen neuen Kreuzen wie dem Heldenmal im Heldenfriedhof schrittmachend vorausgegangen. Noch sind die Meister der frühen Jahrhunderte anonym und werden es allem Anschein bleiben müssen, aber das „Steyrer Grabkreuz“ und der Steyrer Friedhof sind auch so ein Begriff, ein Ruhmesblatt für das Steyrer Handwerk, aber auch für den Verschönerungsverein und alle, die sich um sein Bestehen verdient machen.

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 14, Dezember 1954

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