Von Hans Stögmüller
Dr. Iwan (Johann) Puluj, einer der bedeutendsten Mitarbeiter in der Elektroabteilung der ÖWG, half mit, das Antlitz unserer Welt zu prägen. Er schuf eine Sicherheitslampe, ein Fernthermometer, einen Telefon‑Signalapparat, den Quecksilber‑Drehstrum‑Gleichrichter und ein Gerät zur Bestimmung des mechanischen Wärme‑Äquivalents. Seine Arbeiten über die Reibung der Gase und Dämpfe, seine Erklärung der Vorgänge in der Vakuumlampe und seine Erkenntnis, dass die Uranstrahlung der Pechblende nichts mit absorbiertem Sonnenlicht zu tun hat, sondern eine Eigenstrahlung ist, beeinflussten die forschenden Geister. Er errechnete für die ersten Elektrizitätswerke ‑ etwa Gosau, Hohenfurt, Zwickau und Marienbad ‑ die Generatoren.[1]
Puluj wurde am 2. Februar 1845 als Sohn eines Bauern in Hrymaliw (polnisch: Grzyrmalòw) in Ostgalizien geboren, absolvierte das ukrainische Gymnasium in Tarnopol und wanderte im Sommer 1866 mit fünf Gulden in der Tasche in die Kaiserstadt Wien, um nach dem Willen der Eltern griechisch‑katholische Theologie zu studieren. In Wien hielt er sich zunächst an den elterlichen Wunsch und empfing die ersten Weihen und wandte sich aber bald der Mathematik und der Astronomie zu.
Ab 1869 studierte Puluj Mathematik und Physik an der Wiener Universität. Unter anderem war der berühmte Joseph Max Petzval sein Lehrer, der das erste lichtstarke Porträtobjektiv berechnet hatte. Im Herbst 1871 legte Johann Puluj die Lehramtsprüfung für Gymnasien aus Mathematik und Physik ab. Aber er ging nicht in den Lehrdienst, sondern widmete sich der Wissenschaft, experimentierte am Physikalischen Kabinett der Wiener Universität und veröffentlichte dann die Ergebnisse in der Sitzungsberichten der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Am 1. Oktober 1875 wurde er Assistent für Physik und Mechanik an der Marine‑Akademie in Fiume.
An der Universität Straßburg promovierte er im Mai 1876 mit einem Thema über die Reibung der Gase. In Wien wurde Puluj dann Privatdozent für Physik und hielt von 1877 bis 1883 Vorlesungen über kinetische Gastheorie. Inzwischen hatten seine Apparate, unter anderem seine Vakuumröhre für Kathodenstrahlen bei der Pariser Elektrischen Ausstellung 1881 internationales Aufsehen und Anerkennung gefunden. Nun verließ Dr. Puluj das Feld der Theorie. Er übernahm die Leitung eines Elektrotechnischen Büros in Wien, dann einer Budapester Firma, bis schließlich 1883 Steyr ihm, eine der bedeutendsten, wenn auch unbedankten Aufgaben seiner Laufbahn stellte.
Die ÖWG holte Puluj nach Steyr, den Werndl vermutlich bei der Elektrischen Ausstellung Ausstelltung in Wien kennengelernt hatte, wo die Budapester Firma ausstellte, bei der er die Erzeugung von Glühlampen und Geißlerröhren in Schwung gebracht hatte. Werndl holte auch Johann Siegmund Schuckert aus Nürnberg, den Prager Ingenieur Franz Krizik und dessen Finanzier und Mitinhaber des Bogenlampen-Patentes Ludwig Piette aus Pilsen in die Eisenstadt.
Puluj übernahm die Leitung der Glühlampenproduktion. Wie Krizik berichtete, lernte er von Puluj, der ein ausgezeichneter Experimentator war, das Blasen von Lampen. Das Team bewährte sich großartig. In wenigen Monaten schuf Werndl mit seinen Mitabeitern eine Ausstellung, die internationales Aufsehen erregte. Leider kam es zwischen Werndl und Puluj zu Meinungsverschiedenheiten, die dazu führten, dass die beiden hervorragenden Männer nicht mehr miteinander sprachen, sondern einander nur Briefe schrieben.
Schuckert löste seinen Vertrag, die Konsulenten zogen sich zurück. Für Puluj, der mit Werndl gebrochen hatte, endete nicht nur das Steyrer Intermezzo, sondern auch das Privatdozententum. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1884 trat er sein Lehramt als ordentlicher Professor für Physik an der Deutschen Technischen Hochschule zu Prag an. Ab 1889 las er auch Elektrotechnik und übernahm 1902 den Lehrstuhl für dieses Fach. 1888/89 war er Rektor, 1901/02 Dekan. In dieser Zeit fehlte es für ihn an Aufträgen ebenso wenig wie an Ehrungen und Enttäuschungen.
Den härtesten Schlag musste der Wissenschafter Puluj 1895 hinnehmen. In seinem Leibblatt las er von der bahnbrechenden Entdeckung, die Prof. Dr. Wilhelm Röntgen in Würzburg gemacht hatte. Pulujs Experimente mit Vakuumröhren reichten in seine Wiener Zeit zurück. Seine „Phosphoreszierende Lampe“, nach dem Prinzip von Crookes und Hittorf gebaut, hatte die Möglichkeit zu weitläufigen Studien über die Kathodenstrahlung gegeben. Die Ergebnisse gab Puluj bereits 1883 in seinem in Wien erschienenen Buch „Strahlende Elektroden‑Materie und der sogenannte vierte Aggregatzustand“ bekannt. Pulujsche Röhren waren damals allgemein bekannt und wurden, wie der amerikanische Professor Dr. E. B. Frost mehr als drei Jahrzehnte später bestätigte, sogar jenseits des Großen Teiches verwendet, und er, Frost, konnte mit einer Pulujschen Röhre starke Röntgenstrahlen produzieren.
Zu den Persönlichkeiten der wissenschaftlichen Welt, die Puluj besonders schätzte, zählte der Physiker Albert Einstein. Während dessen kurzer Lehrtätigkeit in Prag wohnte dieser in unmittelbarer Nähe von Puluj und kam oft zu Besuch. Puluj, Hofrat und Komtur des Franz‑Joseph‑Ordens, starb am 31. Jänner 1918. Er wurde in Prag begraben. Seine aus österreichischer Familie stammende Witwe starb im August 1945. Sie hatten eine Tochter, die mit einem Sohn des Gesundheitsministers Barwinskyj verheiratet war, und einen Sohn Hans, der als Diplomingenieur in Linz lebte.[2]
[1] Hans Stögmüller, Josef Werndl und die Waffenfabrik in Steyr, Steyr 2010, 317
[2] Wilhelm Formann, Theologe, Patriot, Physiker ‑ Das österr. Gelehrtenleben des Dr. Iwan Puluj, LVbl 31.1.1968; E. Kolben in Techn. Blätter 50/1918