Von Friedrich Berndt
Der Handwerkername „Ircher“ ist heute ganz unbekannt. Im Steuerbuch des Jahres 1567 finden wir nur Ircher angeführt, deren Werkstatt ein „Gäulwerk“ war. Im Steuerbuch des Jahres 1598 dagegen finden wir nur „Weißgerber“, die mit einer „Walk“ arbeiteten. Wann sich der erste Weißgerber in Steyr niedergelassen hat, wissen wir nicht. Die alten Lederer behaupteten 1576, dass seit Menschengedenken nur zwei Weißgerber im ganzen Land ob der Enns gewesen seien und in Steyr nur einer, welcher immer nur Weißirch und nicht Sämisch gearbeitet habe. Jetzt seien in allen Städten und Märkten gar viele, in Steyr fünf oder sechs, obwohl einer genüge.
Die Arbeit der Weißgerber
Die Weißgerber bearbeiteten die Felle von Kleintieren, wie von Hirschen, Rehen, Gämsen, Böcken, Geißen, Schafen, in geringen Ausmaß auch von Kalben, Kühen und Ochsen.
Nach der gewöhnlichen ersten Reinigung der Felle wurden die von Kälbern und Rehen durch den Kalkäscher zum Enthaaren vorbereitet; die Hammelfelle aber wurden, um die Wolle gut zu erhalten, geschwödet, d. i. nur auf der Fleischseite mit Kalk und Asche bestreut, zum Schwitzen aufeinandergelegt und aus dem Abstoßbaume geblößet, d. i. der Wolle beraubt. Nach dem Enthaaren wurden die Felle noch einige Male gestrichen und dann mit hölzernen Stoßkeulen in der Walk gewalkt. Dann kamen sie in die Kleienbeitze, welche aus Weizenkleie, Salz und Wasser bestand, um sie völlig vom Kalk zu reinigen. Nachdem sie vorher ausgewunden wurden, kamen sie in die Alaunbrühe, die aus Alaun und Kochsalz gemacht wurde. Nachdem sie getrocknet und wieder angefeuchtet worden waren, wurden sie mit einer eisernen Scheibe geschabt, um ihnen noch mehr Geschmeidigkeit zu geben.
Der Kampf ums Handwerk
Im Jahre 1577 befanden sich in Steyr mehr Weißgerber als an einem anderen Ort im Lande ob der Enns. Sie schlossen sich zu einer Zeche oder einem Handwerk zusammen und luden die auswärtigen Meister ein, sich ihrem Handwerk einverleiben zu lassen. Solche arbeiteten in Linz, Freistadt, Enns, Waidhofen an der Ybbs, Eferding, Peuerbach, Kremsmünster und Wels. Ein Handwerk mit zahlreichen Meistern konnte die Belange ihrer Arbeit viel kraftvoller vertreten. Um gute Manneszucht im Handwerk halten zu können, besorgten sich die Steyrer eine vom Rate der Stadt Breslau bestätigte Abschrift der Handwerksordnung der dortigen Weißgerber.
1587 waren in Steyr sechs Meister. Einverleibt waren aus Wels ein, Freistadt zwei, Haslach zwei, Gallneukirchen ein, Perg ein, Hofkirchen ein und Pabneukirchen ein Meister.
Doch schon im Jahre 1584 erhoben die Wiener Weißgerber Einspruch gegen dieses Handwerk und wollten das alleinige und Haupthandwerk in Österreich sein. Sie sperrten allen beim Steyrer Handwerk incorpierten Meistern die Gesindeförderung, das heißt, sie erklärten alle Gesellen für unehrlich, welche bei diesen Meistern arbeiteten und diese Gesellen konnten bei den Meistern des Wiener Handwerks keine Arbeit finden. Die Steyrer wehrten sich — auch mit Hilfe der Stadt und der Landesstände gegen dieses Ansinnen der Wiener, welches ihnen großen Schaden verursachte.
Das Steyrer Handwerk blieb und in Linz und Wels (1671) wurden neue Handwerke gebildet.
Das Linzer Handwerk erhielt mit großen Unkosten von Kaiser Karl VI. im Jahre 1727 eine Handwerksordnung oder Freiheit, welche im Jahre 1751 von Kaiserin Maria Theresia erneuert wurde. Nun erklärte sich Linz als Haupthandwerk oder Hauptlade und die Laden in Steyr und Wels als Nebenladen.
Steyr wehrte sich gegen die Beiseitestellung und gegen die Beitragsleistung für die Handwerksordnungen der Linzer. Jedoch nach einem Verhörsbescheid der K.K. Landeshauptmannschaft von Österreich ob der Enns aus dem Jahre 1761 wurde Linz zur Hauptlade und Steyr und Wels zu Nebenladen erklärt. Die Nebenladen mussten zum Hauptmittl Linz Beiträge abführen. Mit Hofdekret vom 26. 10. 1772 wurde eine für alle oberösterreichischen Werkstätten gültige Handwerksordnung veröffentlicht.
Der Jahrtag
Der Jahrtag wurde von dem Steyrer Handwerk am Gottesleichnamstag, Corporis Christi genannt, abgehalten.
Alle Meister, Gesellen und Lehrlinge mussten sich in der Frühe versammeln, der hl. Messe beiwohnen und am Umzug geschlossen teilnehmen. Die dem Handwerk einverleibten Meister vom Lande mussten seit 1675 nur alle zwei Jahre erscheinen.
Nach dem Umgang versammelten sich die Meister auf der Herberge, wo in Gegenwart eines Handwerkskommissärs (einem vom Bürgermeister bestimmten Mitglied des Rates) die Handwerksbelange besprochen und durchgeführt wurden. Vor der geöffneten Handwerkslade wurde die Jahresabrechnung des Zechmeisters verlesen und geprüft. Dann musste jeder Weißgerber seinen Jahresschilling in die Lade legen. Die Handwerkssachen wurden beraten und Streitigkeiten durch den Handwerkskommissär geschlichtet. Dann erfolgte die Aufnahme neuer Meister und das Aufdingen und der Freispruch von Lehrlingen. Schließlich wurde alle zwei Jahre ein neuer Zechmeister gewählt.
Über den Verlauf der Versammlung musste der Handwerkskommissär dem Bürgermeister schriftlichen Bericht erstatten.
Die Lade des Handwerks
Was dem Soldaten die entfaltete Fahne, das war im Handwerk die geöffnete Handwerkslade. Sie enthielt die wichtigsten Dokumente des Handwerks und auch die Gelder, welche für Strafen, Aufnahme und Freispruch und als Jahrschilling eingezahlt wurden. Wurde bei einer Versammlung auf der Herberge die Lade geöffnet, musste von allen Anwesenden die strengste Disziplin gewahrt werden. Deshalb wurde statt der Bezeichnung „Handwerk“ oft die Bezeichnung „Lade“ in den Akten genommen. Die Lade des Linzer Weißgerberhandwerks war mit drei Schlössern gesperrt; die Schlüssel hiezu hatten der Handwerkskommissär, der Ober- und der Untervorsteher.
Die Lade des Steyrer Handwerkes wurde auf der Herberge verwahrt. Herbergsvater war 1659/61 Wolf Öttinger. 1668/71 war der Gastwirt Mathias Ziegler, Grünmarkt 23, Herbergsvater. 1675 zogen die Meister von der Galmpergerin mit Geigenspiel fort, 1686 sind sie bei Achaz Pleckenfürster in der Enge 31.
Zechmeister und einverleibte Meister
Der Zechmeister war der Leiter des Handwerks. Die Akten nennen nur wenige Namen, so 1587 Hans Öller, 1657/58 Georg Auinger, 1659 und 1664 Tobias Pitschko, 1665/66 Hans Feilmayr, 1667/68 Christoph Paurnfeind, 1669/71 Hans Felmayr, 1675 Peter Stoll, 1772 Johann Georg Huber.
Auswärtige, einverleibte Meister waren:
1587 waren in Steyr sechs Meister, von auswärts waren einverleibt: Wels 1, Freistadt 2, Haslach 2, Gallneukirchen 1, Perg 1, Hofkirchen 1, Pabneukirchen 1 Meister.
1661 waren in Steyr fünf und von auswärts zehn Meister beim Jahrestag anwesend.
1666 waren in Steyr fünf und von auswärts 21 Meister einverleibt.
Entsprechend dem vorangeführten Bescheid vom Jahre 1761 sollten von den in Steyr einverleibten Meistern abgegeben werden:
1 Meister an die Nebenlade Wels, 6 Meister an die Hauptlade Linz und 13 Meister an das Handwerk in Wien. Dafür wurden wenige Meister an die Nebenlade Steyr abgegeben.
Die Lehrjungen
Nach altem Herkommen musste ein Junge, der aufgedingt werden wollte, seine ehrliche Geburt nachweisen oder „per rescriptum Principis“ legitimiert sein. Er mutete für das Aufdingen 12 fl und das Freisprechen gleichfalls 12 fl in die Lade legen. Der Meister erhielt ein Lehrgeld. Arme Waisenkinder mussten gratis aufgedingt und freigesprochen werden. Nach einer Lehrzeit von 5 Jahren mussten sie zeigen, dass sie das Handwerk genugsam erlernt haben.
Die Gesellen
Kam ein Geselle nach Steyr, fragte er nach der Herberge des Handwerks und dort nach einem freien Arbeitsplatz. Es wurde ihm vom Herbergsvater das „Geschenk“ gereicht. Dass es abends dann viele Räusche gab, wenn die Gesellen zur „Abendschenken-Collation“ zusammen kamen, beweist der Erlass des Königs Ferdinand vom 24. August 1550, der diese „Abendschenken-Collation“ verbietet, weil sie „viel Unrat, Mord, Schand, Laster und mutwillige Handlungen“ im Gefolge hatte.
Hatte der Geselle 24 Stunden nach seiner Ankunft keinen Arbeitsplatz gefunden, musste er weiterziehen.
Wollte ein Geselle einen Meister verlassen, durfte er nur sonntags nach dem Frühstück kündigen. Verließ er ihn unter der Woche, wurde ihm der Lohn nicht ausbezahlt. Nach dreijähriger Wanderzeit konnte er sich um das Meisterrecht bewerben. Er musste die zum Meisterwerden erforderlichen Eigenschaften nachweisen, gleichgültig, ob er Meistersohn war oder nicht oder, wenn er eine Meisterswitwe oder -Tochter heiraten wollte. Er musste nachweisen, dass er bei einem Meister des Handwerks dieses ordentlich erlernt hatte und sich in der Gesellenzeit stets treu und ordentlich verhalten habe. Das Probestück, welches ihm zu machen auferlegt wurde, durfte nicht zu teuer sein. Wurde das Stück für gut erkannt, wurde er am nächsten Jahrtag als Meister aufgenommen.
Des Handwerks Kampf ums Dasein
Im Jahre 1576 bewarben sich die Weißgerber bei den Metzgern um Häute. Aber die Metzger erhielten Darlehen von den Lederern, damit sie ihnen die großen und kleinen Felle verkaufen. Die Weißgerber sollten nun die Felle zu höheren Preisen abkaufen. Da konnten die armen Weißgerber weder in der Stadt noch auf dem Lande mit.
Die Lederer behaupteten allerdings, dass die Weißgerber die Felle weit und breit aufkaufen und sie ihnen die Felle um das doppelte Geld abkaufen sollen. Wenn da nicht eingeschritten wird, müssen sie abwandern. Die Weißgerber machen auch Ochsen- und Kuhhäute in Alaun und Fischschmalz weißer Art für Schuster und Messerer.
Erst 1584 wurde der Streit geschlichtet. Die Weißgerber erklärten vor zwei Ratsherren, kein rauhes Gefüll von hier zu verkaufen oder zu verführen, sondern den Lederern diejenigen Kuhhäute und Kalbfelle, welche sie von ihren Geymetzgern haben, in dem Werte, wie sie diese übernommen, zu überlassen.
Die Lederer erklärten, dass sie alle Schaffelle, welche sie bisher von den Stadtmetzgern gehabt, den Weißgerbern überlassen werden.
Die Weißgerber beschwerten sich 1587 bei der Landeshauptmannschaft, dass die Niederösterreicher nach Oberösterreich Fellwerk den armen Bauersleuten verkaufen, welches sie in Alaun gearbeitet und gelb gefärbt haben. Sie gaben es unter das Fellwerk, welches sie in Fischschmalz gearbeitet haben, durchlaufen damit alle Klöster, Schlösser, Städte, Märkte, Dörfer und Kirchtage und betrügen und nehmen den hiesigen Weißgerbern das Brot vor dem Maule weg. Das Handwerk überprüft die Felle und Waren, die es verkauft, ob sie auch gerecht sind und bittet um Schutz.
Die Meister des Handwerks
Die Weißgerber benötigten für ihre Arbeit viel Wasser, siedelten sich daher meist an Flussläufen und, da das Material oft einen üblen Geruch verbreitete, am Rande der Stadt an. Die Wasserkraft wurde dann zum Betrieb einer Walke ausgenützt.
In Steyr waren die Häuser Haratzmüllerstraße 7, 10, 15 und 46, Kollergasse Nr. 4 und 6, Unterer Schiffweg 2 und Fabriksstraße 13 alte Betriebsstätten.
Walken waren im Ennsdorf, in der 1. Zeugstätte im Aichet u. Fabriksstraße 13. Letztere gehörte von 1769 bis 1898 den vier Weißgerbern gemeinsam. Von diesen vier hatten allerdings zwei um 1848 ihr Gewerbe ruhend angemeldet.
Nun soll noch der Meister gedacht werden, soweit sie bekannt sind. Im Hause
Haratzmüllerstraße 7
Haider Ulrich 1620; Huber Georg 1762/94; Feilmayr Hans 1635/69; Huber Josef 1794/1844; Feilmayr Melchior 1695; Wieser Philipp 1844/52; Feilmayr Sebastian 1735/51
Haratzmüllerstraße 10
Paurnfeind Christoph 1667/69; Wetters Franz 1840/45; Graßmayr Johann 1695; Wetters Anna 1845/82; Hanke Franz 1732/80; Wetters Albert 1882/91; Hanke Regina 1780/94; Dellinger Georg
1891/1903; Perger Johann Adam 1794/96; Dellinger Maria 1903/05; Perger Marianne 1830/31;
Pichler Hans 1911/25; Passeier Alois 1831/40; Pichler Hans jun. 1925—
Haratzmüllerstraße 15
Mayr Hans 1598/1620; Niederist Josef 1821/49; Stoll Peter 1675/95; Niederist Therese 1883/87; Großrucker Bernhard 1735; Dellinger Georg 1887/1903; Feilmayr Leopold 1751; Dellinger Maria 1903/17; Fidler Rudolf 1773/91; Pichler Hans 1903/15; Rizolli Josef 1821
Haratzmüllerstraße 46
Galfuß Hans 1543; Schützinger Kaspar 1567; Albrecht Elias 1620/27 (Emigrant)
Kollergasse 4
Egginger Georg 1598
Kollergasse 6
Öller Jörg 1567
Unterer Schiffweg 2
Öller Adam 1620; Pitschko Tobias 1651/66; Hellmayr Hans 1668/96, Feilmayr Kaspar 1733/62; Feilmayr Josef 1762/73; Weißmann Franz (?)
Fabriksstraße 13
Speckmüller Egidi 1620; Feilmayr Hans 1651; Speckmüller Ulrich 1695/1735 mit dem Paurnfeind Hans.
Fabriksstraße zwischen Nr. 24 und Nr. 26 (1735 eingefallen)
Öller Paul 1543/67
- Zeugstätte (Walken?)
Halbmayr Hans 1695 Siehe Unterer Schiffweg
Hanke Franz 1735 Siehe Haratzmüllerstraße 10
Im Hause Fabriksstraße 13 finden wir heute als letzten Weißgerber und Sämischmacher Meister Hans Pichler jun., dem sein Sohn bei der Arbeit fleißig zur Seite steht. Im Jahre 1907 wurde auf das Gebäude ein zweites Stockwerk aufgesetzt und 1929 zwei Wohnungen eingebaut. Noch dröhnen von Zeit zu Zeit die Stößel und Walke wie zur Zeit, als die Weißgerber noch ein beachtliches Handwerk in Steyr hatten.
Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 19, November 1959