Die Wehrbefestigungen der Stadt Steyr

Von Friedrich Berndt

 

Die Befestigung Innersteyrdorfs.

Das älteste Stadtviertel Innersteyrdorf reichte von der Dunkl-Apotheke bis zum 1891 abgebrochenen Ortstor. In keiner Urkunde finden wir seine Befestigung erwähnt. Wir wissen nicht, wann sie gebaut wurde; aber aus vielen Plänen, Bildern und den noch stehenden Resten der Befestigung können wir sie leicht rekonstruieren. Diese Rekonstruktion zeigt uns aber die starken und schwachen Seiten der Befestigung und lässt einen Schluss zu, von welcher Seite das Dorf zur Zeit seiner Erbauung am meisten bedroht war. Da zeigt schon eine oberflächliche Betrachtung der Situation, dass die Wasser der bei­den Gebirgssprösslinge, der Steyr und der Enns, wohl den besten natürlichen Schutz des Dorfes gegen Süden bildeten. Aber auch die steilen Hänge, welche vom Dorfrand gegen die Badgasse und den Ortskai abfielen, bildeten ein schweres Hindernis für den die beiden Flüsse übersetzenden Feind.

Sehr ungünstig für die Anlage eine Befestigung war die Lage des Dorfes gegen Norden. Von der Ebene der Schotterstraße, auf welcher heute der Friedhof liegt, fällt das Terrain erst senkrecht, dann in wechselnder Nei­gung ab, bis zu dem Dorf, das sich hier durch den Graben und eine Mauer mit vielen Schießscharten gegen den Feind gesichert hatte. Diese Mauer ist an manchen Stellen heute noch zu sehen. Man gehe nur in den Garten der Dunkl-Apotheke oder in den Hof des Hauses, Kirchengasse Nr. 2. Ungesehen van den Verteidigern konnte sich der Feind bis zum Rand des Plateaus vorschieben, um dann, über den Felsen kletternd, in breiter Front gegen den Graben vorzustürmen. Aber schon vom Plateaurand konnte er mit Brandpfeilen das Dorf bedrohen. Jedenfalls scheint diese Befestigungs­front selbst von einem Gegner der grauen Vorzeit leicht erstürmbar gewesen zu sein. War man gezwungen das Dorf so schwer befestigbar anzulegen? Wurde es erst nachträglich befestigt oder war es von dieser Seite her vom Feinde nicht bedroht?

Die Ostseite des Dorfes war durch eine Mauer geschützt, welche teil­weise heute noch steht. Über der Schlüsselhofgasse stand das Ortstor, dessen Zugbrücke den in den Felsen gehauenen Graben überspannte. In dem Graben führte eine Stiege zum Ortskai.

Das Ortstor wurde 1891 aus Verkehrsrücksichten abgebrochen. Die West­seite des Dorfes war durch eine hohe, zinnengekrönte Mauer abgeschlossen, die auf alten Stadtansichten noch zu sehen ist. In der gotischen Zeit wurde in die Mauer über die Kirchengasse ein Tor gesetzt, welches 1843 abgebro­chen und nach dem Apotheker Christian Brittinger, welcher 1834 in dem Hause eine Apotheke eingerichtet hatte, Brittingertor genannt wurde.

Wo die Westmauer mit der Nordmauer zusammenstößt, war ein Turm zugebaut worden, aus dessen Schießscharten man die Nord- und Westmauer flankieren konnte. Der halb verfallene Turm wurde im Volksmunde „Hun­gerturm“ genannt. Es wäre schade, wenn man den Turm weiter verfallen ließe.

Die Südmauer der Dorfbefestigung ist von der Badgasse aus noch gut zu sehen. Das Häuserviertel am Fuße dieser Mauer hatte einst den bezeich­nenden Namen „Am Schauerstein“, was so viel wie „Am Schutzstein“ bedeutet. Man steige durch die engen Verteidigungsgänge im Haus, Kirchengasse Nr. 3 und wird erkennen, dass es sich hier um eine uralte Befestigung han­delt. An dieses Haus angebaut war das Tor über die Badgasse, welches durch ein Fallgitter verschließbar war. Dieses war von einem Raum über dem Torgewölbe aus zu bewegen, der vom Hause Kirchengasse 3 aus zu erreichen war. Leider hat der Zahn der Zeit dieses Haus so angegriffen, dass es durch einen Aufbau über dem Tor gestützt werden musste. Dabei musste auch der Schlitz des Fallgitters zubetoniert werden, so dass eine Wiederherstellung des einstigen Fallgitterverschlusses, sosehr dies alle Freunde des alten Steyr gefreut hätte, unmöglich erscheint. Der Südabschluss des Dorfes verlief weiter längs des Steyrufers. Östlich der Spitalsmühle bildeten wieder die senk­rechten Felshänge mit den Mauern der darüberstehenden Häuser sicheren Schutz. In welcher Frühzeit muss diese Befestigung entstanden sein, wenn der Mauerzug um das Außersteyrdorf schon im Jahre 1480 erbaut wurde!

 

Die Befestigungen Außersteyrdorfs.

Im Prinzip unterschied sich der polygonale Mauerzug um Außersteyrdorf von der Mauer Innersteyrdorfs schon dadurch, dass der hohen Verteidi­gungsmauer eine niedrigere vorgesetzt war, welche mit ersterer den Zwinger einschloss. Vor der niederen Mauer lag ein wassergefüllter Graben. Von der hohen Mauer wurde über die Köpfe der Verteidiger der niederen Mauer hin­weggeschossen. Alle Ortsausgänge waren durch Tore verschlossen.

Über der Gleinkergasse stand (bei der Friedhofstiege) das Gleinkertor. Bei dem großen Brand Steyrdorfs im Jahr 1842 brannte auch dieses Tor ab und wurde 1843 aus Verkehrsrücksichten abgetragen. Vorher aber wurde von dem Tor ein Plan angefertigt, welcher im Stadtarchiv verwahrt wird.

Am Ausgang der Schuhbodengasse stand das Schuhbodentor. Die Schuh­bodengasse hieß früher „Am Bruchboden“. Man hat schon viel nachgeforscht, woher dieser Name wohl käme. Bruchboden wurde ein sumpfiges Gelände ge­nannt. Auch dieses Tor fiel nach dem Brand. Zwischen diesen beiden Toren war ein halbrunder Verteidigungsturm in die Mauer eingebaut, welcher heute noch, wenn auch in seinem Aussehen sehr verändert, am Wieserfeldplatz beim Kaufmann Gruber zu sehen ist.

Über der Sierningerstraße, einst nach dem Siechen- oder Bruderhaus „Siechengasse“ genannt, stand das Frauentor. Es hat seinen Namen von der Gottesmutter erhalten, deren Bild an der Torwand aufgemalt war. Auch von diesem Tor, welches 1848 abgebrochen wurde, sind uns Pläne erhalten. Der Name „Frauenstiege“ erinnert heute noch an dieses Tor.

Das Schnallentor ist weder ein Befestigungstor und noch viel weniger ein Stadtherrlichkeitstor gewesen, sondern wurde als Mauttor erbaut und ist ein solches bis vor wenigen Jahrzehnten geblieben. Die Zeit der Er­bauung des Tores steht noch nicht fest und scheint die am Tor befindliche Jahreszahl 1613 eher eine Schmückung des Tores anlässlich des Kaiserempfan­ges am 12. Juli 1613, als auf die Erbauungszeit hinzuweisen. Der schöne Sgrafittoschmuck des Gebäudes wurde durch den Baumeister Franz Stahl sach­kundig erneuert, so dass das alte Tor wieder eine Zierde der Stadt bildet.

 

Die Befestigung der Stadt.

 Unter der Stadt verstand man einstens nur die Häuser in der Enge, am Stadtplatz, an der Pfarr- und Berggasse. Der älteste Teil der Stadt liegt unterhalb des Schlosses und reichte bis zum Hause Enge Gasse 16. Dass sich dieser Stadtkern an den vermutlichen Burgzwinger zwischen den Brücken anschloss geht aus der bereits erschienenen Beschreibung der Geschichte der Burg klar hervor. Flussseitig schloss ein halbrunder Turm die Ufermauer ab. Gegen den Anger, auf welchem sich heute der Stadtplatz befindet, war der Stadtkern durch einen breiten Graben und eine Doppelmauer gesichert. Die vordere niedere Mauer schloss mit der hohen Mauer den einige Meter breiten Zwinger ein. Über der Enge stand ein Tor.

Woher dies alles bekannt ist?

Niemand hat noch über diese Befestigungen geschrieben, die schon vor Hunderten von Jahren teils abgebrochen, teils in die sich ausdehnende Stadt eingebaut wurden. Aus einem gründlichen Studium des Stadtgrundrisses, aus Grundrissaufnahmen der in Betracht kommenden Häuser und verschiedenen Nachrichten, welche die aus den Grundrissen gezogenen Schlüsse zu bestätigen scheinen, ergab sich obige Schilderung der Befestigungen.

Die Befestigung der Stadt gegen den Anger schloss an die Befestigung der Burg an. Und doch waren Burg und Stadt durch Mauern vollständig getrennte Gebiete. Die Enge und die Kirchengasse waren also Gassen ganz kleiner befestigter Siedlungen, daher recht schmal angelegt. Als nach dem Landtag von Tulln im Jahre 980 die Stadt erweitert wurde, legte man die Befestigungen der einzelnen Bauabschnitte nur provisorisch an. Mit starken Pfählen wurde eine Schutzwand längs der Enns geschlagen.

Es besteht die nicht ganz unbegründete Vermutung, dass damals die romanische Kirche mit den dazugehörigen Gebäuden eine Art Befestigung bildete. Man vergleiche nur die Schießscharten in der hohen Schutzmauer am Dachboden des Hauses Berggasse 48, welches als Organistenhaus wie das anschließende Haus — die uralte lateinische Schule — zur Kirchenbefestigung gehörte, mit den Schießscharten im Hause Berggasse 36, welches zur Stadtbefestigung gehörte. Letztere sind augenscheinlich aus späterer Zeit.

Es ist bisher noch nicht gelungen, genauere Aufzeichnungen darüber zu finden, was im Jahre 1475 auf Befehl des Kaisers an Befestigungen gebaut wurde. Das gotisch gebaute Pfarrtor wird aber schon 1467 erwähnt und stand damals sicher schon viele Jahre. Es war ein Teil der Kirchenbefestigung, ebenso wie der eckige Turm beim Pfarrhaus.

Wenden wir uns nun der vermeintlichen Befestigung der Stadt vom Jahre 1475 zu. Das Ennstor wurde 1489 vollendet. Am Ennsufer wurden die halb verfallenen Palisaden weggeräumt und eine starke Mauer aufgeführt, in welche einige Tore und Türen, aber auch eine größere Bastei (dort wo heute das Kreisgericht steht) eingebaut wurden. Wo heute das Neutor steht, wurden eine Bastei und ein Tor errichtet. Durch letzteres gelangte man in die Bindergasse. Ein Brand im Jahre 1522 hat fünf Türme und die Bastei zerstört. Den Zusammenschluss mit der alten Kirchenbefestigung können wir heute noch sehen, wenn wir den Zwinger neben dem Innerberger Stadel betreten. Die in zwei Etagen angelegten Schießscharten der mit Zinnen gekrönten Mauer zeigen schon einen großen Fortschritt an der Kriegsbaukunst. In diese Mauer war auch ein runder Pulverturm eingebaut, welcher später zu dem Hause Bindergasse 6 umgebaut wurde.

Wahrscheinlich wurde um 1480 auch das Garstnertor gebaut, welches mit dem Pfarrtor zusammen St.-Gilgen-Tor genannt wurde. Das St.-Gilgen-Tor, eines der größten und merkwürdig gestalteten Tore des alten Steyr, vermittelte den Weg aus der Stadt nach Garsten. In dem runden, im renaissanceähnlichen Stil erbauten Garstnertor befand sich die Wohnung des Mautners. Sein militärischer Zweck war die Flankierung des Grabens, welcher der Stadtmauer bis zum Schlossgraben vorgelegt war, wie auch die Sicherung der Stadtpfarrkirche. Die auffallende Rundung des Brucknerplatzes beim Denkmal des Musikkünstlers ist noch eine Erinnerung an das Garstnertor, da die Gartenmauer auf die runde Außenmauer des Tores aufgebaut ist. Das Holubhaus ist in den Graben des Tores im Jahre 1848 vom Bürgermeister Kompaß gebaut worden. Auch der Brunnen vor der Pfarrkirche steht über dem ehemaligen Torgraben. Das Pfarrtor, ein mehrstockhoher Turm, schloss unmittelbar an die Pfarrkirche an. Es war ein gotischer Bau, dessen Tor feindwärts durch ein Fallgitter verschließbar war. Das St.-Gilgen-Tor ist uns in Plan und Bild erhalten. 1848 wurde der letzte Rest des Torhauses abgetragen.

Die neun Meter hohe Verteidigungsmauer vom Pfarrtor bis zum Schloss war am Fuße etwa 1.70 Meter stark. Oberhalb des Durchganges zur Mayrstiege ist noch ein Stück des alten Wehrganges zu sehen. Dieser Mauer vorgelagert und mit ihr den Zwinger bildend, war die niedere Stadtmauer, von welcher beim Gasthof „Deutsches Haus“ auf der Promenade wie auch an anderer Stellen noch Teile zu sehen sind. Sie war 1.70 Meter hoch. Der Turm bei der Mädchenschule auf der Promenade bildete den Abschluss der Stadtbefestigung.

Als im Jahre 1524 die Neutorbrücke erstmalig gebaut wurde, dürfte die alte Bastei geschleift worden sein. Bei der Brücke wurde ein Tor gebaut, das aber den Fluten des höchsten bisher stattgehabten Hochwassers im Jahre 1572 zum Opfer fiel. Die Stadt ließ nun durch den berühmten Wasserbaumeister Hans Gasteiger aus mächtigen Quadern das „Neutor“ erbauen. Die Inschrift auf dem Tore, das vorerst als Schule verwendet wurde, deutet auf die Ursache der Erbauung hin. Sie lautet:

HaeC LoCa Vis anesl ex pIVVIa Dele Cerat Vrbls RIs qVarta Vt IVLII LVXIt In orbe Dies. Insta Vrata taMen Cernls n VnC a VspICe Christo; Pro plebe ergo pia faC pia faC pia Vota feras.

Die Übersetzung: Die Gewalt der Enns hatte diesen Platz der Stadt des Regens wegen weggerissen, als der 8. Tag (zweimal der 4. Tag) des Juli auf der Erde leuchtete. Jedoch siehst Du es jetzt wieder hergestellt mit Hilfe Christi; tue also für das Volk fromme (Taten), bringe fromme Gelübde dar.

In den Neubau wurde auch das Reichenschwallertor einbezogen, welches den Abgang zur Bindergasse vermittelte. Es hat früher Truhtor (von Truh = Falle) geheißen, offenbar weil es ein Fallgitter besaß. Auch Nau- oder Seilertor wurde es genannt.

 

Die Befestigungen des Ennsdorfes.

 Pritz schreibt, dass auch das Ennsdorf im Jahre 1480 mit Gräben, Mauern und Türmen umgeben wurde. Von Gräben haben wir in Ennsdorf keine Spuren gefunden. Ein Mauerrest steht noch beim Kollertor. Dieses Tor hat seinen Namen vermutlich nach den Köhlern erhalten, die auf den Wiesen vor dem Tor ihr Handwerk betrieben haben sollen.

Die heutige Bahnhofstraße — einstens nur ein Feldweg? — war durch den Bruckstadl gesperrt. Er wurde so genannt, weil man Hölzer zur Ausbesserung der Brücken in ihm verwahrte.

Die Johannesgasse war durch das Johannestor gesperrt, welches ja heute noch steht und bewohnt ist. Über der Haratzmüllerstraße — einst Poststraße und Lange Gasse genannt — stand das Schmiedtor, welches dem Johannestor ähnlich war. Der nebenan arbeitende Hufschmied gab dem Tor den Namen. Leider sind im Stadtarchiv keine genauen Zeichnungen dieses Tores vorhanden.

Steyr war während des Mittelalters im Kriegsfall als Brückenkopf ein überaus wichtiger Stützpunkt. Die Befestigungen waren, kaum erbaut, durch die zu immer größerer Bedeutung gelangende Artilleriewaffe schon um 1500 als veraltet zu bezeichnen. Noch war die Steinkugel nicht ganz durch schmiedeeiserne Geschosse verdrängt, aber die Geschossgewichte und Geschwindigkeiten wurden immer größer, sodass die Mauern bald nur von überraschenden Angriffen sichern konnten. Dann waren die Tore nur mehr als Mautstellen in Verwendung. Sie wurden abends geschlossen, um den Bürgern nach schwerer Tagesarbeit die wohlverdiente Nachtruhe zu sichern. Noch im 19. Jahrhundert erfüllten sie ihren Zweck. Jetzt aber dienen die wenigen noch erhaltenen Zeugen des Wehrwillens unserer Väter nur mehr als Wohnungen.

 

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, 1949

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