Die „Ritterliche Khunst“

Zur Geschichte des älteren Schützenwesens der Stadt Steyr

Von Josef Ofner

 

In früheren Jahrhunderten lag die Verteidigung der Stadt in den Händen der Bürger. Diese Verpflichtung setzte eine ständige Übung in der Handhabung der Waffen voraus. Da die zu Festungen ausgebauten Städte im Rahmen der Landesverteidigung eine bedeutende Rolle spielten, fanden die Schützengesellschaften, die in besonderem Maße die planmäßige Ausbildung der Bürger im Gebrauch der Schießwaffen anstrebten und dadurch die Wehrtüchtigkeit der Städter erhöhten, stets die Gunst der Landesfürsten. Besonders Kaiser Maximilian I., dem Steyr das Bürgermeister-Privilegium und andere Freiheiten verdankte, zeigte große Vorliebe für Feuerwaffen. Dies mag auch der Grund gewesen sein, dass die Stadtobrigkeit von Steyr im Jahre 1506 nach dem Vorbild anderer Städte eine Schießstätte errichten ließ, eine aus Bürgern und ledigen Burschen bestehende Vereinigung, genannt „Schützenmeister und Schießgesellen“, gründete und als ersten Schießpreis ein Stück Hosentuch, das damals etwa 13 Pfund Pfennig gekostet haben mochte, stiftete, wenn mindestens zehn Schützen an dem Schießen teilnahmen. Die Schießübungen waren abwechselnd mit der Feuerbüchse und der Armbrust („Stachel“) jeden Sonntag vorzunehmen, so dass alle vierzehn Tage eine der beiden Waffen zur Anwendung kam.

Die spärlichen archivalischen Nachrichten über die Steyrer Schützengesellschaft lassen nur in groben Umrissen deren Organisation erkennen, die in mancher Hinsicht mit der des zünftigen Handwerks übereinstimmte. Für das gesamte städtische Schützenwesen waren in erster Linie die Weisungen des Magistrates richtunggebend. Der Stadtrat ratifizierte die von den Schützenmeistern oder von Ratsfreunden und dem Stadtschreiber erstellte „Schützenordnung“, er bestimmte das Aussehen der Schützenfahne, bewilligte das jährliche Schießgeld, das 1587 im Betrage von 25 Gulden gegeben wurde, er sorgte für die Instandhaltung des Schießstandes und regelte die Durchführung der mit einem Festschießen verbundenen Schützenfeste. Das Hosen- oder Schützentuch spendete der Magistrat meist nur dann, wenn die Finanzlage der Stadt halbwegs günstig war. Im Juni 1577 wurde der Stadtkämmerer Abraham Spänesperger beauftragt, jeden Sonntag ein „Lindisch Hosentuech“ an dem „gewöhnlichen Ort“ nach altem Herkommen ausstecken zu lassen. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts (1653) gab der Rat zum Hauptschießen einen Betrag von 100 fl. weil die Schützen schon viele Jahre kein Tuch erhalten hatten.

An der Spitze des Schützenverbandes, der auch über eine Lade zur Aufbewahrung der Schützenordnung und des Geldes verfügte, standen der vom Magistrate gewählte Oberschützenmeister und zwei Schützenmeister. Die „Schießfreunde“ waren gegliedert in alte und junge Schützen. Ab und zu kam es innerhalb der Schießgesellschaft zu Reibereien und Unstimmigkeiten. 1577 ermahnte der Rat die Schützen, das „Zännggen vnnd greinnen“ zu unterlassen, 1650 war er bemüht, einen Kompetenzstreit zwischen alten und jungen Schützen in Güte beizulegen.

Das an Sonntagen, im 18. Jahrhundert auch an Feiertagen, festgesetzte „Bürgerschießen“ fand auf einem Platz vor dem St. Gilgentor in der Nähe des Stadtgrabens statt. Später wurde die Schießanlage in den Graben verlegt und befand sich dort bis zum Jahre 1834. In den Jahren 1577 und 1699 war sie so baufällig, dass sie jedes Mal neu aufgebaut werden musste.

Die Mitglieder der Schützengesellschaft gehörten ohne Zweifel zur tüchtigsten Mannschaft der Stadtmiliz, da sie ja am besten mit den Feuerwaffen umgehen konnten. Mit einer eigentümlichen Ober- und Unterwehr, also mit Muskete und Säbel, musste seit der Mitte des 17. Jahrhunderts jeder Bürger ausgerüstet sein. Schon bei der Verleihung des Bürgerrechtes war der Waffenbesitz nachzuweisen und beim Steueramt ein Gulden zum Ankauf eines „Schützenröckls“ zu erlegen. Die Zugehörigkeit zur Schützengesellschaft blieb bis ins 18. Jahrhundert jedem Bürger frei gestellt. Ab 1738 befahl jedoch der Magistrat einzelnen Bewerbern um das Bürgerrecht, dass sie mindestens ein Jahr lang an den Schießübungen der bürgerlichen Schützen teilzunehmen hätten. Im Jahre 1766 wurde diese Ausbildung noch um ein Jahr verlängert.

Die Schützengesellschaft förderte nicht allein die „Ritterliche Khunst“ des Schießens, sie pflegte auch Kameradschaft und Geselligkeit. Von Zeit zu Zeit veranstaltete sie ein fröhliches Festschießen. In Steyr fanden im 16. Jahrhundert vier größere Schützenfeste statt (1531, 1540, 1548, 1592). Zu den glanzvollsten Veranstaltungen dieser Art aber zählte das freie Gesellenschießen „mit Pürstbuxen von Feuerschloß und Stein“, das am Sonntag, 7. September 1614 seinen Anfang nahm und vier Wochen dauerte. Mit Bewilligung des Magistrates sandte die Schützengesellschaft im Mai des genannten Jahres gedruckte Einladungen an die Schützenverbände österreichischer und deutscher Städte. Dieser Aufforderung folgten viele Schießfreunde aus Wien, aus der Steiermark, aus Kärnten und Krain, sie kamen aus Landshut, München, Nürnberg, Regensburg und Breslau. Auch Ritter und Adelige aus der Umgebung fanden sich ein. Jeder Schütze hatte als Einleggeld vier Gulden zu entrichten. Das Hauptbest bestand in einem vergoldeten silbernen Becher im Werte von 100 Gulden. Grüne Seidenfahnen, geziert mit dem Wappen der Eisenstadt, wurden zu den Geldpreisen verliehen. Der Festplatz befand sich vor dem St. Gilgentor. Der Magistrat ließ dort eine Hütte errichten und gab zum Ankauf der Beste 70 Taler.

Neben dem Schießen, zu dem der Rat einen Schützenmeister, zwei Unterschützenmeister, einen Fähnrich und einen Schreiber abordnete, gab es zur Unterhaltung der Gäste noch verschiedene Lustbarkeiten, u. a. ein Kegelspiel und Vorrichtungen zum Hahnerschlagen. Letzteres Spiel entbehrte nicht einer gewissen Rohheit. Zwei Hähne wurden bereitgestellt. Der eine Hahn sollte mit einem hohlen Prügel, der andere, der sich auf einem Platz innerhalb eines Grabens befand, der nur über einen handbreiten Steg zugänglich war, von einem Dreschflegel getroffen werden. Der mit dem Flegel ausgerüstete Hahnerschlager hatte einen Kreuzer zu bezahlen. Da ihm eine schwarze Kappe über die Augen gezogen war, verfehlte er meist den Steg und fiel zum Gaudium der Anwesenden in den Graben.

Das große Schützentreffen des Jahres 1614 „begann und endete in Ordnung und Frohsinn“.

In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges hören wir von keinem Schützenfest in Steyr. Die Beendigung der harten Kriegszeit feierte jedoch die Stadt im Jahre 1650 mit einem „Friedensfest“, zu dessen Verschönerung die Schützengesellschaft viel beitrug. Schon 1653 veranstaltete sie wieder ein Hauptschießen, das vom Oberschützenmeister Maximilian Luckner geleitet wurde. Das nächste größere Schützenfest fand erst 15 Jahre später statt. 1668 ließen die Schützenmeister Daniel Knäbl und Gottlieb Hoffmann Einladungen zu dem für 6. Mai anberaumten „nachbarlichen Hauptschießen in allhiesiger Schießstatt“ ergehen.

In den folgenden Jahren, um 1671, wurden die Schießübungen durch längere Zeit vernachlässigt Die Schützengesellschaft trat aber wieder mächtig in Erscheinung, als im August 1680 Kaiser Leopold I. und dessen Gemahlin die Eisenstadt besuchten. Zu den aus diesem Anlass veranstalteten Festlichkeiten gehörte auch ein Schießen im Stadtgraben, dem der Kaiser zwei Stunden lang beiwohnte.

Da die Teilnahme an den Schützenfesten auf Gegenseitigkeit beruhte, besuchten auch Steyrer Schützen häufig auswärtige Veranstaltungen. Zum großen Freischießen in Linz im September 1560 wurden sogar Spielleute und Pritschenmeister aus Steyr abgesandt und erhielten für ihre Mühe auf Befehl des Linzer Stadtrichters ein Trinkgeld im Betrage von 1 Pfund 3 Schilling 20 Pfennig zuerkannt.

Die in Narrentracht gekleideten Pritschenmeister waren bei den Schützenfesten im 16. Jahrhundert als Aufsichtsorgane und Spaßmacher tätig und schrieben manchmal auch gereimte Festberichte. Die Pritsche, entweder ein Kolben aus Leder oder ein säbelartiges, mehrmals gespaltetes Holz, kennzeichnete ihre Würde. Mit Spottversen und mitunter derben Späßen belustigten sie die Festteilnehmer und bestraften schlechte Schützen oder solche, die die Schießordnung verletzten auf einer erhöhten Bank („Pritschbank“) durch Schläge mit der Pritsche auf den Hinterteil.

Im Jahre 1574 gewann der Steyrer Georg Leschenprant bei einem Festschießen zu Krems a. d. Donau den ersten Preis, weshalb ihm ein Kranz verliehen wurde. Der Rat zu Steyr verehrte ihm aus der Stadtmaut vier Taler. Da die Eisenstadt in den Besitz des „Khränzl“ gelangt war, begehrten die Kremser Schützen die Durchführung eines Preisschießens in Steyr. Der Magistrat lehnte jedoch ab, weil durch die Wassergüsse der Jahre 1567 und 1572 die Stadt „sehr verderblich heimgesucht“ worden sei.

Über das große Linzer Festschießen im Jahre 1584 berichtet in einem umfangreichen Lobgedicht der Augsburger Pritschenmeister Kaspar Lerff. Für Steyr ist diese Dichtung insofern aufschlussreich, da sie die Namen der Steyrer Schützen, die in Linz anwesend waren, anführt: „Herr Hieronymus Hirsch. Steffan Lichtenberger. Jocham Klang. Christofs Scheuber. Hans Blockher. Blasy Ranecker. Petter Stainpacher. Jörg Liechtenberger. Marttin Bongartner, Christofs Leinener. Hann Fuxbüller. Hanns Leinener. Wolff Linterer. Jörg Löschenbrandt. Lienhart Wagner. Abraham Ott.“ Mit dieser Abordnung war Steyr von den auswärtigen Schützenverbänden am stärksten vertreten.

Wie Lerff berichtet, war Hieronymus Hirsch Mitglied der Neuner.

„Oesterreich das Landt ob der Ennß /

Der sibent Neüner so vernems.

Herr Hieronimus Hirsch von Steür /

Sah ihn lang nie als eben hewr /

Gott verleih ihm noch langes leben /

Thet guten Rath zum Schiessen geben.

Auch ander was man haben will /

Kein kurtzweil ist ihm nicht zuuil /

Jedoch das mit beschaidenhait /

Ist er willig allzeit beraidt.

 

Die Neuner bildeten den obersten Schützenrat. Sie trugen rot-weiße Schärpen und auf dem Hut einen schwarz-gelben Federbusch.

Am 24. September 1584 wurde das Linzer Schützenfest, das acht Tage gedauert hatte, mit der Preisverteilung abgeschlossen. Acht Schützen aus Steyr konnten Fahnen und Geldpreise nach Hause bringen

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ergingen an den Magistrat Steyr Einladungen zum Friedensschießen des Marktes Weyer am 23. November 1650, zum Freischießen in Wels (1652), zum Hauptschießen in Waidhofen a. d. Ybbs (1654) und zu einem Freischießen der „Hochfürstlichen Salzburgischen Komissarien“ im Jahre 1682. Die am Salzburger Festschießen teilnehmenden Schützen unterstützte die Stadtobrigkeit mit 30 Gulden, doch mussten ihr die „herausgeschossenen Gewinnusse“ ausgefolgt werden. Einen Beitrag zur Teilnahme einiger Schützen am Freischießen der Stadt Tulln im Jahre 1707 verweigerte der Magistrat unter Hinweis auf die ungünstige Wirtschaftslage.

Zum Schluss möge noch eine Begebenheit aus dem Jahre 1753 folgen, die in der Stadt Aufsehen erregte und in der Ratssitzung vom 16. Juni durch den Stadtschreiber zur Sprache kam. In der bürgerlichen Schießstätte im Graben hatten die Schützen öffentlich eine „hässliche“ Scheibe ausgestellt, die mit „ehrenbeschimpflichsten Versen wider hiesig ledige Mägdlein“ versehen war. Dieses „sträfliche Unternehmen“ habe, wie der Stadtschreiber betonte, bei der Bevölkerung allgemein Ärgernis hervorgerufen, sei nicht nur gegen die Wohlanständigkeit, sondern widerstrebe auch Ziel und Zweck der Schützengesellschaft. Die beiden Schützenmeister erhielten den Auftrag, in Anwesenheit aller Schützen die Scheibe zu entfernen. Schützenkommissar Georg Rogg, Mitglied des Inneren Rates, hatte sie ins Rathaus zu bringen, wo man versuchte, den Maler der Scheibe und den Verfasser des Spottgedichtes festzustellen. Die Angelegenheit endete mit der Enthebung des Schützenmeisters Wurm. Den Schützen wurde die Verwendung „unanständiger Scheiben“ bei 12 Reichstaler Pönfall verboten.

Aus der dürftigen archivalischen Überlieferung können wir ersehen, dass sich das Schützenwesen am prächtigsten in der Reformationszeit entfaltet hatte. Wenn nach einem Niedergang zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges wieder ein allmählicher Aufstieg folgte und im 18. Jahrhundert auch Bürgerrechtsbewerber zur Teilnahme an den Schießübungen verpflichtet wurden, so errang diese Einrichtung doch nicht mehr die frühere Größe.

 

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 19, Februar 1959

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