Von Ilse Neumann
Dem großen Stadtbrand vom Jahr 1522 war auch das Dominikanerkloster zum Opfer gefallen. In einer Zeit, da das Interesse am Weiterbestand des Ordens in Steyr schon sehr gering geworden war, konnten die von jeher nicht sehr begüterten Ordensbrüder ihre Position nicht mehr länger halten. Die Spenden waren sehr gering, sie mussten verkaufen und zogen schließlich 1543 von Steyr weg. Die Bürgerschaft richtete hierauf an König Ferdinand die Bitte, ihr das noch in Trümmern liegende Kloster zu übergeben. Am 22. Februar 1559 erhielt sie die Erlaubnis1), eine Schule oder ein Wohnhaus für alte, kranke Leute dort zu errichten und einen Priester für die Verrichtung des Gottesdienstes in der Kirche zu unterhalten, jedoch mit der Bedingung, dass die Dominikaner gegen Ersatz der Baukosten und der von den Bürgern bezahlten Schulden das Recht hätten, ihr Kloster im Bedarfsfall wieder einzulösen.
In dem von der Stadt wiedererrichteten Gebäude wurde eine Lateinschule eingerichtet und in der Kirche der Gottesdienst nach dem Augsburger Bekenntnis2) eingeführt. Seit wann eine Lateinschule bestand und wo sie vorher untergebracht war, ist nicht bekannt. (In Freistadt bestand eine solche seit dem Jahr 1543/44)3). Neben dieser Schule hatte auch eine teutsche Schule bestanden, doch ist auch von ihr nicht bekannt, wo und seit wann4).
Im Jahre 1558 starb der erste lateinische Rektor der Schule Andreas Küttner, der protestantisch gesinnt gewesen war. Sein Nachfolger wurde Thomas Brunner (Pegaeus), ein Schüler Melanchthons und, wie Preuenhuber sagt, ein „in seiner Kunst und Instruierung der Jugend berühmter Mann“5). Von ihm wurde die Einrichtung der neuen Schule durchgeführt. Über die Organisation des Unterrichts ist aus den Akten nichts zu erfahren. Nur die Denkschriften und Bittgesuche Rektor Brunners an den Rat, aus dem Zeitraum von 1563—1569, geben Einblick in die Schulverhältnisse. Bei der bestätigten Großzügigkeit des Rates bei der Vergebung von Stipendien für Steyrer Bürgerssöhne und von Spenden an die Universitäten Wittenberg6) und Leipzig zugunsten armer und kranker Studenten verwundert es, dass der Rektor wenige Jahre nach der Gründung der neuen Lateinschule, die, nach Preuenhubers Aussage, an stattlicher Frequenz und Bedeutung mit der Linzer Landschaftsschule wetteiferte, sich mit derart bitteren Klagen an den Rat wenden musste. Es scheint, dass das Volk nicht allzu viel für eine derartige Schule übrighatte und auch der Rat sich besser in großen Gesten als in Detailarbeit gefiel. Die Klagen über schlechte Besoldung und mangelhaften Zustand der Schule, verbunden mit der Tatsache, dass die Schüler, die von auswärts zum Schulbesuch kamen und mittellos waren, selbst für ihren Unterhalt sorgen mussten7), spricht nicht sehr für die Großzügigkeit des Magistrates der Schule gegenüber. Täglich bettelten sich die kleineren Schüler von Haus zu Haus durch, um Suppe und Brot zu erhalten, während die größeren jeden Freitag singend durch die Straßen wanderten, um so Geld zu verdienen8). Brunner hob hervor, dass der Erlös von Rechts wegen dem Schulmeister gebühre, dass er jedoch darauf verzichtet habe und den Ertrag, etwa einen halben Schilling wöchentlich in „ain püxen getan, davon man Inen umb papier, Büecher, Schuech, Item Brot und andere notturfft verhilflich sein soll.“ Auch am Dreikönigstag wurde von Haus zu Haus gesungen und gesammelt. Im Schulhaus bestand auch eine Art Internat, dessen Ausstattung, nach des Rektors Klagen zu schließen, äußerst mangelhaft gewesen sein muss. Am 8. Oktober 1567 bat Brunner um Betttücher, da zwar Betten für die Schulen verordnet worden seien, doch „nichts von leingewand“; auch die Bitte um Holz kehrte immer wieder.
Als Unterrichtsgegenstände scheinen in den Schulakten nur Theologie, Latein, Griechisch und Musik auf. Der Lehrkörper bestand, soweit aus Brunners Denkschrift vom 19. März 1567 hervorgeht, aus „drei collegis“, die vom Rektor besoldet und verpflegt werden mussten, und dem Kantor, dessen Unterhalt der Pfarrer bestritt. Im Jahr 1609 wurde noch ein Konrektor genannt. Möglicherweise bestand die Lateinschule in Steyr wie die Linzer Landschaftsschule aus fünf Klassen.
Die anfangs große Zahl vermögender Schüler scheint sich zur Zeit der Krankheit Brunners um 1567 stark gemindert zu haben9); unter den von ihm noch genannten „anderen Ursachen“ dürften die konfessionellen Streitigkeiten zwischen den Predigern und die Missachtung des gemeinen Mannes für die „gueten und notwendigen Khünste und Sprachen“, von der in derselben Schrift noch die Rede ist, gemeint sein. Auch ein neuerliches Aufflammen der täuferischen Lehre10) gab Anlass zur Klage, dass der „Mamalukh, toll und Irrig Schwirmer (womit er Haller meint) allhie sein gifft ausgegossen, nicht allein der lieben christlichen Jugend, Sünder auch der gantzen Khirche in gemein großer und Innerlicher schaden und abbruch ist zugefüget worden, und ist nicht die geringste ursach, darumb auch das liebe Almusen, so zur Unterhaltung der Armen auff der Schuel möchte nach jeder guetwilligkeit gereicht werden, in große Abnehmung khumen ist.“
Der Rat hat Brunners Abdankungsbitte nicht angenommen und es ging auch mit der Schule wieder aufwärts, nachdem der Rektor die Leute durch Prädikanten hatte ermahnen lassen, ihre Kinder fleißig zur Schule zu schicken11). Aus einem Brief vom 9. März 1569, den Brunner an den Magistrat gerichtet hatte, erfahren wir, dass „sich die Jugent bald widrumb gemehret und von vilen Orten Khnaben hierher geschickt worden.“ Preuenhuber spricht von einer großen „Frequenz allhie studierender Jugend“ im Jahre 1575.
Die Besoldung blieb während der ganzen Zeit des Bestehens der Lateinschule ein wunder Punkt im Leben der Schulhalter. Der Ausspruch Daniel Möllers, Brunners provisorischen Nachfolgers, dass oft ein kleines Dorf seinen Schweinehirten stattlicher abfertige als die Steyrer ihren Schulhalter, kennzeichnet die Lage. Mit 100 Gulden Jahresgehalt wurde Brunner als Rektor bestallt und davon musste er noch seine Kollegen besolden. Auf viele Beschwerden hin wurden ihm nach Jahren noch 100 Gulden bewilligt. Nebeneinkünfte, die Küttner noch besessen hatte, fielen zur Zeit Brunners weg. Küttner war neben dem Lehramt Organist, leitete die Kirchenmusik und versah die „Turnerey“ (Amt eines Türmers). Seit Pfarrer Twengers Tod (1562) musste auch der Kantor vom Schulmeister versorgt werden. Mit einem wehmütig-zornigen Blick gedenkt Brunner der Zeiten des „laidig Babstumbs“, dessen Jahrtage dem Schulmeister so mancherlei „teglich in die Khuchen getragen“ haben. Mir den Erträgnissen der dem Schulmeister zugeteilten Weinberge scheint Küttner einen schwungvollen Handel betrieben zu haben. Rektor Brunner fehlte diese Geschäftstüchtigkeit völlig. Was er besaß, steckte er in die Schule, verwendete er für seine armen Schüler und musste immer von neuem die geringe „Milde“ der Steyrer Bürger beklagen12). So war Brunner in Schulden geraten und bat den Magistrat kurz vor seinem Tod am 29. Oktober 1571 um ein Darlehen. Der Verkauf seiner Bibliothek13) hat die Schulden des Rektors getilgt und der verbliebene Büchernachlass die Errichtung einer Bücherei ermöglicht.
So wirkte der Geist des in seinem Erzieherberuf aufgehenden Rektors, dessen Regsamkeit seine Korrespondenz mit Studienfreunden, Magistern und Schülern in Wittenberg sowie die von ihm verfassten Theaterstücke für kirchliche und weltliche Festtage beweisen, bis über den Tod hinaus auf die Bildung der Bevölkerung der Stadt.
Anmerkungen
- S. 273 f.
- Zur selben Zeit wurde auch in der Spitalkirche der protestantische Gottesdienst eingeführt.
- Hackel: Zur Gesch. d. luth. Stadtschule in Steyr, Steyr 1902/03, S. 4.
- Schulakt.: 1570 Bittgesuch d. teutschen Schulhalters Wolfgang Perger. Er spricht darin von seiner mehr als vierzigjährigen Dienstzeit. 1589: Das Bittgesuch des Schulgehilfen Basilius Thierfelder erwähnt zwei teutsche Schulen.
- Haller E.: Brunner Thomas u. Mauritius d. Aelt. — Stumpfl R.: Das alte Schultheater in Steyr. — Rolleder-Pillewizer: Die Schulen der Stadt Steyr in der Reformationszeit.
- Pritz S. 214.
- Pegaeus an den Rat von Steyr am 4. September 1567. Schulakten des Stadtarchivs.
- Hackel a. a. O., S. 7: vermutlich das Absingen des sogenannten „Tenebrae“ und „Ingressus Pilatus“, worunter Stellen aus der Passion des Johannes zu verstehen sind.
- Gedenkschrift v. 4. September 1567, StA. Steyr: Brunner bittet den Rat der Stadt um seine Entlassung, da er den Niedergang der Schule auf Grund seiner Erkrankung nicht mit ansehen könne. „Auch meine liebste und fürnembste discipulos, an denen vast meine größte freud gelegen, habe ich verlieren müssen, sintemal sie eben derselbigen Zeit meiner Aufrichtung und widerholung wenig hoffnung haben khinen, und nicht gar verbillich, einer für den andern, merere gelegenheit zum Studieren gesucht, will schweigen anderer Ursach, derenthalben fast alle meine privat und kostkhnaben eine gemaine glochhen, dise schnel zu verlassen, und an andere Ort sich zu begeben, ebenderselbigen Zeit meiner schwachheit gegossen haben.
- Bildung einer Gemeinde bei einem Schuster auf dem Dachsberg und einer anderen bei einem Schneider in Stein. Der ehemalige Schlossprediger Reinerus Haller aus Amersfert in Holland unterstützte sie mit Schriften, die er später sogar aus Siebenbürgen nach Steyr sandte, Prev. S. 283.
- Denkschrift vom 8. Oktober 1567.
- Bürgermeister Furtmoser habe selbst zu Martini nit mehr als zehn Pfennig, natalis Christi aber einen Groschen mitgetailt. Beide Rekordationen trugen kaum 20 Gulden ein, während der Rat die zu erwartende Summe auf 48 Gulden veranschlagt hätte.
- Ratsprotokoll vom 15. Oktober 1574.
Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft November 1950