Das letzte Gottesurteil in Steyr anno 1580

Von Erlefried Krobath

 

Schon in alter Zeit pflegte man verdächtige Personen, denen man Mord oder Totschlag nicht nachweisen konnte, an die Bahre des Getöteten zu rufen, weil man annahm, dass in Gegenwart des Täters die Wunden wieder aufbrechen würden. Dieser Schuldbeweis, Gottesurteil genannt, wurde sehr ernst genommen und wir können heute nur mit Schaudern an diese Art der Beweisführung denken, die auch in der Sage ihren Niederschlag fand. Selbst das Nibelungenlied lässt Hagen an die Bahre Siegfrieds treten:

 

„Das ist ein großes Wunder, wie es oft noch geschieht,

Wenn man den Mordbefleckten bei dem Toten sieht,

So bluten die Wunden, wie es auch hier geschah;

Daher man der Untat sich zu Hagen versah.“

 

Im Mittelalter war diese Prozessführung weit verbreitet. Beim „Bahrgericht“ handelte es sich um eine Art der früheren Gottesgerichte, es wurde nur angewendet, wenn ein Beweisnotstand vorlag. Das Bahrgericht sah vor, dass der Beschuldigte die Wunden oder auch den Nabel des Getöteten berühren und dabei eine Formel sprechen musste. Bluteten die Wunden oder zeigte sich am Munde des Toten Schaum, war der Schuldbeweis erbracht, zumindest aber erschien der schwere Verdacht bestätigt. Nach Ansicht mancher Rechtsgelehrter dieser Zeit war dann zur endgültigen Feststellung der Schuld, der Verdächtige noch einer Folterung zu unterwerfen. Im fränkischen Recht bestand für diese Art der Beweisführung sogar ein eigenes kirchliches Ritual.

Das Bahrrecht (jus feretri, jus cruentationis) wurde von manchen Gerichten bis ins 17. Jahrhundert zur Überführung von Mördern und Totschlägern angewendet. In Steyr geschah dies letztmalig gegen Ende des 16. Jahrhunderts.

Am 10. Jänner 1580 war Hanns Kofler, ein Bruder des einstigen Stadtschreibers Wolff Kofler in seinem Hause in der Kirchengasse mit zerschmettertem Kopfe und durchschnittener Kehle aufgefunden worden. Neben ihm, inmitten der Stube, lag seine alte Haushälterin, der der Mörder ebenfalls tödliche Wunden zugefügt hatte. Trotz eifriger Nachforschungen durch das Stadtgericht konnte der Täter nicht ermittelt werden. Nach einigen Tagen jedoch fiel der Verdacht, dieses Verbrechen begangen zu haben, auf den Tuchscherer Sebastian Sallmayr, der am Mordtag mittags von Kofler zu einem Blutwurstgericht eingeladen worden war. Obwohl sich im Laufe der Untersuchung herausstellte, dass die Haushälterin nach dem Mittagessen am Mordtag noch die Kirche besuchte und Sallmayr zu dieser Zeit schon wieder nachhause gegangen war, hatte er sich über Befehl des Stadtgerichtes vom Verdachte des vorsätzlich begangenen Mordes „vermittelst angestellten Bahr-Rechtes zu purgiren und reinigen.“

Am frühen Morgen des 16. Jänner wurden die Leichen der Ermordeten auf Bahren in den Hof der heutigen Dominikanerkirche gebracht, wo sich die Ratsherren und das Stadtgericht versammelt hatten. Hier hatte Sallmayr den ihm vom Stadtrichter Adam Pfefferl vorgesprochenen nachfolgenden Eid zu leisten: „Ich schwöre bei dem allmächtigen Gott, dass ich an der Entleibung dieser beiden Personen, deren Körper allda zugegen, unschuldig bin, und dazu weder mit Rath noch That geholfen, oder einiges Wissen darum habe, als wahr mir Gott helfe, und das Leiden Christi.“ Nach Leistung dieses ersten Teiles des Schwures wurden die beiden bedeckten Leichname von den anwesenden Badern an den Stellen, die die tödlichen Wunden aufwiesen, abgedeckt. In diese Wunden musste Sallmayr nun Zeigen und Mittelfinger der rechten Hand legen und den zweiten Teil der Eidesformel nachsagen: „Wo ich aber mit oder bei dieser Entleibung, es sey mit eigener That oder Anweisung, verwandt gewesen, oder hiervon das geringste Wissen habe, so rufe ich hiermit an die heil. Dreifaltigkeit, Gott Vater, Sohn und heil. Geist, als die einige und höchste Wahrheit, dass sie, zur Erforschung des wahren Grundes dieser Mordtat aus Gnaden schicken wolle, dass diese Leiche, zur Rache und Vollziehung der göttlichen Gerechtigkeit, ein öffentliches Blutzeichen von sich scheinen lassen und geben wolle, Amen!“

Als nach dieser Anrufung Gottes keine Blutzeichen erfolgten, wurde Sallmayr vom Stadtgerichte als unschuldig an dem Mord erklärt und von der „gefaßten Jnzicht losgesprochen“.

Viele Jahre später erst, als die zur Zeit des Mordes lebende Generation bereits der kühle Rasen deckte, wurde in einem Anmerkbuch des verstorbenen protestantischen Magister Joachim Müller verzeichnet gefunden, dass der Täter ein Nachbar des Ermordeten war. Er hatte dem „Purgationsprozeß“ Sallmayrs zugesehen, war dem Leichenzuge als Trauergast gefolgt und hatte überdies der Leichenpredigt beigewohnt. Mit tiefer Reue hatte er später dem Pfarrer den Mord einbekannt.

 

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 20, April 1960

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