Das lange Geld

(Notzeiten zu Beginn des 30-jährigen Krieges)

Von Caecilia Doppler

 

Wirtschaftliche und politische Nöte sind Fakten, die die Menschheit seit ihrem Beginn in elementarer Weise beschäftigen. So ist in einem Großteil der heutigen Bevölkerung die Erinnerung an derartige schwierige Zeiten noch sehr lebendig; es ist daher durchaus aktuell einmal auch eine wirtschaftliche Notzeit näher zu beleuchten, die schon mehr als dreihundert Jahre zurückliegt. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Erscheinung des „Langen Geldes“ (Inflation), von der die Eisenstadt zu Beginn des dreißigjährigen Krieges in den Jahren 1619 — 1624 aufs schwerste heimgesucht wurde.

Glücklicherweise ist die Heimatforschung auf Grund der genauen Darstellungen in den Annalen des Schulmeisters Wolfgang Lindner und der Chronik des Färbers Jakob Zetl in der Lage, nicht nur die Inflation, sondern auch die Preise auf dem Lebensmittelsektor (Getreide, Wein, Fleisch) für den angegebenen Zeitraum genau zu rekonstruieren. Das folgende, aus diesen Angaben erstellte Diagramm spart viele Worte und zeigt den Verlauf des wirtschaftlichen Geschehens sehr deutlich.

Betrachten wir nun die Entwicklung des Geldes, sehen wir, dass im Oktober 1619 erstmals ein Steigen des Gold- und Silbergeldes im Preis erfolgte: Ein Taler, der früher 12 Schilling galt, war nun 14 Schilling wert, im Jahre 1621 betrug die Entwertung des Geldes bereits 78 %. Vom darauffolgenden Jahr berichtet der Chronist „In diesem Jahr hat sich daß lange gelt angefangen, ist in allen Münzbenkhen lauther schlechtes gelt, alß goldiner Zwelffer, Vier und Zwainziger, Klaine Gröschl und Bayrische Landtmünz geprägt worden, da hat jedermann gelts genueg gehabt, Eß ist alle Sachen Theur worden, auch Kain guettes gelt Zu bekhommen gwest, also das die Leuth großen Mangel leiden muessen.“ Der absolute Höhepunkt der Geldentwertung, die äußerst explosiv erfolgte, war im April 1622 erreicht, als der Geldpreis 700 % über der Ausgangsbasis lag. Noch im Spätherbst desselben Jahres erging ein Befehl des Herzogs Maximilian von Bayern — er war Pfandinhaber des Landes ob der Enns — dass das Geld auf die „Hellfte deß Werthes herabfallen solle“; schon zu diesem Zeitpunkt wurden auch die geringeren Münzen in ihrem Wert auf die Hälfte reduziert, das Kupfergeld und die Bayrische Landmünze wurden völlig aus dem Geldverkehr gezogen und gleichzeitig verboten. Ein kaiserliches und ein bayerisches Patent regelten zu Pfingsten 1623 erneut die Geldverhältnisse durch die Bestimmung, dass eine Abwertung auf den vierten Teil erfolgen solle. Mit Herbst 1623 schien die Sanierung nach außen hin völlig durchgeführt zu sein: „In dissem Jahr hat man widrumben guetes gelt gemünzt, zu Salzpurg Reichthaller, halb Pazen, Kreuzer und Zwayer, sowohl auch zu Insprugg und Münichen. Zu Innsprugg Zehner, wie auch zu GraZ und Zu Wienn gar vill groschen von Herzog Leopold. So ist das lange gelt in den Münzbenkhen alles aussgewechselt worden.“

Ein abgerundetes Bild von der tatsächlichen Wirtschaftssituation kann jedoch erst durch die gleichzeitige Betrachtung der Entwicklung auf dem Lebensmittelsektor erreicht werden. Der Preisanstieg der Lebensmittel ist von Pfingsten 1619 bis Mai 1621 merklich höher als die Inflation. Die Zeit von Mai 1621 bis August 1621 bringt eine Wende in dieser Entwicklung und damit eine momentane, relative Verbilligung der Lebensmittelpreise. Zwischen August 1621 und Jänner 1622 scheint sich die Lage auf dem Geldsektor noch einmal geringfügig beruhigt zu haben, während die folgende Periode von Jänner bis April 1622 den absoluten Höhepunkt in Preisentwicklung und Geldentwertung mit sich brachte. Die Kulminationspunkte der Lebensmittelpreise liegen bei den Fleischpreisen (mit 400 %) im April 1622 sehr stark, bei den Getreidepreisen im Dezember 1622 (mit 42 %) mäßig und bei den Weinpreisen im März 1620 (mit 402 %) am höchsten über dem Faktor der Geldentwicklung. Das Ende der Phase des „Langen Geldes“ zeigt eine typische Situation, die nach jeder Inflation eintritt: Während der Wert des Geldes seine Ausgangsposition erreicht hat und somit in ein Stadium der Stabilisierung eingetreten ist, bleiben die Preise der Nahrungsmittel weiterhin — im Vergleich zum Ausgangspunkt — mit 140 % (Getreide), 100 % (Fleisch) und 60 % (Wein) stark überhöht, während das Lohnniveau nur sehr geringfügig um durchschnittlich 25 % angehoben wurde.

Aus den Angaben der zeitgenössischen Geschichtsschreibung lässt sich, wie die oben gebrachte Darstellung beweist, sehr leicht ein Bild entwerfen, das heutigen Vorstellungen von wirtschaftlichen Vorgängen sehr klar entspricht. Zum Abschluss soll jedoch auch das menschliche Elend zur Sprache kommen, das als Folge verschiedenster ungünstiger Konstellationen, die einstmals reiche Eisenstadt heimsuchte. Sehr eindringlich schildert uns der Färbermeister Zell in seiner Chronik die traurige Lage der Steyrer: „Eß ist ein so Muehsamb Theure Zeit gewesen, daß afftermahls Morgens Fruehe bei hundert Persohnen vor einem Brodt Laden gestanden und auf Broth gewartet haben.“ Die Lebensmittelknappheit griff immer mehr um sich, sodass nicht nur in Steyr, sondern auch „in Linz und anderswo in Österreich kaum das Nötigste zu bekommen war“; nicht einmal auf dem berühmten Bartholomäusmarkt in Linz wurde Brot verkauft, von anderen Dingen war überhaupt nicht zu reden. Bekannt ist auch der Bericht Zetls über die Weihnachtszeit 1622, der zeigt, dass gerade die Sanierung des Geldes, die selbstverständlich nicht eine sofortige Preissenkung der Lebensmittel zur Folge hatte, sich äußerst katastrophal auswirkte: „auf dieses angeschlagene Patent aber wurde die Noth noch größer, dan der Mezen Khorn stige auf 24 fl und wardarzue nicht zu bekhommen, sowohl auch daß Fleisch; wer nicht Reichstaller hatte, der bekhombe kein Fleisch. Eß ist kein ainicher Fleischhakker herein in die Statt gefahren, sondern es seindt die Leuth selber auf Sierning, in die Rämbing, in den Stainbach, auf die Straß und auf Ternberg gangen und haben das Fleisch geholt, eß ist auch kain Wochenmarkht gewesen, Kain Paur hereingefahren, die Purger haben den Paurn Sibergschmeid, Züngschier, Pethgewandt und andere Mobilien hinausgetragen und umb getraydt geben; nach deme aber daß gelt halben Thaill herabgefallen, ist mancher in großen Verlust kommen, welcher Zwar vill gelt beysamben gehabt, und ihne seine gelter im langen gelt bezahlt worden, ist ihme zu disser Zeit der halbe Thaill darauß worden.“

Zieht man nun alle Faktoren eines zunehmenden Wirtschaftsruins in Rechnung, wird es klar, dass nur mehr ein Anstoß genügte, das einst blühende Wirtschaftsleben der Eisenstadt endgültig zu vernichten. Dieser Anstoß war gegeben, als nach der letzten großen Auseinandersetzung mit den Bauern, einige Jahre später verschiedene landesfürstliche Patente die reichsten Bürger wegen ihrer religiösen und teilweise auch politischen Haltung aus der Vaterstadt und dem Land ob der Enns wiesen.

 

Benützte Quellen:

1.) Aus dem Stadtarchiv Steyr:

  1. a) Ratsprotokolle 1619 — 1624
  2. b) Lebensmittelpreise 1623 — 1722

Kasten IV/Lade 2/Nr. 4142 — 4172

2.) Lindner, Wolfgang: „Annalen 1590 — 1622“

herausgegeben von Konrad Schiffmann in: „Archiv für die Geschichte der Diözese Linz“, Jg.VI/VII (1910). Zur vorliegenden Arbeit wurden Lindners „Annalen“ in einer deutschen Übersetzung von Herrn Josef Moser (Steyr) verwendet, dem ich an dieser Stelle für die freundliche Bereitstellung seiner mühevollen, gut gelungenen Arbeit herzlich danke. Die Seitenverweise beziehen sich auf das noch ungedruckte Manuskript des Übersetzers.

3.) Zetl, Jakob: „Die Chronik der Stadt Steyr 1612 — 1635“ (revidiert und redigiert von L. Edlbacher) JB Mus V. XXXI11/1878.

 

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 29, Oktober 1969

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