Beiträge zur Geschichte des Kollegiums S. J. in Steyr 1632 – 1773

Von Josef Fröhler

 

Teil I

Bedeutende Jesuiten, die in Steyr wirkten

Vorbemerkung

Es kann heute als unbestritten gelten, dass der Jesuitenorden seit seiner Gründung im Jahre 1540 eine große Anzahl bedeutender Männer auf nahezu allen Gebieten der Wissenschaft hervorgebracht hat. Auch für das Kollegium SJ in Steyr kann auf Grund der nunmehr für den Berichtszeitraum 1632 – 1773 mit Ausnahme des Jahres 1672 vorliegenden Personallisten (Catalogi breves Provinciae Austriae Societatis Jesu) leicht der Nachweis erbracht werden, dass eine beachtliche Anzahl von Jesuiten, die nachmals hervorragende Männer der Wissenschaft wurden, hier im Zuge ihrer Ausbildung als „Magistri“ oder Professores wirkte, oder als Patres mit bereits gefestigtem Ruf als Wissenschaftler in der Schule oder in der Seelsorge tätig waren. Zur ersten Gruppe zählen vor allem die Lehrer des Gymnasiums, die allerdings in vielen Fällen kaum länger als ein Jahr die gleiche Klasse unterrichteten. Dennoch dürften auch sie nicht ohne Einfluss auf ihre Schüler geblieben sein. Ein beweiskräftiges Beispiel hierfür liefert Johannes Christoph Abele von Lilienberg, der es als ehemaliger Schüler des Steyrer Gymnasiums zum kaiserlichen Geheimrat brachte und aus Dankbarkeit für die genossene Ausbildung 1678 zunächst fl 3000 und, als diese Summe sich als nicht ausreichend erwies, zwei Jahre später weitere fl 1100 zur Errichtung eines neuen Schulgebäudes stiftete. Ungleich stärker war jedenfalls der Einfluss der Priester, die ja meist mehrere, oft sogar viele Jahre als Schulpräfekten, Seminarregenten oder Präsides der vier Kongregationen, die sie in Steyr unterhielten, wirkten. Darüber hinaus bot sich ihnen als Prediger und Katechet, als Betreuer von Alten, Kranken und Eingekerkerten wohl reichlich Gelegenheit, ihren Einfluss geltend zu machen.

Im Folgenden wird nun versucht, einige dieser Personen herauszugreifen und ihr Leben und Werk, soweit den oft spärlichen Quellen Nachrichten über sie entnommen werden können, in groben Strichen aufzuzeichnen. Wohl findet sich so mancher Name bereits in Sammlungen von Biographien, wie z.B. in Wurzbachs Biographischem Lexikon, Stoegers „Scriptores“ oder J. Schmidts „Kunstchronik der Stadt Linz“, jedoch ist in den seltensten Fällen ein Hinweis darauf zu finden, dass der Betreffende auch in Steyr tätig war und auch das kulturelle Leben dieser Stadt bereicherte. Dies dürfte nicht allein dem Umstand zuzuschreiben sein, dass dieses Kollegium im Vergleich mit Wien oder Graz zu den kleineren und weniger bedeutsamen Instituten der Provinz zählte, sondern wohl auch der Tatsache, dass die Geschichte des Kollegiums in Steyr bis in die jüngste Zeit hinein wenig Beachtung gefunden hatte.

Dass unter den Jesuiten so vielseitig wissenschaftlich tätige Personen zu finden sind, ist wohl in erster Linie auf die gründliche, 15 bis 16 Jahre dauernde Ausbildung zurückzuführen, die jeder Ordensangehörige zu durchlaufen hatte. Eine so lange Ausbildungszeit gab es in keinem Orden. Sie bot aber jedem einzelnen Ordensmitglied die Möglichkeit, sich entsprechend seinen Interessen und Fähigkeiten den verschiedensten Disziplinen zu widmen. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass unter den in nachstehender Abhandlung angeführten Personen nicht nur Theologen, Philosophen und Dichter zu finden sind, sondern auch Philologen, Historiker, Geographen, Astronomen, Mathematiker, Numismatiker usw. In dieser umfangreichen Ausbildung ist auch der Grund für das meist sehr segensreiche Wirken der Jesuiten in der Seelsorge und in der Schule, für ihre Berufung als Berater, Prediger und Beichtväter an die Fürstenhöfe zu suchen. Sie stellte zugleich neben einer Reihe vieler anderer auch eine der Ursachen dar für die im 18. Jahrhundert beginnende Anfeindung von weltlicher und kirchlicher Seite, die letztlich 1773 zur Auflösung des Ordens führte.

Da eine eindeutige Zuordnung der angeführten Personen zu einem einzigen Wissensgebiet in den seltensten Fällen möglich ist bzw. viele der Genannten mehreren Wissensbereichen zuzuordnen gewesen wären, wurde für die Biographien die alphabetische Anordnung gewählt, die auch ohne Register ein rasches Auffinden der gesuchten Person gewährleistet. Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben werden, dass die Aufzählung keineswegs alle Personen erfasst, die in Steyr Bedeutendes geleistet haben. Sie muss sich vielmehr auf jene beschränken, deren Wirken durch hinterlassene Druckwerke und Manuskripte erfassbar ist, oder die als Beichtväter, Prediger oder Berater an Fürstenhöfen oder sonst wie eine besondere Bedeutung erlangten. Auch muss sich jede Biographie auf einige wesentliche Daten und Fakten beschränken, da die Arbeit sonst zu umfangreich geworden wäre. Sie soll und kann aber durch die Quellen- und Literaturangaben einen Anreiz bieten, die eine oder andere Persönlichkeit in einer ausführlichen Biographie zu würdigen.

Nach dem Namen werden jeweils die Geburts- und Sterbedaten sowie die Funktion(en) angegeben, welche der Betreffende in Steyr innehatte.

Das Eintrittsalter in den Orden wird zumeist nur dann vermerkt, wenn es nicht dem Regelfall (15 bis 17 Jahre) entspricht. Angaben zur Biographie und den Werken der einzelnen Autoren, die nicht anderweitig belegt sind, wurden dem Werk Stoegers „Scriptores“ entnommen.

Der Anmerkungsapparat wurde aus Gründen der besseren Übersicht für den Leser im laufenden Text nach jeder Biographie eingebaut, wobei nach Möglichkeit alle bisher bekannten Quellen sowie die vorhandene Literatur erfasst und allenfalls notwendige Berichtigungen oder Ergänzungen angebracht wurden.

ADAM Hermenegild,

* am 1. Juni 1692 in Meran, + am 13. März 1714 in Leopoldstadt, trat mit 19 Jahren in den Orden ein und wirkte fast sein ganzes Leben lang als Missionar in Kärnten, in der Steiermark und in Ungarn. In Steyr betreute er 1730 als Präses die Todesangstbruderschaft und das dritte Armenhaus (genannt „Herrenhaus“) und war gleichzeitig Seelsorger und Haushistoriograph1). In Tyrnau und Leopoldstadt widmete er sich den Pestkranken und starb schließlich selbst an der Pest. Von ihm stammen erbauliche Schriften in deutscher Sprache, so „Der leichte und der sichere Weg zum Himmel“(Augsburg 1733), mehrere Büchlein über die Jungfrau Maria und eine Reihe frommer Gebete, die er zur Zeit der Pest in Tyrnau verbreitete2).

  1. brev. Austr. 1730; Brandl 51; StR II, 181/6
  2. Stoeger 5
ADOLPH Johann Bapt.

* am 25. März 1657 in Liegnitz, + zu St. Anna in Wien am 14. September 1708, trat mit 20 Jahren in der österreichischen Provinz in den Orden ein, unterrichtete 1683 die Pa in Linz1), 1686 die Rh in Steyr, wo er gleichzeitig als Präses die Studentenkongregation betreute2). Sein eigentliches Talent als Dramatiker entfaltete er in Wien im Professhaus, wo er 13 Jahre lang „Auge und Ohr der kaiserlichen Herrschaften nicht allein auf der Bühne des Professhauses, sondern auch in deutschen Spielen bei den Nonnen an der Himmelpfortgasse erfreute“. Er wurde der „Abraham a Santa Clara auf der Schulbühne genannt, der gleich dem Prediger auf der Kanzel mit dem Hanswurst wetteifert in seinen Schauspielen, die durch derben kräftigen Humor und derbe deutsche Lieder die Gemüter erheitern sollten“3). Von ihm befinden sich 34 Dramenmanuskripte in der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek in Wien4). Zu den meisten seiner Stücke ist auch Musik vorhanden, welche der Kapellmeister des Professhauses Bernhard Staudt komponierte5). Ob und wie weit Adolph als Lehrer der Pa in Linz an der zum 1. Jänner 1683 vor dem Probst David Fuhrmann von St. Florian gegebenen theatralischen Aufführung beteiligt war, lässt sich nicht feststellen6). Es ist aber mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass er als Lehrer der Rh in Steyr bei den zwei für dieses Jahr genannten Aufführungen „Austria Excludit lugo Orientis Ungariam“ und dem Schäferspiel mit Musik und Tanz, welches dem Neo-Landeshauptmann Franz Joseph von Lamberg im Vorstadtgarten der Jesuiten aus dem Stegreif dargeboten wurde7), als „choragus“ (Regisseur) fungierte. Er gilt jedenfalls als einer der fruchtbarsten und erfolgreichsten Jesuitendramatiker der österreichischen Provinz. Darüber hinaus verfasste er drei historische Werke, von denen sich das eine mit der Geschichte der ungarischen Könige, das zweite mit der glorreichen Geschichte Leopolds I. in zwei Teilen beschäftigt, während das dritte historische Notizen über die römischen, griechischen und türkischen Kaiser enthält8).

  1. CSL 12a; Schard. 147
  2. brev. Austr. 1686; StR 1, 342/ 11
  3. Beide Zitate nach Duhr IV/2, 79
  4. Kurt Adel, Handschriften von Jesuitendramen in der Österr. Nationalbibliothek in Wien (In: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung. Bd. XII. Jg 1960), S. 86 ff, Nr. 3 – 36
  5. Nach Stoeger 6
  6. Bezüglich Aufführung vgl. LR C III C 2, 374
  7. LA 1686 (CVP 12227.2), fol. 187r+v. Vgl. auch J. Fröhler „Das Schuldrama der Jesuiten in Steyr (In: Oö Heimatblätter, Jg. 1958). S. 92, Nr. 40, 41
  8. Stoeger 6; Stoeger, Hist. 2; Schmidt 2, 195; ders. 3, 226. – Eine eingehende Würdigung der Werke Adolphs bei „Kurt Adel, Das Wiener Jesuitentheater und die europäische Barockdramatik“ (Wien 1960), S. 29 ff
ALBERTH Philipp

* am 16. Jänner 1663 in Wien, + ebd. am 15. April 1709, unterrichtete 1670 in Steyr die Rh1) und war 1675 hier als „Minister“ und Katechist tätig2). Von ihm stammen mehrere Manuskripte rechtspolitischen und historischen Inhalts, die in der Handschriftensammlung der ÖNB aufbewahrt werden3).

  1. StR I, 233/9; Brandl 51
  2. StR I, 257/2; Brandl 51
  3. Stoeger 8
AMIOLL (Amiodt) Stephan

* am 22. Dezember 1676 zu Fülekini, + zu Wien am 13. Mai 1759, wirkte 1699als Lehrer der Pa und Pr in Steyr1). Drei Jahre lang war er als Beichtvater der Erzherzogin Elisabeth, Tochter Leopolds I., in Wien tätig und begleitete sie auch nach Brüssel, als sie dort die Regentschaft übernahm. Zwanzig Jahre hindurch unterstützte er sie mit Rat und Tat und trug wesentlich zur Festigung der katholischen Religion sowie zur Zurückdämmung des Jansenismus bei. Von ihm stammt eine Reihe lateinischer Schriften, die teils im Druck erschienen sind, teils als Manuskripte in der Handschriftensammlung der ÖNB aufbewahrt werden. An Druckwerken zählt Stoeger2) auf: „Exercitationes Theatrales scholarum Viennensium“ (Wien 1709); „Germania vetus selectis quaestionibus illustrata“ (Wien 1712); „Germania in naturae opibus admiranda“, drei Teile (Wien 1713); „Eucharisticon honori Divi Joannis Nepomuceni concinnatum“ (Wien 1744). Die Manuskripte sind zumeist polemische Schriften, die gegen die Jansenisten gerichtet sind.

  1. StR I, 421/12
  2. Stoeger 10; vgl. auch Duhr IV/2, 4542.
APERG (Aberg) Adam

* am 21. Oktober 1607 in Wien, + in Klagenfurt am 14. August 1666, trat erst im Alter von 36 Jahren bei den Jesuiten ein, unterrichtete 1650 in Linz die Pa, 1651 die Pr1), und 1654 in Steyr die Ps2). Von ihm wird berichtet, dass er während seines Noviziates, als der Schwede bereits die Donau besetzt hatte, von der ihm gebotenen Möglichkeit wegzugehen keinen Gebrauch machte3). In Graz unterrichtete der Freiherr jahrelang die Unterklassen, dann hauptsächlich die Rh4) und lehrte schließlich Philosophie in Klagenfurt. Während seines Grazer Aufenthaltes erschienen von ihm folgende lateinische Werke im Druck: Das Mariengedicht „Lilium inter spinas, a lacte Virginis candidum, a sanguine Agni rubrum“ (Graz 1660), das epische Gedicht „S. Joannes“ (Graz 1660) und schließlich „Euryalus, amicus fortunatus laureatae sapientiae Graecensis Athenaei“ (Graz 1661)5).

  1. CSL 12a; LR .C III C 1, 391 / 15; LR C III C2, 1/ 15; Schard. 148und 183, der Aperg auch als Lehrer der Ps für 1654 in Linz ausweist; dieser ist jedoch in der Personalliste für Linz nicht enthalten.
  2. LR C III C 2, 31, Kolb 63
  3. StR I, 172/10
  4. Stoeger 13
  5. Peinlich 1869/60, 84; 1870/63
  6. Stoeger 13; Schmidt 2, 139; ders., Lai. Linz 216; Rill, Das Linzer Kolleg im Spiegel der Literae Annuae (In: Jahrbuch der Stadt Linz 1954), S. 411
APFALTRER Ernst, Freiherr von 

* am 19. Juni 1701 in Laibach, + zu Steyr am 14. Oktober 1767, trat mit 17 Jahren in den Orden ein, unterrichtete von 1725 bis 1727 in Graz die Pr, Gr und Sy2), 1728 die Ps in Steyr3), wirkte als Priester in Passau, Laibach, Tyrnau und schließlich in Wien, wo er zum Dr. theol. promoviert wurde und mehrere Jahre Dekan der Philosophischen Fakultät war und Kasuistik sowie Kirchenrecht las. Wegen seiner ökonomischen Fähigkeiten wurde er Regens des Konviktes in Graz, dann der Seminare in Passau und Laibach, deren Vermögen er bedeutend vermehren konnte. Er wirkte als Superior der Residenz Marburg, wurde dann Rektor in Laibach4), Ödenburg und Steyr, wo er allerdings nur kurze Zeit, nämlich vom 7. März 1767 bis zu seinem Tode, wirken konnte. In diesem knappen halben Jahr ließ er die beiden Türme der Kirche um 5 Fuß erhöhen, das Dach mit Kupfer eindecken, den vom Holzwurm zerfressenen und verfallenen hölzernen Hochaltar aus Stein wieder aufbauen5). Er hatte das umfangreiche Werk „Scriptores Universitatis Viennensis ordine chronologico praeposito. Pars 1. Saeculum 1. ab origine usque ad annum 1463“ begonnen, das in Wien gedruckt wurde6). Fortgesetzt wurde diese Arbeit von P. Kajetan Rechbach, der 1737 – 1739 am Linzer Lyzeum lehrte7), P. Karl Dolenz und Joseph Carl9).

  1. Aus der gleichen Familie stammen zwei weitere Jesuiten, von denen Leopold besonders erfolgreich
  2. Peinlich 1869/60, 104, 105
  3. Brev. Austr. 1728; StR II, 168/ 13, 540/ 1, 547
  4. Peinlich 1871/69, 1872/77
  5. Duhr IV/1, 3961: Rektor vom 28. Mai 1759 bis 1. Jänner 1763
  6. brev. Austr. 1767 (CVP 12161), fol. 76v, 77r; Duhr IV/ 1, 3834; zur Biographie vgl. auch
  7. Wurzbach 22, 466; Brandl 51
  8. Stoeger 13
  9. Lenzenweger 71; LR C III C 3, 522/ 5, 540/5, 561 /5
  10. Zu Dolenz: vgl. Stoeger 63, zu Carl: Stoeger 44
AUER Anton

* am 7. Juni 1729 in Radkersburg, + 1800 in Fünfkirchen, unterrichtete 1754 in Steyr die Ps und Rh1). Nach dem Studium der Philosophie in Wien und der Theologie in Tyrnau wirkte er als Katechet und Missionar an verschiedenen Orten Deutschlands und Ungarns mit großem Erfolg. Nach der Aufhebung des Ordens wurde er Militärseelsorger in Kroatien, nahm am Türkenkrieg teil und wurde schließlich Ehrenkanonikus von St. Pölten. Von ihm stammt ein Band deutsch geschriebener und im Druck veröffentlichter Soldatenpredigten, sowie eine eucharistische Predigt, die er 1789 zu Gradisca in der Provinz Görz gehalten hatte2).

  1. brev. Austr. 1754: StR II, 377/10
  2. Stoeger 16
BANDEZ Ludwig

* am 24. August 1654 in Graz, + 28. Juli 1702 in Italien, war erst mit 18 Jahren in den Orden eingetreten und unterrichtete 1682 in Steyr die Rh1). Als Profess der vier Gelübde lehrte er an Gymnasien und predigte u. a. in Graz2) und Wien mit großem Erfolg. Die Theaterstücke, die er im Professhaus in Wien vor dem kaiserlichen Hofe aufführte, gefielen dem Kaiser so gut, dass dieser ihn mit einem wertvollen Geschenk bedachte. Schließlich wurde er ins kaiserliche Lager nach Italien versetzt, wo er bereits im Alter von 48 Jahren von einer tödlichen Krankheit dahingerafft wurde. Er verfasste die Schrift „Passio Christi, Magistra luctantis ad coronam Christiani, centum mysteriis ac totidem monitis fructuose ruminandis illustrat“3).

  1. StR 1, 304/12
  2. Peinlich 1869/60, 1872/28
  3. Stoeger 21
BANDIAN Johann Nep.

* am 3. Mai 1724 in Wien, + 1799, wirkte 1756 und 1773 in Steyr als Prediger und Schulpräfekt1). Er war offenbar ein anerkannt guter Prediger, denn er übte dieses Amt bis zu seinem Tode aus, u. zw. an verschiedenen Orten der österreichischen Provinz, darunter auch 1762 in Linz, wo er gleichzeitig Präses der Todesangstbruderschaft und Gefangenenseelsorger war2). Von ihm erschien im Druck eine Festpredigt auf den hl. Vinzenz Ferrer, die er 1761 in der Dominikanerkirche zu Krems gehalten hatte3).

  1. brev. Austr. 1756, 1773; Brandl 52; StR II, 407/9, 600/ 10
  2. LR C III C 4, 832/21
  3. Stoeger 21
BARBOLAN Johannes

* am 2. November 1695 in Eisenerz, + am 20. Feber 1767 in Wr. Neustadt, war in Steyr vom 20. Dezember 1735 bis zum 29. Oktober 1738 Rektor und Schulpräfekt1). In dieser Funktion ist er bereits 1735 in Linz zu finden2), in der des Rektors in Wr. Neustadt vom 4. Oktober 1751 bis 8. Jänner 17553). Er lehrte in Graz Philosophie4), dann an verschiedenen Orten Theologie, so auch 1734 und 1735 in Linz5). Von Steyr wurde er an den Hof der Kaiserin Elisabeth berufen, wo er 13 Jahre lang als Beichtvater tätig war. Er tat sich sowohl als Historiker wie auch als Dichter hervor. In jener Eigenschaft gab er die Werke „Ortus et progressus Aedium Religiosarum Viennensium“ (Wien 1727) und „Successio genealogica S.R.I. Principum“ (Laibach 1732) heraus, in dieser veröffentlichte er das elegische Gedicht „Litigia poetica“ (Wien 1726) und „Amicitia vindicata“ (Laibach 1732)6).

  1. brev. Austr. 1737, 1738; Duhr IV/ 1, 3834; Brandl 52; StR 11, 217/ 1, 224/1
  2. 146; LR C III C 3, 498/10
  3. Duhr IV/ 1, 3721
  4. Peinlich 1869/ 60, 1871/69, 1872/29
  5. Lenzenweger 78; LR C III C 3, 481/12, 498/10, 509/10
  6. Stoeger 21 f.; Stoeger, Hist. 10. – Vgl. auch Schmidt 2, 91

Teil III

Die Übertragung der Gebeine des Hl. Gliolaphus nach St. Michael in Steyr

Die Jesuiten, die am 3. November 1632 in Steyr eine Residenz eröffnet hatten1), waren natürlich sehr bemüht, ihren Auftrag, die vom katholischen Glauben Abgefallenen wieder in den Schoß der Kirche zurückzuführen, nach besten Kräften zu erfüllen. Diesem Zwecke dienten auch kirchliche Feiern jeder Art. Da die ihnen zur Benützung zugewiesene Spitalskirche sehr bald zu klein wurde, waren sie bestrebt, möglichst bald eine eigene Kirche zu erhalten. Das Anfangskapital für den Bau stiftete Johannes Udalrich Eggenberg, Herzog von Krummau, indem er ihnen 10.000 fl aus der Schuld des Landes Oberösterreich zedierte. So konnten sie kaum drei Jahre nach ihrer Ankunft in Steyr am 29. September 1635 feierlich den Grundstein zur eigenen Kirche legen und den Bau trotz der Wirrnisse des 30-jährigen Krieges und des immer noch vorhandenen Widerstandes vieler Bürger, die insgeheim immer noch der lutherschen Lehre anhingen, soweit fortführen, dass er am 8. Dezember 1648 im festlichen Rahmen geweiht und seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Es ist nur zu verständlich, dass man gerade diesen Anlass zu einer großen kirchlichen Feier benützte, die in die Öffentlichkeit wirken und möglichst viele Neugierige anziehen sollte. Die Weihe der Kirche nahm Bischof Udalrich von Lampsacum vor, der Suffragan des Passauer Bischofs Erzherzog Leopold. Bei der Weihe assistierten ihm die Prälaten von Gleink, Garsten und Seitenstetten, sowie der Erzdechant von Lorch2).

Knapp ein Jahr später bot sich wieder eine günstige Gelegenheit, eine große öffentliche Feier zu begehen, als man die Gebeine des hl. Märtyrers Gliolaphus in die Kirche St. Michael übertrug. Über diese Festlichkeit berichtet der Chronist des Kollegs folgendes:3)

„Als Höhepunkt fügen wir die Übertragung des hl. Märtyrers Gliolaphus an, welcher unserem Kolleg von Rom übersandt wurde. Sie fand im Monat September am Tage des hl. Apostels Matthäus4) statt.

Bericht über den Vorgang, bei welchem die von Rom übersandten Reliquien des hl. Märtyrers Gliolaphus in unsere Kirche übertragen wurden

Dass man aus der Stadt5) Reliquien für die neue Kirche erbeten hatte, die, wie wir berichteten, im Vorjahr geweiht worden war, wurden vom Adm. Pater Provinzial verschiedene, insbesondere aber jene übersandt, die der Assistent P. Florentius Montmorency aus dem Cemeterium der hl. Priscilla vom Stellvertreter Sr. Heiligkeit, Sr. Eminenz Kardinal Ginetto erhalten hatte: die des hl. Gliolaphus. Um ihn zur öffentlichen Verehrung aussetzen zu können, war die Ermächtigung des zuständigen Bischofs erforderlich. Diese wurde bei Sr. Durchlaucht Erzherzog Leopold6) erbeten, der aber, da er wegen Regierungsgeschäften in den belgischen Provinzen längere Zeit abwesend war, sich vertreten ließ. Mit dieser Aufgabe betraute er den hochwürdigsten Prälaten Matthias (Gatter), Propst der regulierten Chorherren von St. Florian, der durch seine Anwesenheit diesem Akt das erforderliche Gewicht verleihen sollte. Für den feierlichen Aufzug wurde der Tag des hl. Apostels Matthäus7) bestimmt. Also wurde am Vortag der Schrein, welcher die hl. Überreste enthielt, mit einem zweirädrigen Karren vom Kolleg in die Stadtpfarrkirche gebracht, von wo aus er am folgenden Tage in feierlichem Ritus in unsere Kirche eingeholt wurde. Die Vigil wurde unter großem Zustrom aller Stände beim Klange von Trompeten abgesungen. Am folgenden Tag aber war der Zustrom an Menschen, die vom Glockengeläute angelockt wurden, noch weit größer. Die Feier begann um acht Uhr vormittags mit dem Absingen der Hymne an den HI. Geist unter Musikbegleitung. Dann wurde die Prozession in folgender Ordnung aufgestellt: an der Spitze die Insassen der 4 Bürgerspitäler, die es in dieser Stadt gibt, die unter der Leitung von Unsrigen unter verschiedenen Fahnen gingen und den Rosenkranz der seligsten Jungfrau beteten, Männer und Frauen abwechselnd. Diesen folgten die Knaben und Mädchen der Trivialschulen, welche das dem hl. Märtyrer zu Ehren neulich herausgebrachte Lied in der Volkssprache sangen. Ihnen schlossen sich die 22 Zünfte der Handwerker an, jede mit der zugehörigen Fahne in Gruppen eingeteilt, denen ihre Vorsteher jeweils mit einer brennenden Kerze in der Hand vorangingen. An diese schloss sich unsere Schule nach Klassen und Fahnen gegliedert an. Dahinter ging zunächst die lateinische Kongregation, weil die ja aus der Schuljugend besteht, dahinter die Bürgerkongregation. Unter diese gemischt gingen auch andere angesehene Männer, die alle mit ihren Kerzen und den Fahnen einen prächtigen Anblick boten. Dahinter kamen die Ordensfamilien: die Kapuziner des hl. Franziskus, die Dominikaner und die Benediktiner aus dem benachbarten Kloster Garsten, angetan mit weißen Rochetten und Stola. Dem hl. Schrein, welcher von vier Priestern auf den Schultern getragen wurde, ging der Chor der Musiker voran, der lieblich sang oder musizierte. An den Seiten schützten den Prozessionszug lanzenbewehrte Soldaten aus der Bürgerschaft, die von da aus den Knaben beistanden, die Engel trugen. Als nächster folgte der Hochwürdigste Prälat mit dem Klerus in glänzender Pracht. Das Traggerüst war so konstruiert, dass die Tumba, welche die heiligen Überreste barg, auf den Schultern von vier Engelsstatuen ruhte. Darauf standen noch zwei weitere, die – ein erfreulicher Anblick – nach Art der Triumphierenden Lorbeerkränze vorantrugen. Dem in dieser Ordnung voranschreitenden Prunkzug folgte als Nachhut eine Schar von Männern und Frauen aller Stände, darunter der hochwürdigste Abt von Garsten, der hochedle Graf von Sprinzenstein, Hauptleute mit ihren Offizieren, dann der Rat der Stadt mit einer so großen Zahl Volkes, dass die zwei Kirchen8), ansonsten ausreichend geräumig, kaum zwei Drittel fasste, ein Drittel aber ausschloss. Als dieser festliche Triumphzug über den Marktplatz zog, standen hier Reiterabteilungen in Reih und Glied, die sich in Steyr unter dem Kommando Sr. Exzellenz Johannes lvertius im Winterlager befanden. Beim Anblick des hl. Schreines brachten sie ihre Huldigung durch eine Gewehrsalve zum Ausdruck; ihnen antworteten auf gleiche Weise Kriegsgeschütze, die auf dem (die Kirche) überragenden Abhang aufgestellt waren. Und das wiederholte sich während der Prozession ein zweites und drittes Mal. Sobald der Zug in der neuen Kirche angekommen und die heilige Last auf dem Hochaltar abgestellt worden war, wurden die Zuschauer allseits von verschiedenen Bildwerken und Symbolen gefesselt, welche den Altar als Bilder, teils als Statuen schmückten. Vier mit Blütentrauben geschmückte Säulen ragten hervor, auf welchen ebenso viele Statuen standen, welche die theologischen Tugenden mit der Tapferkeit darstellten, die Kennzeichen des Märtyrers. Die Basen der Säulen trugen vier als Statuen geformte Engel, gleichsam Herolde des Sieges. In der Mitte sah man auf der einen Seite eine Gartenlandschaft, die sich durch eine Vielfalt von Blumen auszeichnete und von goldenen Fesseln mit dem Spruch umgeben war: „A vinculis decorem“ (Von den Fesseln die Anmut); auf der anderen Seite sah man eine Palme, die sich von der Erde zum Himmel reckt und von einer aus den Wolken ragenden Hand mit wütendem Beil ihrer Zweige entblößt wird; diese aber verwandeln sich schließlich in Lorbeerkränze mit unterlegter Inschrift „Caesa triumpho“ (Für den Sieg gefällt). Die Mitte des Aufbaues enthielt die kurze Begründung für den Triumphzug des Märtyrers: „S. Gliolaphus, olim Romanus, nunc Austriacus“ (HI. Gliolaphus, einst Römer, nun Österreicher). Unter diesem vom Deckengewölbe herabhängenden Weihespruch befand sich folgendes Emblem: Ein Phönix, die Flügel gleichsam wie zum Fluge ausgespannt, saß auf einem brennenden Scheiterhaufen, den vom HI. Geist von oben ausgesandte zuckende Strahlen entzündeten mit nachfolgender Inschrift: „Non poterat fato nobiliore frui“ (Eines edleren Schicksals konnte er sich nicht erfreuen). Diese Fläche stand auf dem Tabernakel auf unter Lorbeerblättern, die sich zu einem Netz erhoben. Als die Prozession unter dem beschriebenen Ritus beendet war, wurden die aus Rom übersandten Urkunden vom Apostolischen Protonotar, dem Stadtpfarrer9), öffentlich verlesen und dem Volke erklärt; dann wurde ein freier Platz geschaffen und alles wurde gezeigt, wie es in den Briefen enthalten war, vor allem der Schädel des Märtyrers, dann größere und kleinere Knochen mit Überresten, die einzeln in Baumwolle und Seide eingewickelt waren, schließlich eine Glasflasche, reichlich angefüllt mit dem Blute des Märtyrers. Als die heiligen Requisiten ausgewickelt wurden, strömten sie zur Verwunderung der Umstehenden einen wunderbaren Duft aus, obwohl nichts anderes an Duftstoffen da war. Nachher sprach ein Geistlicher von der Kanzel aus zum dicht gedrängten Volke, dann wurde ein feierliches Hochamt gesungen und mit dem Hymnus der Heiligen Ambrosius und Augustinus beschlossen. Die Zahl der Kommunikanten war ferner so groß, dass sie mit jener der größten Feste des Jahres wetteifern konnte. Und das nicht nur in einer Kirche; auch in der benachbarten Heilig-Geist-Kirche10) wurde bis zum Mittag Gottesdienst gehalten, zu welchem eine Menge Auswärtiger und Priester zusammenströmte. Nachdem die feierliche Vesper abgehalten worden war, wurde der Schrein wieder verschlossen, mit dem Siegel des Propstes11) versehen und für eine zur öffentlichen Verehrung günstige Zeit wieder verwahrt. Hier ist vor allem noch erwähnenswert, dass sich ihm wenige Tage zuvor ein Mädchen von 12 Jahren, welches von einem mit Steinen beladenen Wagen in schwerem Fall zu Boden gedrückt wurde, durch ein Gelübde verpflichtete, sich alljährlich am Tag des hl. Märtyrers feierlich der Beichte und Kommunion zu unterziehen, wenn sie aus dieser Gefahr heil hervorginge. Dieses Gelöbnis löste sie, die schon für tot gehalten worden war, am Tag der Übertragung heil und unversehrt zum ersten Male ein. Ein anderer, dem mitgeteilt worden war, dass er durch Betrug um zwei Rinder gebracht worden sei, sich aber von der Festlichkeit nicht entfernen wollte, um das unrechtmäßig Entführte wieder zurückzuholen, vertraute auf den Heiligen, und nicht vergeblich: am nächsten Tage erhielt er beide zurück, das eine noch lebend, für das zweite wurde der volle Preis bezahlt.“

 

Soweit der Bericht des Annalisten. Vom Heiligen selbst, dessen Fest am 21. September begangen wird, weiß man nicht sehr viel. Seine Überreste wurden zusammen mit einem Glasbehälter seines Blutes in Rom im Cemeterium der heiligen Priscilla aufgefunden und vom Kardinal Ginetto ausgehoben. Dieser schenkte sie dann dem Assistenten der Gesellschaft Jesu in Deutschland, Florentius Montmorency, der gleichzeitig die Erlaubnis erhielt, die Reliquien weiterzuschenken und gegebenenfalls der öffentlichen Verehrung auszusetzen12). Wie wir aus dem Bericht der Litterae Annuae 1649 erfahren, waren diese Reliquien über den P. Provinzial der österreichischen Provinz im Zusammenhang mit der Weihe der neuen Kirche nach Steyr gekommen. Hier wurden sie später nach der feierlichen Übertragung nach St. Michael im Floriani-Altar (vom Kircheneingang erster Altar rechts) aufbewahrt, wo sie sich heute noch befinden. Von dem im Bericht genannten Lied, welches dem Märtyrer zu Ehren in deutscher Sprache herausgegeben und von den Schülern der Trivialschulen gesungen wurde, war bisher ebensowenig eine Spur zu finden wie von dem Büchlein, das 1650 über die feierliche Übertragung herausgebracht wurde13). Im gleichen Jahr, höchstwahrscheinlich am 21. September, dem Jahrestag der Übertragung und dem Festtag des Heiligen, nahm die studierende Jugend das Leben des Heiligen zum Thema einer „Endjahrskomödie“, bei der Maximilian, Graf Lamberg, die Prämien spendete14).

Wie dem Bericht des Annalisten entnommen werden kann, war die Übertragung der Gebeine dieses Märtyrers ein Ereignis, das keineswegs auf den eng umgrenzten, nicht pfarrlichen Seelsorgebereich des Jesuitenkollegs beschränkt blieb, sondern auf die ganze Stadt, ja sogar auch auf das Land hinauswirkte. Dazu trug sicherlich nicht zuletzt die sorgfältig geplante und mit großem Prunk durchgeführte Feier bei, die so recht dazu angetan war, den antithetischen Geist dieses Zeitalters zu dokumentieren: Leben ist Tod, Tod ist Leben. „Wie das Leben nur der Weg zum Tode ist, so ist der Tod auch erst das wahre Leben“15). Die Gebeine des hl. Märtyrers sind das sichtbare Zeichen der Vergänglichkeit dieser unserer Welt, dieses unseres Lebens. Sie sind aber auch Zeichen des Triumphes über den Tod, der ja nur Pforte zum wahren Leben in Gottes Herrlichkeit ist.

Ein zweiter Wesenszug des Barocks tritt bei dieser Feier deutlich zutage, nämlich „dass der Kunstwille in durchaus eigenartiger Weise unter Führung der Architektur alle Künste zusammenfasste, um ein als Einheit wirkendes Ganzes hervorzubringen“16). Und nach Cysarz17) dienten gerade die Jesuiten dem barocken Bedürfnis des Schauens und Staunens besonders erfolgreich, jedoch sei diese Spektakelgestaltung im allgemeinen nur ein Stück barocker Bildkunst, in der das Wort nur entbehrliche Hilfsdienste versah.

Wenn wir nun den Bericht unter diesen Gesichtspunkten betrachten, so stellen wir fest, dass auch die Jesuiten in Steyr diesem Zeitgeist in jeder Richtung huldigten, indem sie jede Gelegenheit wahrnahmen, der Schaulust und Sinnenfreude der Einwohner entgegenzukommen, um schließlich als Frucht solchen Tuns größere Erfolge in der Seelsorge zu erzielen, denn noch war die Lehre Luthers in der Stadt, insbesondere aber in deren Umgebung, sehr lebendig. So ist diese Feier nur eine von vielen. Sie wird vom Annalisten ausführlicher beschrieben, weil sie einen außerordentlichen Anlass hat18).

Ihr gesamter Ablauf ist außergewöhnlich dramatisch aufgebaut. Der Transport der Gebeine in die Stadtpfarrkirche am Vorabend und die feierliche Vesper bilden das Vorspiel, zu dem Musik und Gesang die Menschen anlockt und sie neugierig macht, was der nächste Tag wohl noch alles bringen mag. Und die Feier hält, was das Vorspiel versprochen hat: noch größer die Menge der Zuschauer, die in der St. Michaels- und Heilig-Geist-Kirche nicht Platz finden, noch größer die Zahl der Agierenden, noch größer der Prunk und der Aufwand. Jedoch spielt bei diesem „Drama“ das gesprochene Wort eine untergeordnete Rolle: Während der Prozession beten die Insassen der Bürgerspitäler den Rosenkranz, in der Kirche werden die Diplome aus Rom verlesen, welche die Echtheit der Gebeine bestätigen, und eine Predigt gehalten. Bedeutsamer ist der Gesang: Die Schulkinder singen in deutscher Sprache das dem Heiligen zu Ehren veröffentlichte Lied, eine Musikkapelle und ein Chor musiziert bzw. singt, und das ganze Fest wird mit einem feierlich gesungenen Hochamt abgeschlossen.

Der Zug selbst bewegt sich in strenger Rangordnung. Mit den Insassen der Bürgerspitäler beginnend, reihen sich daran die Knaben und Mädchen der Trivialschulen; dann kommen die Handwerker, nach ihnen das Gymnasium und die lateinische (Schüler-) Kongregation, gefolgt von der Bürgerkongregation und anderen angesehenen Bürgern. Jeder Gruppe geht eine Fahne voran und die Mitglieder der Gruppe tragen brennende Kerzen in der Hand. Es schließen sich an die Kapuziner, Dominikaner und Benediktiner. Mit dem nun folgenden Schrein, der von vier Priestern getragen wird, erreicht der Zug den Höhepunkt des Schaugepränges, was durch die Teilnahme von hohen Geistlichen und Adeligen, die dem Schrein in prunkvollem Festgewande folgen, noch unterstrichen wird. Ein fürwahr großartiges Bild, reine Augenweide für den sinnesfreudigen Barockmenschen. Gesang der Schulkinder, Gebet der Insassen der Bürgerspitäler, Gewehrsalven der aufmarschierten Reiterei und Kanonendonner begleiten das prächtige „Schau“-Spiel. Den Gipfelpunkt aber stellt der am Hochaltar abgesetzte Schrein dar. Die ihn umgebende Architektur von Säulen und von der Decke herabhängende symbolische Bildwerke steigern das Ganze zu einer Apotheose nahezu unvorstellbaren Ausmaßes.

Und doch: Welch ein MEMENTO MORI im Schrein mit den Gebeinen des Märtyrers! Zugleich aber auch: Welch ein Triumph im Tode! Engel mit der Siegespalme gehen dem Heiligen voran, Engel tragen seine Gebeine in das Reich des ewigen Lebens. Mittelpunkt des Lebens ist der siegreich bezwungene Tod. Eindringlich führt das Vorzeigen der einzelnen Reliquien die Vergänglichkeit alles Irdischen vor Augen. Dadurch wird aber auch gegenwärtig, zu welcher Größe, zu welcher Herrlichkeit der Mensch aufsteigen kann. Hier wird auch in der Prozession die Katharsis der aristotelischen Tragödie deutlich, die Teilnehmer und Zuschauer zu einem intensivierten Lebensgefühl führen und ihnen die göttliche Ordnung und Gerechtigkeit bewusstmachen soll.

So betrachtet ist diese Prozession ein typisches Beispiel für das Kunstwollen des Barocks, wie es Nadler19) charakterisiert: Für die römische Kirche stand der Erlösungsgedanke im Mittelpunkt. Auf ihn wurde alles vorausgedeutet und zurückbezogen. Alle Tragik floss aus dem Heilskampfe. Zu diesem Kampfe wurde alles gruppiert, was auf dieser Erde jemals lebte, was unter ihr und über ihr zu denken war … Der Barock … entsinnlicht seelische Vorgänge, Vorwürfe aus der Geschichte, der belebten Außenwelt, aus Gewissenskämpfen und Heilskriegen bis auf das nackte Gerüst der sittlichen, religiösen, geistigen, geschichtlichen Begriffe und Kräfte und wandelte es durch Sinnbilder, Gleichnisse und Körperlichkeit wieder in die Anschauung des künstlerisch Darstellbaren zurück. Die Kunstlehre des Barocks „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ war wesensverwandt mit der Scholastik.

Anmerkungen

  1. Litterae Annuae Provinciae Austriae Societatis Jesu (im folgenden kurz LA) 1633, Codex Vindobonensis Palatinus (im folgenden kurz CVP) 12218.1, p. 80. Zetl Jacob, Die Chronik der Stadt Steyr 1612 – 1635, hg. von L. Edlbacher in: Jahrbuch des Museums Francisco-Carolinum 33 (1878), S. 80. Pritz F. X., Beschreibung und Geschichte der Stadt Steyr und ihrer nächsten Umgebung. Nachdruck der Ausgabe von 1837, S. 285
  2. LA 1648 (CVP 12220), f. 131 v
  3. LA 1649 (CVP 12220), f. 233v – 235v. Hinsichtlich anderer Steyrer Prozessionen vgl. Fröhler J. Prozessionen der Jesuiten in Steyr im 18. Jahrhundert in: Kulturberichte der Stadt Steyr, Heft 14. Dezember 1954, S. 49 ff
  4. September
  5. Gemeint ist die Stadt Rom
  6. Der bereits oben erwähnte Fürstbischof von Passau, der die Kirchweihe vollzogen hatte
  7. September
  8. Die neue Kirche „St. Michael“ und die „Heilig-Geist-Kirche“ am Bürgerspital
  9. Achaz Schrott 1620 – 1653
  10. Vgl. Anm. 8
  11. Propst Matthias Gatter von St. Florian
  12. Nach HEINZ STADLER, Vollständiges Heiligen-Lexikon (Augsburg 1858), Band II, S. 443
  13. Erwähnt
  14. Fröhler J., Zur Geschichte der Schule und des Schuldramas der Jesuiten in Steyr. (In: OÖ. Heimatblätter Jg. 9 – 1955), S. 135 und Ders., Das Schuldrama der Jesuiten in Steyr (In: OÖ. Heimatblätter Jg. 12 – 1958), S. 85 und 91, Nr. 28
  15. Hübscher A., Barock als Gestaltung antithetischen Lebensgefühls. In: Euphorion Jg. 24 (1922), S. 531
  16. Schulte W., Renaissance und Barock in der deutschen Dichtung. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der Görresgesellschaft 1., 1926, S. 52
  17. Cysarz H., Deutsche Barockdichtung. Leipzig 1924, S. 55
  18. Anm. 3
  19. Nadler J., Literaturgeschichte des Deutschen Volkes (Propyläen-Verlag Berlin, 4. Auflage 1938), Band 1, S. 347

 

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 36, Dezember 1985

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