Abt Anselm I. Angerer von Garsten

   Von Adolf Bodingbauer

 

   Einer der bedeutendsten Äbte des ehemaligen Benediktinerstiftes Garsten war Anselm I. Angerer, der dem Stifte von 1683 bis 1715 Vorstand. Als Sohn des Messerers Urban Angerer wurde er am 31. März 1647 in Steyr geboren und erhielt bei der Taufe am 1. April d. J. die Namen Wolf Siegmund (Anselm war sein Ordensname). „Er studierte in Garsten die lateinischen Schulen“ (Pritz), legte nach dem Eintritt in das Kloster Garsten 1665 die feierlichen Gelübde ab und wurde 1672 zum Priester geweiht. 1681 wurde er Subprior und am 7. November 1683 als Nachfolger des verstorbenen Abtes Roman I. Rauscher zum Abt von Garsten gewählt. Diese Würde hatte er bis zu seinem Tode inne.

Unter seiner Regierung wurde Garsten ein wahrer Mittelpunkt von Kunst und Wissenschaft der Barockzeit. Hervorragende Künstler wirkten hauptsächlich für Garsten selbst od. für Kirchen, die dem Stifte inkorporiert waren. Erwähnt seien die Architekten Carlo Antonio Carlone u. Jakob Prandtauer, die Bildhauer Marian Rittinger u. Hans Spindler d. J., sowie deren Gesellen Georg Ländterl u. Urban Remele, der Stuckateur u. Architekt Giovanni Battista Carlone, der Tischler Jakob Pokorny, die Maler Johann Karl von Reslfeldt, Joachim Sandrart, Innozenz Turriani, Johann Andreas Wolf und Johann Heiß. Auf wissenschaftlichem Gebiet ragten besonders folgende Mönche hervor: Ambros von Freudenpichl (Doktor der Philosophie, Theologie und beider Rechte, Professor der Philosophie in Salzburg und Protonotarius apostolicus), Johann Baptist Ebberth (Doktor der Rechte, Professor des Kirchenrechtes in Salzburg, Protokanzler und Vizerektor der Salzburger Universität), Robert König (Doktor der Rechte, Professor des Kirchenrechtes in Salzburg und zweimaliger Rektor der Salzburger Universität) und etwas später Leopold Till (Doktor der Philosophie, Theologie und beider Rechte, Verfasser einer Geschichte über das erste Jahrzehnt der Regierung des Abtes Anselm, des reichhaltigen „Decennium Abbatis Anselmi“ und von 1747 bis 1757 Abt von Garsten).

Durch den Abt Anton II. Spindler von Hofegg (1615—1642) wurde 1616 die Barockisierung der mittelalterlichen Stiftskirche begonnen, doch entschloss sich sein Nachfolger, Roman I. Rauscher (1642—1683), zum völligen Neubau von Kirche und Kloster. 1677 begann man mit dem Abbruch der alten Stiftskirche. Seine erste bedeutende Tat, die Abt Anselm als Bauherr ausführte, war die Vollendung der neuen Stiftskirche. Der Bau war 1685 schon so weit fortgeschritten, dass die Kirche am 5. Oktober eröffnet werden konnte. Nach ihrer gänzlichen Vollendung 1693 nahm der Bischof von Passau, Johann Philipp Graf von Lamberg, die feierliche Einweihung vor. Besonders gefördert wurde durch den Abt die Neugestaltung des Stiftes; so erfolgte während seiner Regierungszeit der Neubau der Prälatur, der Bibliothek und des größten Teiles des Saaltraktes mit dem Stiegenhaus.

            Auch in Steyr erinnern barocke Kostbarkeiten an Abt Anselm. Hier bewog er den Magistrat, den 1630 begonnenen Pfarrhof 1687 fertigzustellen. Das Wappen des Abtes und das der Stadt Steyr krönen heute noch das Portal dieses Gebäudes. Für die Stadtpfarrkirche ließ er 1688 einen neuen Hochaltar, dessen Bild Reslfeldt malte, anfertigen. Leider musste dieser Altar 1857 dem neugotischen von Fidelis Schönlaub weichen; das Hochaltarbild von Reslfeldt, „Die Anbetung Jesu durch die drei Weisen“ darstellend, hängt jetzt im nördlichen Seitenschiff der Kirche über dem Eingang der Turmkapelle. 1692 weihte der Abt fünf Altäre in der Stadtpfarrkirche, die ebenso wie der Hochaltar später entfernt wurden.

Im Jahre 1688 ließ er die Reliquien der Märtyrin Columba, die er aus Rom erhalten hatte, in feierlicher Prozession in die Stadtpfarrkirche tragen. Das Heimathaus Steyr besitzt das Ölbild, das diese Begebenheit darstellt. Dieses Bild ist auch baugeschichtlich äußerst interessant — es ist das älteste Ölgemälde, das die Ansicht von Steyr zeigt (Abbildung 2).

Neben der Stadtpfarrkirche erhielten auch alle jetzt noch bestehenden, dem Stifte inkorporierten Kirchen manch barocke Ausstattung. Jedoch entfernte man bei der Regotisierung im vorigen Jahrhundert viele dieser Einrichtungsgegenstände, die vielfach nicht mehr auffindbar sind.

Alle diese künstlerischen Leistungen und Arbeiten müssen umso höher bewertet werden, wenn man bedenkt, dass das Stift viele Ausgaben und Steuern leisten musste, welche die Kriege gegen die Türken und Franzosen forderten.

Anselm Angerer war hochgebildet, bekleidete die Rektorswürde der Salzburger Universität (nach Pritz) und trug viel zu deren Aufschwung bei. Zwischen 1691 und 1693 ließ er das Schloss Rosenegg neu aufbauen. Er plante, in diesem Schloss eine Akademie im Geiste der Aristoteles und Thomas von Aquin zu errichten. Wohl wurde dieses Vorhaben begonnen, doch auf Grund vieler Hindernisse konnte der Plan nicht verwirklicht werden. Rosenegg diente daraufhin als Landsitz für die Konventualen von Garsten.

Aber nicht nur auf dem Gebiet der Kunst und Wissenschaft erwarb sich der Abt große Verdienste, sondern auch als Abgeordneter der Stände war er um den wirtschaftlichen Aufstieg Steyrs bemüht. Als die sieben landesfürstlichen Städte Oberösterreichs, zu denen Steyr gehörte, hohe Summen als Rüstgelder zahlen sollten, bewirkten er und Georg Buel, der Syndikus der landesfürstlichen Städte, einen bedeutenden Nachlass. Dafür überreichten die Städte dem Abt als Zeichen der Dankbarkeit einen vergoldeten Silberbecher, der mit ihren sieben Wappen versehen war. 1692 machte er sich anlässlich der herrschenden Hungersnot in sozialer Hinsicht verdient. Anselm I. und Gundacker von Starhemberg wurden zu Deputierten ernannt, die für Oberösterreich sorgen sollten. Sie kauften in Niederösterreich 6000 Metzen Getreide, 1000 Metzen wurden nach Steyr geführt und Anselm ließ sie durch seine Offizialen, billiger als er sie eingekauft hatte, auf dem Stadtplatz verkaufen.

Zum Schluss sei noch der Bau der Wallfahrtskirche Christkindl erwähnt. Es würde zu weit führen, hier auf die Entstehungsgeschichte näher einzugehen. Anselm I. war ein Förderer der Wallfahrt „Zum gnadenreichen Christkindl im Baum unterm Himmel“; zur Bewachung der Gnadenstätte gründete er 1702 eine Einsiedelei und fing gleichzeitig mit dem Bau der Kirche an. Manche Hindernisse stellten sich anfangs diesem neuen Kult, und damit auch dem Weiterbau der Kirche, entgegen, doch gab die Diözese Passau am 16. April 1708 dem Abt die Erlaubnis, die Kirche weiterzubauen. Am 31. Mai 1708 nahm er die feierliche Grundsteinlegung vor. Daran erinnert unterhalb der Kanzel eine Tafel mit folgender Inschrift: „PRINCEPS LAPIS HIC POSITUS AB ANSELMO ABBATE GARSTENSI XXXI. MAY MDCCVIII.“ (Hier wurde der erste Stein vom Abt Anselm von Garsten am 31. Mai 1708 gelegt). Als die Kirche bis auf die Kuppel fertig war, wurde am 29. September 1709 der erste Gottesdienst gehalten. Feierlich geweiht wurde die Kirche allerdings erst unter seinem Nachfolger Abt Ambros I. von Freudenpichl (1715—1729), durch den Bischof von Passau, Josef Dominik Graf von Lamberg. Ambros Freudenpichl schrieb ein Mirakelbuch, das 1712 oder 1713 in Steyr bei Josef Grünenwald im Druck erschien. Dieses berichtet auch über die Entstehungsgeschichte der Kirche von Christkindl. Ein Exemplar befindet sich im Heimathaus Steyr, doch fehlen die Seiten 3 bis 14 (Abbildung 3). Als Baumeister führt Freudenpichl Johann Carlon und nach dessen Tod Jakob Prandtauer an. Das Superioratshaus (heute Pfarrhof) neben der Kirche wurde ebenfalls von Abt Anselm begonnen und von seinem Nachfolger fertiggestellt.

Nach fast zweiunddreißigjähriger Regierungszeit starb Abt Anselm I. Angerer am 29. April 1715 und wurde in der Stiftsgruft von Garsten beigesetzt. In seiner Sarkophaginschrift stehen folgende Worte: „Inter alia insignia aedificia hanc ecclesiam et templum Pueri Jesu exstruxit et thesaurum et cor suum pro primo lapide posuisse colligitur, cum saepissime illud visitare devote solitus fuerit.“ (Unter anderen hervorragenden Bauwerken hat er dem Christkind diese Kirche erbaut und es ist, als hätte er, der so oft die Gnadenstätte fromm besucht hat, dafür seine Habe und sein Herz zum Grundstein gegeben.)

 

Literaturverzeichnis

  • Taufbuch I der Stadtpfarre Steyr (Matrica baptizatorum ab anno 1602 usque ad annuin 1656); pag. 647.
  • Josef Ofner, Die Eisenstadt Steyr. Steyr 1956. Seite 96.
  • Franz Xaver Pritz, Geschichte der ehemaligen Benediktinerklöster Garsten und Gleink, im Lande ob der Enns, und der dazugehörigen Pfarren. Linz 1841. Seite 71—83, 87—88, 96 und 104—154.
  • Dehio, Oberösterreich. Wien 1958. (Alle Pfarrkirchen, die dem Stifte Garsten inkorporiert waren.)
  • Josef Perndl, Pfarrkirche Garsten. Kunstführer Schnell und Steiner Nr. S. 503/04.
  • Hans Oberleitner, Johann Karl von Reslfeldt; im Jahrbuch des oberösterreichischen Musealvereines. Linz 1955. Seite 210—212.
  • Josef Wackerle, Die Stadtpfarrkirche zu Steyr. Kunstführer Schnell und Steiner Nr. S. 513/514.
  • Georg Grüll, Der adelige Landsitz Rosenegg; im Jahrbuch des oberösterreichischen Musealvereines. Linz 1955. Seite 202—203.
  • Josef Perndl, Christkindl/Steyr. Kunstführer Schnell und Steiner Nr. 683.
  • Friedrich Steinbock, Entstehungsgeschichte der Kirche in Christkindl; im Steyrer Kalender 1955. Seite 91—103.
  • Josef Perndl, 250 Jahre Christkindl. Sonderdruck aus dem Jahresbericht des Kollegium Petrinum 1957/58. Seite 17 und 23.
  • Godfrid Edmund Friess, Die Wappen der Äbte von Garsten; im Jahrbuch der k. k. Heraldischen Gesellschaft „Adler“. Wien 1891. Seite 39 u. 41—42.

 

Abbildung 1: Abt Anselm I. Angerer (1683 – 1715) von Garsten (Original im ehemaligen Kapitelsaal von Garsten über der Losensteinerkapelle). Inschrift: „ANSELMUS I. ELECT. 1683. OBIIT. 1715. 48.“ (Anselm I., gewählt 1683, er starb 1715). Er wird als der 48., aber auch als der 49. Abt von Garsten angeführt.

 

Abbildung 2: Steyr im Jahre 1688 (Original im Heimathaus Steyr). Inschrift: „EINZUG Der Heilligen COLUMBAE Jungfräulichen dreyzehenjährigen Märtyrin in die Pfarkürchen zu Steyr A 1688 den 16. Sontag nach Pfingsten und 26. Septemb. an welchen Tag Zugleich wegen Erorberung Kriegischweissenburg daselbst das TE DEUM LAUDAMUS gehalten worden.“

 

Abbildung 3: Mirakelbuch des Ambros Freudenpichl (Original im Heimathaus Steyr). Titelseite mit folgendem Text: Wunderwuerckender Lebens-Baum / Das ist: Außerlesene Gnaden-Geschichten / so das Allergnadenreichiste JESUS-Kindl in dem Baum / unter den so genannten Himmel / unweith der Lands-Fuerstl. Stadt Steyr / durch seine unendliche Liebe und Barmhertzigkeit Von Anno 1698. biß 1712. denen Armseeligen Kranck- und Bresthafften Menschen erwiesen. Bescchriben und zusamben getragen Durch P. AMBROSIUM FREYDENPICHL Ord. S. Benedicti, Monasterij Garstensis Professum, utriusque Juris Doktorem. Hochfürstl. Saltzburgischen Rath / und dermahlen Administratoren bey dem JEsus-Kindl Cum Facultate superiorum. Steyr / Gedruckt bey Joseph Gruenenwald.

 

Abbildung 4: Wappen des Abtes Anselm I. Angerer über der Turmtüre an der Evangelienseite der ehemaligen Stiftskirche Carsten. Inschrift: „A. A.“ (Anselmus Abbas — Anselm Abt). Beschreibung des Wappens: Geviert mit Herzschild. Der Herzschild zeigt das Stiftswappen von Garsten (im gespaltenen Schild rechts den rot-weiß-roten österreichischen Bindenschild, links in Grün den silbernen, gehörnten, feuerspeienden, aufgerichteten Panther von Steyr). Das 1. und 4. Feld (oben rechts und unten links) in Rot durchzieht schrägrechts ein Fluss (Enns) mit 2 Fischen; oben links (2. Feld) in Schwarz ein goldener Stern; unten rechts (3. Feld) in Schwarz ein halbes goldenes Rad. Über dem Wappenschild befinden sich Inful und Pastorale.

 

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 21, Oktober 1960

 

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