Unterirdische Gänge in Steyr

Man munkelt in Steyr viel von unterirdischen Gängen, aber niemand findet sich der Wahrheit dieser Überlieferungen nachzugehen. Man spricht von Gängen im Schloss und im Steyrdorf, aber auch in der Stadt.

Im Jahre 1943, als man Bombenangriffe auf Steyr erwartete, wurden alle Keller einer Häuserreihe durch Gänge, die auch unter schmalen Gassen durchführten, verbunden. Es waren Rettungswege, im Falle ein Haus durch eine Bombe bis auf den Grund zerstört würde. Hoffentlich sind diese Mauerdurchbrüche schon alle wieder zugemauert, und wir glauben zuversichtlich, dass sie nie wieder aufgemacht werden müssen. Nach 200 Jahren wird mancher Hausbewohner im Keller noch die Stelle der Vermauerung erkennen, aber nicht wissen, warum sie notwendig war.

Gang Enge 16
Unter dem Schloss

Und solch ein Rätsel gibt uns auch der Gang auf, der vor vielen hundert Jahren vom Hause Enge 16 in das Schloss Steyr gegraben wurde. Man hat von ihm schon gemunkelt als ich vor 43 Jahren nach Steyr kam. Doch der Gang war verschüttet und nur den Eingang konnte man erkennen. Da kam der 2. Weltkrieg mit seinen Schrecken, und man wollte eine sichere Verbindung von der Enge mit dem Schloss schaffen. Die alte Sage von dem Gange kam wieder in Erinnerung und man begann, den Schutt heraus zu räumen. Der Gang endete schließlich im Schloss.

Ungefähr in der Mitte des Ganges wurden verschiedene Gegenstände gefunden, welche auf ein Bestehen des Ganges im Mittelalter hindeuten. Als sie in den Gang getragen wurden

kann er schon jahrzehntelang bestanden haben.

Man grub 3 Pfeilspitzen aus Eisen (1) aus, jede 7-8 cm lang, die Spitze des vierkantigen, verstärkten Pfeilendes scharf zugespitzt. Sie waren stark verrostet und lassen eine Aushöhlung für die Befestigung des Pfeilschaftes erkennen. Weiters fand sich eine 26 cm lange Spitzhaue (2), in welcher noch ein Rest des vermoderten Stieles steckte. Mit 2 Federn war die Haue am Stiel versichert. Wie sich das halbe Hufeisen (3) in den Gang verirrte, ist schwer zu erraten. Sollte es Glück bringen?

Außer diesen Eisenteilen, die jetzt in einer Vitrine des städtischen Museums gezeigt werden, fanden sich auch verschiedene Scherben von Töpfen und Schalen der Schwarzhafnerei. Auch diese Scherben wanderten in das Heimathaus. Der eine der Scherben scheint von einem hohen Topf (4) zu stammen., dessen innerer Durchmesser 44 mm, der äußere der Bodenplatte 63 mm mißt. Ein ebenfalls gefundener starker Henkel (5) dürfte auch dazu gehören. Interessant sind die Schriftzeichen auf einem anderen Häfen (6), doch ist ihre Bedeutung völlig unklar. Zwei Schalenscherben (7 und 8) zeigen auf ihren zu Griffen verstärkten Rand verschiedene vertiefte Figuren. Eine dritte Schale (9), die fast ganz zusammengesetzt werden konnte, hatte in dem einem Griff ein, im anderen Griff zwei Löcher.

Das Haus Enge 16 ist das größte, interessanteste Haus unterhalb der Burg. Ich hörte, dass es der Überlieferung nach die Schlosstaverne gewesen sein soll; dies wäre wohl ein glaubhafter Grund für das Bestehen des Ganges.

Nach den vorhandenen Anhaltspunkten war es das Stadthaus, also eine Art Rathaus, bevor im Jahre 1422 ein Haus am Stadtplatz zum Rathaus umgebaut wurde. Anscheinend wurde es von dieser Zeit an ein bürgerliches Haus. Als solches erscheint es im Steuerbuch 1543.

Der Geschichtsschreiber Steyrs, Preuenhuber, schreibt in seinem Buch, dass 1318 der Sohn Peter des Stadtrichters und Pflegers im Schloss Steyr dieses Haus in der Enge besessen haben soll. Da könnte man glauben, dass der Pfleger der Burg manchmal gerne ungesehen. Das heißt, ohne den Torhüter zu bemühen, in sein Haus gelangen wollte und sich diesen Gang graben ließ. Er kann aber auch ein bloßer Fluchtweg aus der Stadt in die Burg gewesen sein. Tatsache ist, dass er vorhanden war. Sein Zweck wird wohl immer ein Rätsel bleiben.

 

Aus: Steyrer Zeitung Unterhaltungsbeilage „Zum Feierabend“ Nr. 12, 21.03.1957

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